Euroscheine Geldbörse
ORF.at/Christian Öser
„Alles wird teurer“

Inflation zwischen Gefühl und Realität

„Alles wird ständig teurer.“ Kaum ein Satz ist in Gesprächen über die aktuelle wirtschaftliche Lage öfter zu hören – und diese Feststellung hat bei einer Inflationsrate, die zuletzt vor über 40 Jahren ähnlich hoch war wie heute, auch ihre Berechtigung. Dennoch gehen subjektive Einschätzung, gefühlte Teuerung und offizielle Zahlen oft deutlich auseinander, aus mehreren Gründen.

Laut Statistik Austria lag die Inflationsrate im März (letzte aktuelle Berechnung) in Österreich bei 6,8 Prozent. Auf einem ähnlichen Niveau hatte sie sich mit 7,0 Prozent im November 1981 bewegt, lange vor der Einführung des Euro. Ausschlaggebend war vor allem der starke Preisanstieg etwa bei Treibstoffen und Haushaltsenergie, aber auch Lebensmitteln.

Der Verbraucherpreisindex (VPI) wird anhand eines modellhaften Warenkorbs, in dem sich (insgesamt zwölf) unterschiedliche Gruppen von Gütern und Dienstleistungen finden, berechnet. Diese reichen von Ausgaben für Lebensmittel und Bekleidung über Wohnung, Wasser und Energie, Verkehr, Freizeit und Kultur bis hin zu den unterschiedlichsten Dienstleistungen.

Statistik und persönliche Lebensumstände

Der Warenkorb wird alle fünf Jahre neu gefüllt, um veränderten Konsumgewohnheiten gerecht zu werden. Zuletzt war das mit dem VPI 2020 der Fall. Das Pendant des VPI auf europäischer Ebene ist der von der EU-Statistikbehörde Eurostat errechnete Harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI).

Grafik zum Thema: Infaltion in Österreich im März
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Er lag im März bei 6,7 Prozent. Die Berechnung erfolgt gewichtet nach dem prozentuellen Anteil der einzelnen Positionen „an den Gesamtausgaben des Durchschnittshaushalts“, wie es bei der Statistik Austria heißt.

Allerdings liegen Ausreißer in der Natur der Statistik, und nicht alle Haushalte haben dieselbe Ausgabenstruktur wie der Durchschnittshaushalt. Ohne Auto und mit Wohnung im Eigentum sieht diese anders aus als mit einem Pkw zum täglichen Pendeln und einer Mietwohnung. Damit kann die persönliche Inflationsrate durchaus anders aussehen als die offizielle, dasselbe gilt für die subjektive Einschätzung der Preisentwicklung. Warum?

Markante Abweichungen vom Durchschnitt

Der Warenkorb für den VPI für einen real „so nicht beobachtbaren Durchschnittshaushalt“, erklärt der Ökonom Josef Baumgartner vom Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) im Gespräch mit ORF.at, sei ein notwendiges statistisches Konstrukt, damit die Statistik Austria die gesamtwirtschaftliche Teuerung ermitteln könne.

Aber: Die konkrete Ausgabensituation eines Haushalts könne ähnlich „von dieser Gewichtungsstruktur markant abweichen“ wie die individuell gefühlte Inflation deutlich von der offiziell berechneten Teuerungsrate.

Spürbare Belastungen

Ein Haushalt mit einem Einfamilienhaus am Land, vielleicht noch mit Ölheizung, dazu zwei Pkws, die für den Weg in die Arbeit gebraucht werden, werde aktuell eine um ein Vielfaches höhere Belastung spüren als eine Familie in der Stadt, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln und Fahrrad unterwegs ist und ihre Wohnung mit Fernwärme beheizt. Die Frage laute also: Wie repräsentativ ist der Durchschnittshaushalt für einen konkreten Haushalt? Hier könne es mitunter „sehr große Abweichungen“ geben, so Baumgartner.

Haushaltsrechnung und Teuerung

Die Europäische Zentralbank (EZB) erklärt das bezogen auf das obige Beispiel so: „Private Haushalte, die eine überdurchschnittliche Inflation erleben, spüren dies womöglich stärker als Haushalte, die von einer unterdurchschnittlichen Inflationsrate profitieren.“ Zur Berechnung der persönlichen Inflation bietet die Statistik Austria einen eigenen Rechner an.

Grafik zum Thema: Notwendige Ausgaben in Haushalten
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Faktor Psychologie: „Was mir schadet, spüre ich stärker“

Wenn von der gefühlten Inflation gesprochen wird, komme außerdem ein sozialpsychologischer Faktor zum Tragen: die „Verlustangst“, erläutert WIFO-Ökonom Baumgartner. Diese wirke nach dem Muster: „Was mir schadet, spüre ich stärker.“

Umgelegt auf die gefühlte Teuerung bedeute das, dass Preissteigerungen viel stärker – etwa doppelt so stark – wahrgenommen würden als sinkende Preise. In der Inflationsmessung der Statistik werden Preiserhöhungen und Preissenkungen aber gleich bewertet.

Dinge des täglichen Bedarfs stärker „am Radar“

Besonders stark wahrgenommen würden Preisschübe außerdem bei Dingen des täglichen Bedarfs oder solchen, die man zumindest häufig kaufe und ohne die man nicht auskommt. Damit gemeint sind etwa Lebensmittel, Haushaltsenergie und Treibstoffe. Bei langlebigen Gütern, die man nur selten neu anschafft, wie PCs, Handys und Pkws habe man diese, so Baumgartner, in der Regel „nicht so stark am Radar“.

Durch die unterschiedliche Bewertung von Preissteigerungen und Preissenkungen liege schließlich bei einer hohen Inflationsrate die gefühlte Teuerung sehr stark über den offiziellen Zahlen der amtlichen Statistik.

Rückblick: Inflation und „Teuro“

Die EZB verweist noch auf einen weiteren Faktor: Erinnerung. Inflationsraten bezögen sich auf einen Einjahreszeitraum, die persönliche Erinnerung reiche aber weiter zurück. In die persönliche Einschätzung flössen demgemäß „manchmal auch Preise aus Jahren mit ein, die schon länger zurückliegen“. Bestes Beispiel: Die Einführung des Euro samt „Teuro“-Debatte ab 2002. Die Inflationsrate lag in Österreich damals bei 1,8 Prozent, nach 2,3 Prozent ein Jahr zuvor und 1,3 Prozent im Jahr 2003.

Enormer Preisschub bei Treibstoffen und Energie

Wenn auch die subjektive Einschätzung noch über der offiziellen Teuerungsrate liegt, ist diese aktuell sehr hoch. Laut letzten aktuellen Zahlen stieg sie im März auf 6,8 Prozent. Ausschlaggebend dafür waren vor allem der Preisschub bei Treibstoffen, Haushaltsenergie und Lebensmitteln.

Flamme auf einem Gasherd
ORF.at/Christian Öser
Der Preis für Erdgas stieg um mehr als 70 Prozent

Das Preisniveau für Benzin und Diesel lag über 50 Prozent über dem vom März 2021, Sprit kostete erstmals über zwei Euro pro Liter, die Kosten für Haushaltsenergie stiegen um 33,5 Prozent. Heizöl kostete im Durchschnitt mehr als doppelt so viel wie ein Jahr zuvor, die Preise für Erdgas und Strom stiegen um 71,9 und 16,5 Prozent.

Wocheneinkauf deutlich teurer geworden

Lebensmittel und alkoholfreie Getränke verteuerten sich im Jahresabstand um 5,8 Prozent. Deutlich teurer (plus 13,7 Prozent) wurde insgesamt der ebenfalls von der Statistik Austria berechnete Miniwarenkorb, der den Wocheneinkauf abbildet, in dem aber auch Dienstleistungen und Treibstoffe enthalten sind. Der Mikrowarenkorb, der den täglichen Einkauf widerspiegelt, wurde um 6,3 Prozent teurer.

Wer ist wie stark betroffen?

Das WIFO ging zuletzt in einer Studie unter dem Titel „Steigende Lebenshaltungskosten und Armut“ der Frage nach, wen die steigenden Preise wie stark treffen. Fazit: Haushalte mit geringen Einkommen und fehlenden Ersparnissen seien von den aktuell stark steigenden Preise gleich mehrfach negativ betroffen.

Ärmere Haushalte mussten schon bisher ihr gesamtes Einkommen ausgeben, um die Lebenshaltungskosten zu decken. Preissteigerungen führten für sie deshalb unmittelbar zu Konsumeinschränkungen, höherer Verschuldung und dem Wechsel zu billigeren, aber weniger hochwertigen Produkten, heißt es im letzten „Research Brief“ zu dem Thema.

Konsumniveau und Konsumstruktur seien „von der Haushaltszusammensetzung sowie vom verfügbaren Haushaltseinkommen mitbestimmt“. Wen die Inflation wie trifft, hänge „einerseits davon ab, welche Waren und Dienstleistungen ein Haushalt konsumiert“ und andererseits davon, wie sich deren Preise entwickeln. „Jeder Haushalt sieht sich somit einer eigenen Preissteigerungsrate gegenüber.“ In vielen Fällen liegen damit Gefühl und Realität gar nicht so weit auseinander.