Gasverteilstation in Gustorzyn (Polen)
Reuters/Agencja Gazeta
Polen

Gaslieferstopp „direkter Angriff“ Moskaus

Mit einem Lieferstopp für russisches Gas für Polen und Bulgarien gibt es im Gefolge des Ukraine-Krieges die nächste Eskalation. Der russische Staatskonzern Gasprom bestätigte den Lieferstopp, weil die Unternehmen PGNiG und Bulgargas nicht rechtzeitig in Rubel gezahlt hätten. Sofia und Warschau betonten dagegen, ihre Verpflichtungen erfüllt zu haben. Alle Zahlungen, die der Vertrag erforderlich mache, seien rechtzeitig getätigt worden, teilte etwas die bulgarische Regierung mit. Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki bezeichnete den Lieferstopp als „direkten Angriff“ auf sein Land.

„Diesmal hat Russland die Grenze des Imperialismus, des Gasimperialismus, noch einen Schritt weiter verschoben“, sagte Morawiecki am Mittwoch im Parlament in Warschau. Russland wolle sich mit dem Schritt dafür rächen, dass Polen eine Reihe von Oligarchen und Unternehmen mit Sanktionen belegt hat, darunter auch der Staatskonzern Gasprom.

Russland hatte zuvor seine Gaslieferungen an Polen wie angekündigt eingestellt. „Der Hahn wurde zugedreht“, bestätigte Polens Klimaministerin Anna Moskwa im polnischen Hörfunk. Durch die „Jamal“-Pipeline fließe kein russisches Gas mehr. Kurz darauf bestätigte auch Bulgariens Energieminister Alexandar Nikolow die Einstellung der russischen Gaslieferungen.

Gasprom warnt Polen und Bulgarien

Gasprom warnte Polen und Bulgarien, russisches Gas anzuzapfen, das über ihr Gebiet an andere Länder geliefert wird. „Wenn sie unerlaubt russisches Gas aus den Transitmengen für Drittländer entnehmen, werden die Transitlieferungen in dieser Höhe gesenkt.“ Über die „Jamal“-Pipeline, die für Österreich nicht von Relevanz ist, fließt normalerweise Gas über Tausende Kilometer von Russland über Belarus nach Polen und bis nach Mallnow im deutschen Bundesland Brandenburg, wo das Gas übernommen und Richtung Westeuropa weitergeleitet wird.

Allerdings hat die Bedeutung der Verbindung zuletzt abgenommen. Nach Zahlen der deutschen Netzagentur floss durch „Jamal“ in den vergangenen Wochen wenig bzw. kein Gas mehr nach Deutschland. Wichtigste Verbindung zwischen Russland und Deutschland ist die Ostsee-Pipeline „Nord Stream 1“, die Polen und Belarus umgeht.

„Weiterer Versuch, uns mit Gas zu erpressen“

Nikolow warf Russland vor, Gas als politische und wirtschaftliche Waffe einzusetzen. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte, es sei ein „weiterer Versuch Russlands, Gas als Erpressungsinstrument einzusetzen“. Man sei auf eine solche Lage vorbereitet. „Es gibt einen klaren Plan. Die europäische Antwort wird eine gemeinsame sein“, sagte dazu Bulgariens Ministerpräsident Kiril Petkow. Nikolow will am Donnerstag zusammen mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Assen Wassiljew nach Brüssel reisen, um die Lage mit EU-Vertretern zu besprechen.

Polen hält die Auswirkungen der russischen Entscheidung auf das eigene Land für gering. Morawiecki sagte in diesem Zusammenhang, Polen habe genug Gasvorräte. Die Energieversorgung sei gesichert. „Wir haben in den vergangenen Monaten Gas in polnische Speicher gepumpt. Ich betone, in polnische Speicher, nicht in Speicher in Deutschland in russischem Besitz.“

Auch Bulgarien hat nach eigenen Angaben Schritte zur alternativen Gasversorgung unternommen. Vorerst sei keine Begrenzung des Verbrauchs notwendig. Die Versorgung wichtiger Abnehmer mit Gas ist laut Nikolow für mindestens einen Monat gesichert. Das ärmste EU-Land Bulgarien ist seit 2007 Unionsmitglied, aber noch immer fast komplett von Gaslieferungen aus Russland abhängig. Ein Anschluss an das Netz des benachbarten Griechenlands soll im Juni fertig sein. Damit will Bulgarien Gas auch aus anderen Ländern beziehen.

Streit über Zahlungsmodalitäten

Hintergrund des Gaskonflikts mit Russland ist ein Streit über die Zahlungsmodalitäten. Kreml-Chef Wladimir Putin hatte im März gefordert, dass westliche Staaten mit Wirkung zum 1. April Konten bei der Gasprombank eröffnen, um Lieferungen zu bezahlen. Andernfalls würden die Lieferungen an „unfreundliche“ Länder eingestellt. Nach einem von Putin unterzeichneten Dekret können die Zahlungen weiter in Euro oder Dollar auf das russische Konto eingezahlt werden. Die Gasprombank konvertiert das Geld in Rubel und überweist den Betrag in der russischen Währung an Gasprom.

Laut Reuters gibt es Informationen, dass Polen und Bulgarien die von Gasprom vorgegebenen Zahlungskonditionen abgelehnt haben. In Österreich habe die OMV den Angaben zufolge die Bedingung, dass die Gelder für geliefertes Gas bei der Gasprombank in Euro eingezahlt und dann in Rubel konvertiert werden, angenommen.

„Die OMV bezahlt Gaslieferungen aus Russland selbstverständlich weiterhin in Euro“, so Bundeskanzler Karl Nehammer, der via Twitter einem in sozialen Netzwerken zirkulierenden Bericht, wonach Österreich seine Gasrechnungen in Rubel bezahle, als „Fake News der russischen Propaganda“ bezeichnete. Der heimische Energieregulator E-Control bestätigte indes Regierungsangaben, wonach Russland auch nach einem entsprechenden Stopp für Polen und Bulgarien weiterhin Erdgas nach Österreich liefert.

Tschechien: Müssen auf jedes Szenario vorbereitet sein

Die Lieferung von russischem Transitgas laufe nach wie vor plangemäß, hieß es am Mittwoch unter anderem auch aus Ungarn. Die ausbleibenden Gaslieferungen für Bulgarien würden nicht zugleich einen Stopp des Gastransits durch Bulgarien bedeuten, so der ungarische Außenminister Peter Szijjarto.

Auch in Tschechien liegen nach Regierungsangaben bisher keine Anzeichen oder Informationen für eine Unterbrechung seiner Gasversorgung vor. Allerdings müsse man auf jedes Szenario vorbereitet sein, nachdem Russland erklärt habe, die Belieferung Polens und Bulgariens gestoppt zu haben, sagte Ministerpräsident Petr Fiala.

„Müssen Speicher füllen“

Auch der deutsche Energiekonzern Uniper erwartet derzeit keine Einschränkungen für Lieferungen nach Deutschland. Die deutsche Gaswirtschaft schlug dennoch Alarm. „Wir müssen jetzt Gas sparen, damit wir im Winter genug haben“, sagte der Chef des Verbandes Zukunft Gas, Timm Kehler, am Mittwoch per Aussendung.

Die Märkte hätten bereits mit Preissprüngen reagiert. Der Lieferstopp für Polen und Bulgarien zeige, dass die Lieferung tatsächlich zum Spielball des politischen Kalküls von Russland geworden sei. Offenbar wolle Russland die Speicherfüllung für den nächsten Winter in den Mittelpunkt der Diskussion rücken und den Westen so herausfordern.

Nur erster „Vorgeschmack“?

Nach Ansicht des Energieexperten Simone Tagliapietra vom Brüsseler Wirtschaftsinstitut Bruegel ist der Lieferstopp ein Wendepunkt in den Energiebeziehungen zu Russland. „Und sie könnte ein Vorgeschmack auf ähnliche Schritte gegen andere europäische Länder in den kommenden Wochen sein.“ Die europäischen Regierungen müssten Notfallmaßnahmen ergreifen, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. „Jede Milliarde Kubikmeter Gas, die nicht verbraucht wird, ist jetzt wichtig.“

Vor dem Hintergrund des russischen Krieges gegen die Ukraine versucht der Westen, seine Abhängigkeit von russischen Energielieferungen zu verringern. Ein sofortiges Öl- und Gasembargo lehnen Österreich, Deutschland und andere Staaten aus Furcht vor schweren wirtschaftlichen Schäden ab. Österreich bezieht 80 Prozent der Gasimporte aus Russland und kann kurzfristig nicht ohne große Probleme für die Wirtschaft darauf verzichten.