Journalist in der Ukraine
AP/Mstyslav Chernov
Ukrainische Journalistin

Zwischen Leid, Verlust und Dauerbeschuss

Um über den russischen Angriffskrieg in der Ukraine zu berichten, riskieren Reporterinnen und Reporter aus aller Welt beinahe täglich ihr Leben – so auch die ukrainische Journalistin Kateryna Malofjejewa. Die 33-Jährige arbeitet seit Beginn des Konflikts in der Ostukraine 2014 mit internationalen Medien zusammen. Gegenüber ORF.at erklärt sie, was es heißt, einmal mehr über den Krieg im eigenen Land zu berichten.

„Ich habe mich langsam schon daran gewöhnt, dass man die Waffe auf mich richtet“, erzählt Malofjejewa, die nach Wochen im besonders umkämpften Osten kürzlich nach Kiew zurückkehrte, via Videoanruf. „Beim ersten Mal ist es beängstigend. Beim zweiten Mal weiß man schon, wie man sich zu verhalten hat“, sagt sie. „Man muss sich beruhigen und die Stimme senken.“ Beschuss, menschliches Leid und Zerstörung gehören für die freie Journalistin und TV-Produzentin zum Alltag.

Seit Kriegsbeginn am 24. Februar war Malofjejewa beinahe pausenlos für den Sender al-Jazeera unterwegs. Sie berichtete etwa aus der südukrainischen Hafenstadt Mariupol, aus der unter Beschuss stehenden Millionenmetropole Charkiw im Osten sowie aus den Städten Saporischschja im Süden, Dnipro im Zentrum des Landes und Borodjanka im Norden Kiews.

Journalistin Kateryna Malofieieva
Kateryna Malofieieva
Kateryna Malofjejewa, ukrainische Journalistin und TV-Produzentin

Kriegsbeginn am „beängstigendsten“

Angst verspüre Malofjejewa, die im November aus einem Einsatz in der umkämpften Südkaukasus-Region Bergkarabach in die Ukraine zurückkehrte, nur selten. Dabei hat sie sich in den vergangenen Wochen nicht nur einmal in gefährlichen Situationen befunden. Immer wieder flogen russische Kampfjets in unmittelbarer Entfernung an ihr vorbei, auch Raketen seien schon einige Male in ihrer Nähe abgeworfen worden.

„Die ersten Tage eines Krieges sind aber immer die beängstigendsten“, sagt sie. Jeder sei panisch und nervös, erklärt die 33-Jährige. Nur wenige Tage nach Kriegsbeginn ist sie etwa als Mitglied eines Al-Jazeera-Teams kurzzeitig vom ukrainischen Militär in Saporischschja festgenommen worden. Der Vorfall, bei dem Soldaten auch auf das Smartphone des Kameramannes geschossen hatten, ereignete sich bei einem Liveeinstieg des Al-Jazeera-Korrespondenten Charles Stratford.

Glimpflich endete auch ein weiterer Zwischenfall in Charkiw: Die ukrainische Polizei räumte aus Sorge vor Saboteuren das Hotel, in dem sich Malofjejewas Team befunden hatte. Den Männern wurden die Hände mit Klebeband verbunden. Zu Schaden kam niemand. „Das ist stressig, aber machbar“, sagt sie. Die drei Wochen in Charkiw habe Malofjejewa aber ihr Hotel nie ohne Schutzhelm und Sicherheitsweste verlassen.

Mehrere Journalisten seit Kriegsbeginn getötet

Hundertprozentigen Schutz gibt es freilich nie. Gefährlich ist ein Krieg für Reporter wie auch für Zivilisten immer: Laut Angaben von Reporter ohne Grenzen kamen von Kriegsbeginn bis Montag sieben Journalistinnen und Journalisten in der Ukraine ums Leben. Mindestens elf wurden verletzt. Einen weiteren Todesfall meldete am Freitag der US-Sender Radio Liberty: Die Radio-Liberty-Produzentin Vira Hyrych sei aus den Trümmern eines von einer Rakete getroffenen Wohnhauses in Kiew geborgen worden. Mit Fortdauer des Krieges ist leider mit weiteren Opfern zu rechnen.

Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten in der Ukraine seit 26.2.2022 (Stand 25.4.), mehr Informationen per Zoom und Klick

Sicherheitsfragen bleiben dabei nicht die einzige Herausforderung für Kriegsreporter. Zu langen Arbeitstagen und kaum Schlaf kommt dauerhafter psychischer Stress, der mit Beschuss, Zerstörung und menschlichem Leid einhergeht. Für lokale Journalisten wie Malofjejewa, die der Krieg auch im Schlaf immer wieder einholt, ist das umso fordernder: „Die größte Herausforderung ist es, über den Schmerz und den Verlust der Menschen zu berichten, während man den gleichen Schmerz und den gleichen Verlust erlebt.“

Zum Krieg „verdammt“

Malofjejewa erzählt, dass ihre Mutter kürzlich nach langer Krankheit verstorben war. Das Begräbnis, das in den von russischen Separatisten besetzten Gebieten im Osten stattgefunden hatte, konnte sie nicht besuchen. Zuletzt gesehen hatte sie ihre Eltern im Jänner. Ihr Vater harrt weiterhin im besetzten Osten aus, Flucht ist für ihn trotz Gefechten und Wassermangel keine Option.

Doch auch ihre Bekannten würden leiden, schildert Malofjejewa. Nicht wenige ihrer Freunde seien 2014 aus Donezk nach Irpin bei Kiew geflüchtet. Die Stadt wurde zuletzt wochenlang von russischen Truppen besetzt, erst mit deren Abzug wurde das Ausmaß der Zerstörung deutlich. „Wie einen das Schicksal verfolgt, wie man dazu verdammt ist, das Gleiche wieder und wieder zu erleben – das ist frustrierend“, sagt Malofjejewa, die unter anderen auch für die „Times“ und „Vice“ tätig war.

Rauch über der Stadt Donezk
Reuters/Shamil Zhumatov
In der Ostukraine kämpfen prorussische Separatisten bereits seit 2014 gegen die ukrainische Armee

„Wort kann Waffe sein“

Die Ereignisse der letzten Wochen lassen bei der Journalistin Erinnerungen an den Ausbruch des Konflikts im Donbas im Osten der Ukraine im Jahr 2014 wach werden. Nach dem Sturz des damaligen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch hatte Moskau erst die Krim annektiert und dann die russischsprachigen Separatisten im Donbas unterstützt. Teile der an Russland grenzenden Regionen um die Stadt Luhansk und die Metropole Donezk sagten sich von der Regierung in Kiew los.

Malofjejewa war damals 25 Jahre alt und arbeitete als Lehrerin. Für sie sei schnell klar gewesen, dass sie mit Medien zusammenarbeiten wollte. „Ich weiß, dass das Wort eine Waffe sein kann“, sagt sie. Malofjejewa arbeitete fortan als Stringerin (auch Fixerin genannt). Dabei handelt es sich um Personen – oft örtliche Journalisten –, die von Auslandskorrespondenten oder ausländischen Medienunternehmen engagiert werden.

Sie liefern Hintergrundwissen zur Region und zu Gepflogenheiten, sie arrangieren Interviews, recherchieren und übersetzen. Sie sind also für einen bedeutenden Teil der Berichterstattung und aufgrund ihrer Kenntnis der Region bei der Abwägung von Sicherheitsfragen entscheidend. Dennoch wird ihre Arbeit häufig kaum gewürdigt, die Bezahlung ist schlecht – und vielfach bekommen sie nicht einmal Schutzausrüstung finanziert. In der Ukraine bestehe das Problem nach wie vor, sagt Malofjejewa.

Informationspolitik zwischen Kooperation und Diskretion

Ob Auslandskorrespondenten, lokale Journalisten wie Malofjejewa oder auch Fixer – die Frage „Was stimmt und was nicht?“ beschäftigt sie letztlich alle. Denn Krieg bedingt immer auch Propaganda. Jene Russlands ist besonders dreist, an Verschwörungsmythen und Lügen wird nicht gespart.

Buchhinweis

Martin Löffelholz, Christian F. Trippe, Andrea C. Hoffmann (Hg.): Kriegs- und Krisenberichterstattung. Ein Handbuch. UVK, 336 Seiten, 34,99 Euro.

Die Ukraine geht im Vergleich deutlich transparenter vor, wenngleich auch sie strategisch agiert: Nach den Worten der Korrespondentin der „Süddeutschen Zeitung“ („SZ“) Sonja Zerki sei die ukrainische Informationspolitik auf den ersten Blick „zugewandt und kooperativ“, zumindest solange es um Informationen zur Lage und den Verlusten der russischen Truppen gehe.

Bei Informationen über das eigene Heer sei Kiew aber – wohl aus Furcht vor Saboteuren – „sehr viel verschwiegener“. „Anders als beispielsweise die amerikanische Armee im Irak-Krieg gibt es für Journalisten bislang keine Möglichkeit, sich längerfristig zu ‚embedden‘, also einen aktiven Truppenteil über Tage oder Wochen zu begleiten“, schreibt sie in der „SZ“.

„Politisch und medial herrscht Burgfrieden“

Generell legt die Ukraine im Umgang mit akkreditierten Journalisten sehr viel Wert auf Vorsicht: In einem Papier zum Umgang mit Medien beschreibt das ukrainische Verteidigungsministerium auf mehreren Seiten, wie die Weitergabe und Veröffentlichung welcher Informationen Russland in die Hände spielen könnten.

Dazu zählen dem Dokument zufolge etwa die Nennung von Namen sowie Koordinaten militärischer Einheiten und Einrichtungen, die Größe der Truppen, die Anzahl der Waffen, Informationen über aktive, geplante oder abgebrochene Operationen, Informationen zu Verteidigungssystemen, aber auch solche über abgeschossene Kampfjets und vermisste Schiffe.

Politik und Medien lassen sich von all dem nicht beirren, schreibt Zerki: „Politisch und medial herrscht Burgfrieden, denn Kritik an der Regierung oder der Armeeführung käme vielen der sonst diskussionsfreudigen Ukrainerinnen und Ukrainern selbstmörderisch vor.“

Flucht oder nicht?

Wie lange der Krieg noch dauern wird, ist jedenfalls unklar. Daran, dass Russland die besetzten Gebiete und damit auch ihre Heimat vollständig erobern wird, zweifelt Malofjejewa nicht. Größere Zweifel äußert sie mit Blick auf die eigene Zukunft. Ob und wie lange sie noch in der Ukraine bleiben werde, kann die 33-Jährige nicht sagen. Immer wieder frage sie sich, wie lange sie nach acht Jahren der Kriegsberichterstattung noch durchhalten könne. Doch zu gehen ist für sie vorerst auch keine Option: „Denn wer soll denn sonst die Geschichte erzählen, wenn nicht ich?“