EU-Kommissarin für Wettbewerb und Digitales Margrethe Vestager
Reuters/Johanna Geron
Grenzen für Google & Co.

EU wird zur globalen Vorreiterin

Mit dem Digital Services Act (DSA) werden erstmals in einer führenden Weltwirtschaft den IT-Riesen wie Facebook-Konzern Meta, Google, Apple und Amazon klare Grenzen gesetzt. Das soll vor allem einklagbare Rechte für die EU-Bürgerinnen und -Bürger gegenüber jenen Konzernen bringen, die Kritik und Beschwerden oft an sich abprallen ließen. Machtpolitisch gelingt der EU damit aber in jener Branche, in der Europa von US-Konzernen dominiert wird, zum zweiten Mal ein kleines Husarenstück: mittels Regulierung zur globalen Vorreiterin zu werden. Entscheidend wird allerdings die Umsetzung sein.

Die nächtliche Einigung zwischen Kommission, Rat und Parlament am Wochenende ging neben dem Ukraine-Krieg und den Frankreich-Wahlen beinahe unter. Dabei wurde an dem wegweisenden Gesetzespaket – von Kommissionsseite unter Federführung der Vizekommissionschefin Margrethe Vestager und des Binnenmarktkommissars Thierry Breton – jahrelang gearbeitet. Die Lobbying-Anstrengungen der IT-Konzerne waren so umfassend wie bei wenigen Gesetzesmaterien in Brüssel zuvor. Fast 100 Millionen Euro machten Google, Meta, Amazon und Co. locker, um einer Regulierung durch die EU zu entgehen oder diese möglichst zu verwässern.

Am Ende der Verhandlungen steht ein Kompromiss, an dem man von allen Seiten Kritik üben kann: Wo die Vorgaben den einen zu weit gehen, sind sie den anderen zu locker. Zweifellos aber kann die gesamte Union mit diesem Gesetzespaket für sich in Anspruch nehmen, damit auch global einen Coup gelandet zu haben. Und es zeigt sehr eindrücklich, wo die Macht der EU tatsächlich liegt: im Binnenmarkt, einem der weltweit größten Wirtschaftsräume, der mit einheitlichen Regeln auch eine enorme Anziehungskraft für andere Wirtschaften hat.

Die Macht der Größe

Die EU kann mit seiner schieren Größe immer wieder auch die Regeln vorgeben – nicht nur für den eigenen Markt. Insbesondere in sich neu entwickelnden Bereichen versucht die EU immer wieder, sich über beispielhafte Regulierung auch einen Wettbewerbsvorteil zu erarbeiten. Denn die globale Wirtschaft und international tätige Konzerne erzeugen einen Druck zu möglichst einheitlichen Regeln. Im IT-Bereich wird die EU nach der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), die ebenfalls in vielen Ländern weltweit ganz ähnlich übernommen wurde, mit dem Digital Services Act erneut zum globalen Schrittmacher. Darin sind sich EU-Vertreterinnen und -Vertreter und Fachleute recht einig.

Margrethe Vestager und Thierry Breton
APA/AFP/John Thys
Vestager und Breton freuen sich über die hart umkämpfte Einigung

Die deutsche grüne EU-Abgeordnete Alexandra Geese sieht die Einigung als „Modell“. Sie habe bereits mit Parlamentariern aus Japan, Indien und anderen Ländern darüber gesprochen, betonte sie gegenüber der „New York Times“.

„Neue globale Standards“

Auch die dänische sozialdemokratische Abgeordnete Christel Schaldemose, die die Einigung für das EU-Parlament entscheidend mitverhandelte, erwartet, dass der DSA „neue globale Standards“ festlegen wird. Damit werde endlich sichergestellt, dass alles, „was offline illegal ist, auch online illegal ist“.

Das „Wall Street Journal“ betonte ebenfalls, Beobachter würden davon ausgehen, dass der DSA zum Vorbild für andere Länder werden könnte. Das Wirtschaftsblatt erinnerte daran, dass die EU mit der Datenschutz-Grundverordnung und einer Grundsatzeinigung zum Digital Markets Act (DMA) schon mehrmals im IT-Bereich international als Pionierin agiert habe. Der DMA ist der zweite Teil des Digitalpakets, bei dem es bereits Ende März eine Einigung gab. Der DMA soll die Marktmacht der Tech-Giganten mit strengeren Regeln beschränken.

Bewegung auch in USA?

Binnenmarktkommissar Breton betonte, dass mit der DSA „die Zeit endet, in der sich große Onlineplattformen so verhalten, als ob sie zu groß wären, um sich (um Regeln) zu kümmern“. Möglicherweise kommt nun auch in den USA Bewegung in bisher über ein Debattenstadium im Kongress nicht hinausgekommene Bemühungen, IT-Konzernen einen klaren Rechtsrahmen zu verpassen. Das hofft jedenfalls die Whistleblowerin und Ex-Facebook-Mitarbeiterin Francis Haugen, die den DSA als historisch feiert.

Laut „New York Times“ ist die „mangelnde Aktivität“ in den USA auffallend. Es seien zwar Kartellverfahren gegen Google und Meta eingeleitet worden, aber es gebe kein umfassendes Gesetzespaket, das sich mit der Macht der Tech-Konzerne beschäftigt. Ähnliches gilt auch für das Ex-EU-Mitglied Großbritannien.

Von Propaganda bis Fake-Produkten

Mit dem DSA sollen in der EU die zahlreichen Probleme, denen Nutzerinnen und Nutzer im Onlinebereich bisher oft wehrlos gegenüberstehen, angegangen werden. Das Gesetz verfolgt ein grundlegendes Prinzip: Was offline illegal ist, soll es auch online sein. Das gilt etwa für Hassrede und Terrorpropaganda, aber auch für gefälschte Produkte, die auf Onlinemarktplätzen verkauft werden. Die Plattformen sollen mehr Verantwortung dafür übernehmen, was bei ihnen passiert.

Einblick in Algorithmen

Erstmals werden Google, Meta und Co. einer unabhängigen Stelle Zugang zu ihren Algorithmen geben müssen, die darüber entscheiden, wer was im Netz zuerst sieht und vorgeschlagen bekommt. Und Nutzerinnen und Nutzer können gegen Entscheidungen, etwa zu geforderten Löschungen, berufen.

Das Europaparlament und die EU-Staaten müssen den Deal vom Samstag noch einmal formell bestätigen. Nach Inkrafttreten ist noch eine Übergangsfrist vorgesehen. Die neuen Regeln werden frühestens ab 1. Jänner 2024 gelten. Für die sehr großen Plattformen und Suchmaschinen dürfte es bereits Mitte 2023 so weit sein.

EU-Einigung auf Gesetz gegen Hass im Netz

Die EU-Institutionen haben sich auf strengere Regeln für Internetkonzerne wie Google und Amazon geeinigt. Wie EU-Kommission und Parlament mitteilten, habe man sich in der Nacht auf Samstag auf den Digital Services Act (DSA) geeinigt. Mit dem Gesetz über digitale Dienste müssen Onlineplattformen künftig verstärkt gegen Hass- und Falschnachrichten und andere illegale Inhalte vorgehen.

Umsetzung und Details entscheidend

Entscheidend für den Erfolg wird freilich die Umsetzung sein. Der Experte Tommaso Valletti warnt gegenüber der „New York Times“, dass der DSA ohne starke Kontrolle zu einem „unerfüllten Versprechen“ werden könnte. Die Größe der geplanten Kontrollbehörde mit 230 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sei „völlig unzureichend“ angesichts der riesigen Finanz- und Personalressourcen von Google und anderen IT-Riesen. Auch bei der DSGVO gibt es ein ähnliches Problem: Die vorgesehenen Verfahren und Strafen wurden bisher kaum verwendet.

Zudem müssen vor allem technische Umsetzungsparameter vor der Beschlussfassung noch fixiert werden. Googles Reaktion nach dem Durchbruch am Wochenende lässt darauf schließen, dass es hier noch Spielraum gibt: „Wenn das Gesetz finalisiert und umgesetzt wird, werden die Details entscheidend sein. Wir freuen uns, mit den politischen Entscheidungsträgern zusammenzuarbeiten, um die ausstehenden technischen Details richtig hinzubekommen und sicherzustellen, dass das Gesetz für alle funktioniert.“