Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag Karim Khan in Bucha
Reuters/Volodymyr Petrov
EU und Weltstrafgericht

Allianz für Ermittlungen zu Kriegsverbrechen

Die Untersuchung vermuteter russischer Kriegsverbrechen in der Ukraine nimmt Fahrt auf: Das Büro des Chefanklägers am Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) kündigte am Montag in Den Haag an, sich einem Ermittlungsteam aus der Ukraine sowie den EU-Staaten Polen und Litauen anzuschließen. Eine solche Zusammenarbeit gilt als Novum.

IStGH-Chefankläger Karim Khan und die Generalstaatsanwälte der drei europäischen Länder unterzeichneten nach Angaben der EU-Justizagentur Eurojust ein Abkommen über die Zusammenarbeit. Das sei „eine klare Botschaft, dass alle Anstrengungen unternommen werden, um Beweise für die in der Ukraine begangenen schweren Verbrechen zu sammeln und die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen“, hieß es.

Chefankläger Khan hatte vor rund zwei Wochen die ukrainische Stadt Butscha besucht, wo nach dem Abzug russischer Truppen die Leichen Hunderter Zivilpersonen entdeckt worden waren. Dabei bezeichnete er die gesamte Ukraine als möglichen „Tatort“.

Mehr Rechte für Eurojust

Die EU-Kommission schlug unterdessen in Brüssel vor, das Mandat von Eurojust für die Ermittlungen zu stärken. Die Behörde soll mehr Möglichkeiten beim Sammeln, Speichern und Teilen von Beweisen bekommen. Durch eine Änderung der Eurojust-Verordnung soll es der in Den Haag ansässigen Behörde ermöglicht werden, Beweise für Kriegsverbrechen außerhalb der Ukraine aufzubewahren und sie dem IStGH zur Verfügung zu stellen. Konkret geht es etwa um Video- und Audioaufnahmen sowie Satellitenbilder, die ansonsten Russland in die Hände fallen könnten.

Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag Karim Khan in Bucha
APA/AFP/Fadel Senna
Khan hatte die Ukraine als „Tatort“ bezeichnet

„Wir müssen Eurojust verstärken, um sicherzustellen, dass es über die notwendigen Instrumente verfügt, um das Ausmaß der Gräueltaten in der Ukraine zu bewältigen“, sagte EU-Kommissionsvize Vera Jourova. EU-Justizkommissar Didier Reynders betonte, die Verantwortlichen für Kriegsverbrechen müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Wegen des andauernden Krieges sind Beweise in der Ukraine derzeit nicht sicher. Deshalb sei es notwendig, die Daten der EU-Agenturen sowie internationaler Behörden und zivilgesellschaftlicher Organisationen zentral zu sichern, teilte die EU-Kommission mit.

Die aktuellen Regeln sehen eine solche Möglichkeit jedoch nicht vor. Auch die direkte Zusammenarbeit mit internationalen Justizbehörden wie dem IStGH sei nicht vorgesehen. Über den Vorschlag müssen nun noch die EU-Staaten und das EU-Parlament verhandeln.

UNO: Anzeichen für Kriegsverbrechen mehren sich

Die UNO hatte erst kürzlich mitgeteilt, dass sich die Anzeichen für Kriegsverbrechen in der Ukraine mehren. Die russischen Streitkräfte hätten wahllos bewohnte Gebiete beschossen und bombardiert und dabei Zivilpersonen getötet sowie Krankenhäuser, Schulen und andere zivile Infrastrukturen zerstört, berichtete das Büro der Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet.

Neben wahllosen Angriffen und der Verweigerung medizinischer Hilfe gebe es Hunderte Berichte über willkürliche Tötungen und auch über sexuelle Gewalt. Solche Taten kämen Kriegsverbrechen gleich. „Es gibt bereits ein Blutbad (in der Ukraine, Anm.)“, sagte die Sprecherin des Büros, Ravina Shamdasani. „Wir schauen besorgt auf das, was als Nächstes kommt. Auch Kriege haben Regeln, und sie müssen respektiert werden.“

Das Büro verwies auf einen Angriff auf den Bahnhof in Kramatorsk in der Region Donezk, wo am 8. April Streumunition 60 Zivilisten getötet habe. Dieser zeige, dass die Prinzipien des humanitären Völkerrechts ignoriert würden, teilte Bachelet mit. Erst am Montag hatte es weitere russische Angriffe auf das ukrainische Bahnnetz gegeben. Dabei standen auch fünf Bahnhöfe in der Westukraine unter Beschuss, es gab Tote.

Appell an alle Seiten

Es gebe auch immer mehr Anzeichen für willkürliche Tötungen, darunter in Butscha. Zivilpersonen würden zudem gegen ihren Willen festgehalten, und es gebe Berichte über Folter, Misshandlungen und Verschleppungen. Fünf Verschleppte seien tot gefunden worden. Auch ukrainische Streitkräfte hätten im Osten des Landes offenbar wahllos Waffen eingesetzt, zivile Opfer in Kauf genommen sowie zivile Infrastruktur zerstört, so die UNO. Ebenso gebe es Berichte, dass ukrainische Streitkräfte oder ihre Verbündeten Gefangene ohne Kontakt zur Außenwelt festhalten.

Bachelet appellierte an alle Seiten, das humanitäre Völkerrecht einzuhalten. Dazu gehöre unter anderem, dass zwischen militärischen und zivilen Zielen unterschieden werde, Zivilisten nicht gezielt angegriffen werden und dass niemand gefoltert werde.