Der Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, bei einer Pressekonferenz in einer U-Bahn-Station in Kiew
AP/Efrem Lukatsky
Schwere Waffen

Erste Erfolge für Selenskyj

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kann in seinem wochenlangen Ringen mit dem Westen um die raschere und umfangreichere Lieferung schwerer Waffen erste Erfolge verzeichnen. Die USA haben mittlerweile eine deutlich offensivere Position. Am Sonntag werden Außenminister Antony Blinken und Verteidigungsminister Lloyd Austin in Kiew erwartet. Auch hier wird es vor allem um weitere Waffenlieferungen gehen – und um mehr Druck vor allem auf Deutschland.

Selenskyjs Ankündigung des hochrangigen US-Besuchs während einer Pressekonferenz, die bildmächtig in einer Kiewer U-Bahn-Station stattfand, kam überraschend. „Ich denke nicht, dass es ein großes Geheimnis ist. Morgen werde ich ein Treffen mit dem US-Verteidigungsminister (Lloyd Austin) und mit Außenminister (Antony) Blinken haben“, sagte Selenskyj am Samstag bei einer Pressekonferenz in einer U-Bahn-Station in Kiew.

Er hoffe, dass auch US-Präsident Joe Biden – „sobald es die Sicherheitssituation zulasse“ – nach Kiew komme. Mit Austin und Blinken werde er über die „Liste der notwendigen Waffen und über die Geschwindigkeit ihrer Lieferung“ reden. In der vergangenen Woche hätten sich die Nachrichten zu Waffenlieferungen verbessert, betonte Selenskyj, der seit Wochen unermüdlich auf westliche Staaten verbal einhämmert und viel umfangreichere Waffenlieferungen – und vor allem schwere Waffensysteme – fordert.

Hofft auf US-Druck auf Berlin

Selenskyj erwartet nach eigenen Angaben, dass die Regierung in Washington mit Deutschland über die Bereitstellung von Waffen für sein Land spricht. SPD-Kanzler Olaf Scholz zögert bisher mit der Lieferung von Panzern und beruft sich auf die Notwendigkeit, die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr zu erhalten. Kiew drängt dagegen etwa auf deutsche Marder-Panzer. Solche Lieferungen wären darüber hinaus auch symbolisch und politisch ein wichtiger Erfolg, da das Moskau noch weiter vom Westen isolieren würde, als es bisher bereits geschehen ist.

Es war zunächst nicht klar, wie Austin und Blinken nach Kiew reisen und wie lange sie dort bleiben würden. Austin wird am Dienstag zu einer von der US-Regierung ausgerichteten Ukraine-Konferenz auf dem US-Militärstützpunkt im deutschen Ramstein erwartet. Besuche eines US-Außen- oder Verteidigungsministers in einem Krisen- oder Kriegsgebiet werden von der US-Regierung wegen der hohen Sicherheitsanforderungen zuvor meist geheim gehalten.

US-Kehrtwende bei Waffenlieferungen

Laut einem Bericht der „Financial Times“ („FT“) haben die USA zuletzt eine Kehrtwende bei den Waffenlieferungen an die Ukraine vollzogen. Einerseits sei man zur Einschätzung gelangt, dass die Gefahr eines russischen Atombombeneinsatzes, wie von Moskau angedroht, sehr unwahrscheinlich sei. Vor allem aber habe die hohe Kampfmoral und der Erfolg der ukrainischen Armee dazu geführt, dass Washington nun bereit sei, mehr und schwerere Waffen zu liefern.

Es sei klar, dass der Krieg noch Monate dauern werde und die ukrainische Armee nicht einfach überrannt werde, so Ian Brzezinski, der unter US-Präsident George W. Bush im Verteidigungsministerium für NATO-Agenden zuständig war, gegenüber dem britischen Blatt.

„Nie dagewesenes Tempo“

Die geänderte US-Position zeige sich am schnellen Tempo der Waffenlieferungen. Täglich würden acht bis zehn Cargoflugzeuge nahe der ukrainischen Westgrenze landen. Sie hätten schwere Waffen im Wert von Hunderten Millionen Euro geladen, so die „FT“ unter Berufung auf US-Beamte. Sobald Ausrüstung freigegeben sei, erreiche sie mittlerweile innerhalb von 48 bis 72 Stunden die Ukraine. Auch die Art der Ausrüstung hat sich geändert und reicht mittlerweile bis hin zu Helikoptern.

Von insgesamt 3,4 Milliarden Dollar reiner Militärhilfe, die die USA seit Kriegsbeginn ankündigten, seien 1,6 Milliarden in den letzten sieben Tagen zur Verfügung gestellt worden. Die „FT“ zitiert einen namentlich nicht genannten hochrangigen US-Militär, der von einem „nie dagewesenen Tempo“ sprach.

Selenskyj hatte in der Nacht auf Samstag in einer Videoansprache erklärt, die Partner der Ukraine würden nun endlich die Waffen liefern, um die sein Land gebeten habe. Diese würden helfen, die Leben Tausender Menschen zu retten.

Ukraine: Angriffe im Osten

Im Osten der Ukraine stehen die noch von der Ukraine gehaltenen Städte unter Dauerbeschuss. Das berichtet der ukrainische Generalstab. Auch Odessa ist vor Kurzem angegriffen worden. Größere Geländegewinne macht Russland aber nach britischen Geheimdienstangaben nicht. Seit Beginn des Krieges vor zwei Monaten sind laut UNO-Angaben mehr als fünf Millionen Menschen aus dem Land geflohen.

Kiew gibt sich siegesgewiss

Blinken empfing am Wochenende den ukrainischen Ministerpräsidenten Denys Schmyhal in Washington und sagte ihm weitere Unterstützung durch die USA zu. Schmyhal zeigte sich bei seinem Besuch optimistisch. Die Ukraine wird nach eigenen Angaben im Krieg mit Russland sehr bald siegreich sein. „Wir sind uns absolut sicher, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnen wird, und zwar in sehr kurzer Zeit“, sagte Schmyhal im amerikanischen Fernsehsender CNN.

Bei der Pressekonferenz in der Metrostation brachte Selenskyj am Samstag auch erneut einen möglichen Abbruch jeglicher Gespräche mit Russland für ein Ende des Krieges ins Spiel. „Wenn unsere Leute in Mariupol vernichtet werden, wenn ein Pseudoreferendum über die Unabhängigkeit in Cherson stattfindet, dann tritt die Ukraine aus allen Verhandlungsprozessen aus.“ Er sei aber weiter zu Verhandlungen bereit, so Selenskyj. Der Präsident erneuerte die prinzipielle Bereitschaft, direkt mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu sprechen.