Gasstation
APA/AFP/Nikolay Doychinov
Bericht

EU-Ziel für Gasspeicher kaum zu erreichen

Die Ziele der EU, ihre Erdgasimporte aus Russland zu kürzen und zugleich die Speicher bis zum Winter deutlich aufzufüllen, lassen sich nur durch wochenlangen Gasverzicht in Europas Industrie erreichen. Zu diesem Schluss kommt eine Modellberechnung des deutschen Forschungszentrums Jülich, über die der „Spiegel“ am Samstag berichtete.

Das Berechnungsmodell des Jülicher Instituts für Techno-ökonomische Systemanalyse zeige, dass europaweit mehr als 300 Terawattstunden Erdgas (rund 30 Mrd. Kubikmeter) in diesem Jahr eingespart werden müssten, um einen Anfang März vorgelegten EU-Plan zu erfüllen, berichtet der „Spiegel“.

EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans hatte erklärt, dass die EU-Mitgliedsstaaten bis Jahresende auf zwei Drittel ihrer Gaslieferungen aus Russland verzichten und diese aus anderen Quellen ersetzen könnten. Zugleich sollen die Staaten ihre Speicher bis zum November auf mindestens 80 Prozent der Maximalkapazität befüllen – um notfalls auch ohne russisches Gas über den nächsten Winter zu kommen.

Grobe Verknappungen nötig

Beide Ziele zugleich lassen sich laut den Modellberechnungen des Jülicher Instituts nur mit erheblichen Einsparungen der Industrie verwirklichen, wie der „Spiegel“ weiter berichtete. Demzufolge müsste sämtlichen Stahlhütten, Chemiefabriken oder Zementwerken in der EU von jetzt an bis Ende Juli das Gas abgedreht werden – und dazu den Gaskraftwerken fast den gesamten Juli lang.

Nur so ließe sich das Zwischenziel der EU erreichen, die Speicher bis zum 1. August zu 63 Prozent zu füllen, ergaben laut „Spiegel“ die Modellberechnungen. Im Oktober wären demnach weitere Kappungen für die Industrie notwendig, um den 80-Prozent-Pegel bis zum 1. November zu erreichen. All das gelte zudem unter der optimistischen Annahme, dass sich die Einfuhren von Flüssigerdgas (LNG) und Pipelinegas aus anderen Staaten noch einmal deutlich steigern ließen. Derzeit ringen zahlreiche Länder mit einem raschen Ausbau ihrer Flüssiggasinfrastruktur, die Preise explodieren auch hier.

„Wenn die Speicher entsprechend der geplanten Vorgaben aufgefüllt und zugleich die Lieferungen aus Russland derart stark gekürzt werden sollen, geht das nur mit deutlichen Einschränkungen für die Industrie und die Kraftwerke“, sagte Jochen Linßen, Professor am Forschungszentrum Jülich, dem „Spiegel“.

Notfallpläne wollen Versorgung für Private sichern

Bereits jetzt zeichnet sich in der EU ein Konflikt darüber ab, wo konkret Gas eingespart werden soll. Der deutsche Notfallplan Gas sieht etwa vor, dass Kunden wie Privathaushalte oder soziale Dienste wie Krankenhäuser vorrangig versorgt werden müssen. Einsparen ließe sich also nur bei den Unternehmen, die Gas für ihre Produktion oder als Brennstoff für Kraftwerke benötigen. Wirtschaftsvertreter fordern hingegen, notfalls private Endverbraucher abzuschalten.

In Österreich gibt es mit dem bereits aktivierten Notfallplan die grundsätzliche Möglichkeit, in den Markt für die Gasversorgung einzugreifen. Der Notfallplan umfasst drei Stufen, die nicht nacheinander ausgerufen werden müssen. Diese sehen unter anderem eine engmaschige Überwachung des Gasmarktes (Stufe 1), eine Aufforderung zur Reduktion des Gasverbrauchs an die Industrie (Stufe 2) sowie Rationierungen bei nicht ausreichender Versorgung vor (Stufe 3).

Vorrangiges Ziel ist auch in Österreich, dass die Gasversorgung von Haushalten und kleinen Betrieben gewährleistet bleibt. Doch auch die Industrie warnt vor den erheblichen Konsequenzen, die ein Gasstopp nach sich ziehen würde. Besorgt zeigte sich am Samstag etwa die steirische Industrie, die sich derzeit auf Notfälle vorbereitet – mehr dazu in steiermark.ORF.at.

Gas bleibt Druckmittel

Die Gasversorgung ist ein zentrales Druckmittel Russlands im Ukraine-Krieg. Vor wenigen Tagen hatte Moskau Polen und auch Bulgarien den Gashahn zugedreht und zur Begründung erklärt, die Länder hielten sich nicht an die Zahlungsmodalitäten. Polen bekommt nun Hilfe unter anderem aus Litauen und der Slowakei und ab Herbst über eine neue Gaspipeline durch die Ostsee, die Baltic Pipe. Sie bringt norwegisches Erdgas nach Polen. Auch Bulgarien verwies auf Alternativen zu Russland.

Sein Land habe sich „schon seit Jahren gut auf dieses Szenario vorbereitet“ und verfüge außerdem über hohe Füllstände in den Gasspeichern, sagte Polens Vizeaußenminister Szymon Szynkowski. Sein Land habe schon seit 2015 schrittweise die eigene Abhängigkeit von russischem Erdgas um etwa 20 Prozent zurückgefahren. Polen habe ein Terminal für Flüssiggas gebaut und produziere zudem inzwischen etwa 20 Prozent des Gasbedarfs selbst.

Österreichs Speicher zu 18 Prozent gefüllt

Polens Gasspeicher seien bis zu 80 Prozent voll, der EU-Durchschnitt betrage derzeit nur 30 Prozent. In Österreich sind die Gasspeicher besonders schlecht gefüllt. Laut Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) sind derzeit 16,7 Terawattstunden an Gas eingespeichert. Das entspreche einem Füllstand von rund 18 Prozent, wobei die Ministerin darauf hinwies, dass Österreich über „sehr große“ Speicher verfüge.

Die Regierung verkündete diese Woche, man werde bis zu 6,6 Mrd. Euro aus dem Budget für das Füllen der Gasspeicher auf 80 Prozent einplanen. Gewessler verwies aber gleichzeitig auf die „bittere Realität“. Man könne die Abhängigkeit von Russland nicht von heute auf morgen beenden. „Die Versorgung unseres Landes mit Erdgas hängt an Russland. Wenn Russland kein Gas mehr liefert, ist das eine ernstzunehmende Gefahr für unsere Versorgung.“ Derzeit gebe es keine Anzeichen für einen Versorgungsstopp.