Ventil bei einer Gasaufbereitungsanlage
Reuters/Kacper Pempel
Experten zu Gasstopps

Warnung an Deutschland

Experten sind überzeugt, dass die Einstellung der russischen Gaslieferungen an Polen und Bulgarien politisch motiviert ist. Sie „ist sicherlich eine Warnung an Deutschland“, sich ein mögliches Erdölembargo der EU gegen Russland „noch einmal zu überlegen“, sagte etwa Mario Holzner, Direktor des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW).

Die Forderung Russlands, dass „unfreundliche“ Staaten die russischen Gaslieferungen in russischen Rubel bezahlen sollen, „ist natürlich ein Knackpunkt“, der zu einer Verschärfung der Konfrontation führen könnte, sagte WIIW-Ökonom Vasily Astrov. Der Krieg in der Ukraine werde immer mehr zum Stellvertreterkrieg, so der Russland-Experte Alexander Dubowy von der Gesellschaft für Eurasische Studien (EURAS).

Grundsätzlich gebe es keinen „der sogenannten unfreundlichen Staaten“, also keinen EU-Staat, der „nicht von den Gassanktionen betroffen werden könnte“. Auch Österreich und Deutschland seien grundsätzlich nicht davor gefeit, von Energielieferungen abgeschnitten zu werden, sagte Dubowy. Russland werde „Energielieferungen auch künftig als außenpolitische Waffe einsetzen, in Zukunft wohl auch wesentlich stärker als bisher“.

Kein Gas mehr für Polen und Bulgarien

Mit einem Lieferstopp für russisches Gas für Polen und Bulgarien gibt es im Gefolge des Ukraine-Krieges die nächste Eskalation. Nach Österreich fließe russisches Gas aber weiterhin, betont die Politik. Laut einer Studie der Energieagentur könnte Österreich auch ohne russisches Gas auskommen, aber erst ab 2027.

„Symbolpolitik“

Je stärker der Konflikt zwischen Russland und dem Westen sich zuspitze, „desto eher wird Russland bereit sein, auch seine langfristigen Energiebeziehungen aufs Spiel zu setzen“. Der Gasstopp für Polen und Bulgarien erlaube Putin, diesen für „interne Propagandazwecke“ einzusetzen, sagte Dubowy. „Die russische Staatspropaganda wird es als großen Sieg für Wladimir Putin und Russland verbuchen.“ Es gehe um die Signalwirkung und eine Drohung gegenüber allen EU-Staaten, erklärte Dubowy.

„Diese ganze Diskussion, ob man etwas in Rubel oder Dollar oder Euro zahlt, ist ein bisschen eine virtuelle Diskussion“, sagte Holzner. Tatsächlich ändere sich für die Staaten nicht viel, wenn sie die Beträge in Euro und Dollar an ein Konto bei der nicht von den EU-Sanktionen eingeschlossenen Gasprombank einzahlen, die diese in die russische Währung konvertiere. Die Diskussion darüber habe rein ökonomisch gesehen nicht viel Sinn, dabei gehe es mehr um „Symbolpolitik“.

Mit dem Stopp der Gaslieferungen an Polen und Bulgarien teste Russland, wie ernst es die EU mit den Sanktionen meine, sagte Holzner. Polen habe ohnehin bald auf russische Gaslieferungen verzichten wollen, das sei also nur symbolisch. „Bulgarien ist das schwächste Glied in der Kette, das ist das ärmste Land in der europäischen Union, das ist also auch eher symbolisch zu sehen“, so Holzner.

„Alles hängt von Deutschland ab“

„Letztlich wird auch niemand Österreich fragen, es wird alles von der Entscheidung in Deutschland abhängen.“ Wenn sich Deutschland für ein Embargo entscheide, „dann werden auch Österreich, Tschechien und die Slowakei folgen“. Bei einem Totalembargo von Öl und Gas werde es für Russland sehr eng, ergänzte Astrov.

40 Prozent der Einnahmen des russischen Staates würden aus dem Energiesektor stammen – darin sei aber auch der Absatz in Russland enthalten. Bei einem Totalembargo durch die EU würden also laut Astrov etwa 15 bis 20 Prozent der russischen Staatseinnahmen wegfallen. Holzner glaubt außerdem nicht, dass ein Totalembargo den Krieg stoppen würde. „Ich glaube nicht, dass Russland zu irgendetwas gezwungen werden kann. Es ist immer die ausschließliche Entscheidung Russlands, was es macht.“

Russland kann sogar profitieren

Von der aktuellen Unterbrechung der russischen Gaslieferungen nach Polen und Bulgarien könnte Moskau aus Sicht des Energieexperten Walter Boltz aber sogar profitieren. Allein durch die Ankündigung würden die Gaspreise wohl auch in den nächsten Tagen noch ein Stück weiter steigen, sodass Russland in Summe kein Geld verliere. „Das zeigt die Skurrilität der Situation“, so der frühere E-Control-Vorstand am Mittwoch. Der Druck auf ein Gasembargo werde sicher noch einmal steigen.

Dass Österreich bis 2027 ohne russisches Gas auskommen kann, wie das die Österreichische Energieagentur in einer Studie für das Umweltministerium errechnet hat, hält Boltz für möglich. Technisch sei das sicher machbar, meinte er im Ö1-Mittagsjournal des ORF-Radios, da die Mengen durch Gas aus anderen Quellen zu ersetzen wären. Zur Frage hoher Einsparpotenziale durch Energieeffizienz bzw. der Frage, wer wie viel einsparen solle, fehle ihm aber „etwas die Fantasie“.

Binnen drei, vier Jahren die nötigen Gasmengen durch einen Zukauf auf dem Weltmarkt zu ersetzen, sei „relativ leicht zu realisieren“, meinte der Energieexperte. Es gebe Pipelines nach Italien, auch nach Deutschland, Slowenien und Kroatien. „Bei intensiven Bemühungen sollte es nicht so schwierig sein, diese Gasmengen auf dem Weltmarkt zu beschaffen.“

Stromerzeugung und Industrie

Der Kern sei ja die Verwendung von Gas für Stromerzeugung, Fernwärme und Industrie. Und in der Industrie sei eine Einsparung in hohem Ausmaß binnen vier, fünf Jahren wohl nur durch eine Produktionsverlagerung in andere Länder möglich. Bei Strom sei die Frage, woher der sonst kommen sollte. Da wäre dann nur ein Import denkbar, aus Ländern, die dann womöglich mehr Kohlekraftwerke in Betrieb nehmen.

Gewessler: „Keine Anzeichen für Stopp“

Österreich ist nach Aussagen von Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) vom russischen Gaslieferstopp nach Bulgarien und Polen nicht betroffen. „Wir haben keine Anzeichen dafür, dass Russland die Gasversorgung Österreichs drosselt“, sagte sie in der ZIB2. „Aber wir bereiten uns auf den Notfall vor.“ Denn: „Wir haben alle keine Glaskugel“, so Gewessler.

Die unbequeme Wahrheit sei, wenn Russland von einem Tag auf den anderen die Versorgung stoppt, könne Österreich den Ausfall nicht ersetzen. „Die ganze Regierung arbeitet daran, um das zu verhindern.“ Derzeit stehe man am Beginn der Einspeicherung.

ZIB2-Interview mit Energieministerin Gewessler

Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) sagt im ZIB2-Interview, ein Ausstieg aus russischem Gas sei ein „nationaler Kraftakt“ und könne nicht von einem Tag auf den anderen passieren. Auf die Frage, ob es Anzeichen für einen Lieferstopp für Österreich gebe, sagt sie: „Nein, diese Anzeichen haben wir nicht.“

Zugleich verwies die Ministerin darauf, dass seit März kein russisches Erdöl mehr in Österreich verarbeitet werde. „Beim Gas ist die Situation eine andere. Wir haben über Jahre mit Langzeitverträgen eine russische Abhängigkeit aufgebaut. Das sind Voraussetzungen, die nicht in wenigen Woche veränderbar sind.“ Ein Ausstieg von der russischen Abhängigkeit sei ein „nationaler Kraftakt“. Am Ende gehe es um jede Gastherme und jedes Grad Temperatur zu Hause.