Frankreichs Präsident Emmanuel Macron
AP/Thibault Camus
Macron-Wahlsieg

Erleichterung und dunkle Wolken

Das mögliche politische Erdbeben in Frankreich ist mit dem Sieg des Amtsinhabers Emmanuel Macron bei der Stichwahl über die Rechtspopulistin Marine Le Pen vom Rassemblement National zwar ausgeblieben – auch sehr zur Freude der EU-Spitzen. Dennoch geht Macron angeschlagen in seine zweite Amtszeit, so Kommentare in der französischen Presse. Viele hätten Macron „nur“ die Stimme gegeben, um einen Sieg Le Pens zu verhindern. Die kommende Parlamentswahl im Juni wirft daher bereits ihre dunklen Schatten voraus.

Macrons Sieg über die Rechtspopulistin war nicht so klar wie bei der vorherigen Wahl: Die extreme Rechte fuhr ein historisch gutes Ergebnis ein. Die Stichwahl legte wie zuvor schon der erste Wahlgang offen, wie tief gespalten die französische Gesellschaft ist. Schon am Ende des Wahltages am Sonntag richtete sich der Fokus auf die Parlamentswahl im Juni.

Die linksliberale „Liberation“ sieht für Macron zahlreiche Baustellen auch mit Blick auf die Parlamentswahl. „Die größte Baustelle, die den Präsidenten erwartet, ist in erster Linie eine demokratische“, so die Zeitung und nennt dabei die doch recht hohe Wahlenthaltung in beiden Runden. Sie sei ein Symptom einer seit Langem bestehenden demokratischen Schwäche.

Zweite Runde der französischen Präsidentschaftswahl vom 24.4.2022. Sieger/-in in den Gemeinden. Ergebnis bei Klick auf Gemeinde.

Zahlreiche Baustellen für Macron

Die zweite große Baustelle sei sozialer Natur, so „Liberation“ weiter. die Zeitung weist auf die „ärmsten und schwächsten“ Bürgerinnen und Bürger hin. Ihnen stehe eine schwere Zeit bevor. „Liberation“ nennt dabei die Auswirkungen des Ukraine-Krieges, die steigenden Energiepreise und die steigende Inflation.

Macron müsse jetzt beweisen, dass er nicht nur der Präsident der Reichen sei, sondern auch derjenigen, die sich in den letzten Jahren übergangen fühlten, stellt die Zeitung Macron die Rute auch für die Parlamentswahl ins Fenster.

Marine Le Pen
Reuters/Yves Herman
Marine Le Pen nach dem Bekanntwerden des Wahlergebnisses

Konservative Presse sieht Macron angeschlagen

Auch die konservative französische Presse sieht Macron trotz der guten Stimmung und Erleichterung über den Wahlerfolg angeschlagen. In Wahrheit stehe die Marmorstatue Macrons auf tönernen Füßen, so „Le Figaro“. Macron, der sich schon am Wahlabend betont bescheiden gegeben habe, wisse das gut. „Er ist von keinerlei Enthusiasmus im Volk getragen. Er kann sich keiner großen Anhängerschaft rühmen – weder für sein Projekt noch für ihn als Person“, schreibt die Zeitung beispielsweise.

Die französische katholische Zeitung „La Croix“ schlägt in eine ähnliche Kerbe. So eindeutig und unanfechtbar das Ergebnis auch sei: Es sei eben auch die Folge einer besorgniserregenden Konstellation, die wie schon 2017 und 2002 viele dazu gebracht habe, gegen ihren eigentlichen Willen zu wählen. Aus den Wahlurnen steige ein Konzentrat aus Wut, Verbitterung und Frustration auf. Der große Abstand zwischen der Kandidatin und dem Kandidaten könne nicht darüber hinwegtäuschen, dass die extreme Rechte ihr bestes Ergebnis in der Fünften Republik eingefahren habe.

Melenchon will Sogwirkung mitnehmen

Das wird sich wohl auch auf die Parlamentswahl auswirken. Sie sind bedeutsam, denn der französische Staatschef verfügt zwar über sehr viel Macht, aber sein Einfluss schrumpft ohne eine Mehrheit in der Assemblee Nationale. Ohne den Rückhalt des Parlaments wäre Macron gezwungen, eine Regierung aus Politikern eines anderen politischen Lagers zu ernennen. Eine solche Zweiteilung der Exekutive wird als Cohabitation bezeichnet. Der Premierminister wird dann deutlich wichtiger.

Für den Kampf um Plätze im Parlament wird Macron – anders als in der Stichwahl – nicht auf die Unterstützung linker Parteien und der Konservativen setzen können. Diese verfolgen eigene Interessen. Bei der Stichwahl erhielt Macron nämlich auch Stimmen aus diesen Lagern, nicht wegen des Einverständnisses mit seiner Politik, sondern um Le Pen als Präsidentin zu verhindern.

Jean-Luc Melenchon
APA/AFP/Christophe Simon
Der Linke Jean-Luc Melenchon will aus der Parlamentswahl als Premierminister hervorgehen

Linkspolitiker Jean-Luc Melenchon etwa, der in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl auf Platz drei landete, hofft, mit einem Wahlsieg der Linken Premierminister zu werden. Er sagte seinen Anhängern und Anhängerinnen, sie könnten Macron bei der Parlamentswahl noch schlagen.

Neuformierung des Kabinetts als erste Aufgabe

Doch auch vor der Parlamentswahl in rund sieben Wochen muss Macron bei der Neuformierung des jetzigen Kabinetts viele Interessen berücksichtigen und sich damit auch auf die Parlamentswahl vorbereiten. Es ist in Frankreich üblich, dass der Premierminister noch vor offiziellem Amtsantritt des wiedergewählten oder neuen Präsidenten den Rücktritt der Regierung anbietet. Auch der derzeitige Premier Jean Castex hatte bereits seinen Rücktritt für kurz nach der Wahl angekündigt. Der Schritt wird aber erst nach der Veröffentlichung des amtlichen Endergebnisses im Laufe der Woche erwartet.

Insbesondere im linken Lager hatte Macron vor der Stichwahl um Unterstützung geworben. Auch äußerte er verstärkt ökologische Ambitionen, um die Stimmen derjenigen zu erhalten, die sich ein energischeres Handeln gegen die Klimakrise wünschen. Auch auf Geschlechtergerechtigkeit wird Macron achten müssen: Es wird etwa über die Ernennung einer Premierministerin spekuliert.

Der Name von Arbeitsministerin Elisabeth Borne ist zu hören, ebenso jener der Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde – wobei Frankreich dann seinen Platz in dieser wichtigen Institution verlieren würde.

Wahlsieg knapper als 2017

Nach vorläufigem amtlichen Endergebnis kam Macron auf 58,55 Prozent der Stimmen, Le Pen auf 41,45 Prozent, wie das Innenministerium in Paris nach Auszählung aller Stimmen der zur Wahl registrierten Wähler in der Nacht auf Montag mitteilte. Der Abstand ist deutlich knapper als vor fünf Jahren. Damals gewann Macron die Stichwahl gegen Le Pen mit 66 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag bei rund 72 Prozent. Auch Le Pen wertete dieses Ergebnis bereits um und ging damit gleich am Sonntag in den Wahlkampf.

Le Pen konnte mehr Departements holen als 2017

Macron sprach einer Umfrage für den Sender France Info zufolge ganz andere Wählerschichten an Le Pen. Laut der Erhebung konnte er jeweils bei den jüngsten und den ältesten Wählerinnen und Wählern eine Mehrheit gewinnen. Für ihn stimmten zudem insbesondere Menschen mit Hochschulbildung, Beamte, Selbstständige – dafür nur wenige Arbeiterinnen, Arbeiter und Arbeitslose.

Le Pen überzeugte vor allem Arbeiter, Arbeiterinnen und Angestellte sowie vorrangig Menschen mit niedrigerem Einkommen. Bei Franzosen und Französinnen, die angaben, mit ihrem Leben unzufrieden zu sein, konnte sie ebenfalls verstärkt punkten.

Frankreich-Wahl: Der Tag danach

Laut vorläufigem Endergebnis hat Emmanuel Macron bei der Stichwahl mehr als 58 Prozent der Stimmen erhalten. Besonders in Brüssel zeigt man sich erleichtert – doch ganz so einfach ist das nicht.

Derweil wird Le Pens besseres Abschneiden als 2017 auch daran sichtbar, dass sie in deutlich mehr Departements die Mehrheit der Stimmen holte als noch 2017. Vor allem in Teilen von Frankreichs Norden und in einigen Landesteilen weit im Süden konnte sie Erfolge verbuchen, ebenso in den Überseegebieten und auf Korsika. Macron hingegen schnitt besonders in Großstädten und ihren Ballungsräumen gut ab. Auch hier ist eine Spaltung gut erkennbar. Die Frage ist, welche Partei oder Bewegung das bei der Parlamentswahl für sich nutzen kann.

Reaktionen auf Wahlsieg von Macron

ORF-Korrespondentin Leonie Heitz erläutert die Reaktionen auf den Wahlsieg von Emmanuel Macron in Frankreich. Sie spricht auch über den großen Anteil der Unzufriedenen im Land.

Macron setzt auf handverlesene Kandidaten

Macron selbst will offenbar bereits jetzt Nägel mit Köpfen machen. Er werde persönlich über die Kandidaten für die Wahl am 12. und 19. Juni entscheiden, berichtete der Sender FranceInfo am Montag. Wahlplakate und Broschüren seien bereits vorbereitet. Vor der Wahl solle es ein Treffen aller von Macrons Partei unterstützten Kandidaten und Kandidatinnen in Paris geben wie bereits 2017.

Im Rechtsaußen-Lager sieht es derzeit nicht nach einer Allianz zwischen den beiden Flügeln aus. Der rechtsextreme Ex-Kandidat Eric Zemmour hatte am Vorabend zu einem Wahlbündnis aufgerufen, aber süffisant darauf hingewiesen, „dass sich der Name Le Pen zum achten Mal mit einer Niederlage verbindet“.

Louis Aliot, Vizechef von Le Pens Rassemblement National, empfahl ihm daraufhin, „von seinem hohen Ross runterzusteigen“. „Ich sehe nicht, wie es ein Bündnis mit (Zemmours Partei) Reconquete geben könnte“, so Aliot. Aus dem Umfeld von Le Pen ist zu hören, dass diese nicht wieder die Parteiführung übernehmen wolle, die sie zu Beginn des Wahlkampfs an Jordan Bardella abgegeben hatte.