Schallenberg für radikalen EU-Kurswechsel bei Nachbarländern

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) hat sich im Hinblick auf den Ukraine-Krieg für einen radikalen EU-Kurswechsel bei den Nachbarstaaten entlang der Außengrenze ausgesprochen. In einem Interview mit der „Financial Times“ („FT“) sagte er heute, die EU müsse den Nachbarstaaten schnellen Zugang zu „Teilen des Binnenmarkts“ gewähren.

Den Krieg bezeichnete er als „geostrategischen Moment für Europa“. Es brauche eine grundlegendere Antwort auf den russischen Angriffskrieg als Sanktionen gegen Moskau und Hilfe für Kiew. „Wir müssen uns zusammenreißen und unseren Worten Taten folgen lassen“, so Schallenberg. Die EU könne es sich nicht leisten, gegenüber den Nachbarstaaten halbe Sachen zu machen.

Mazedonien-Besuch als Gradmesser

Das Außenministerium betonte auf Nachfrage gegenüber ORF.at, dass die Positionen Schallenbergs freilich nicht neu seien. Es gebe auch andere Länder, die sich bereits teils in eine ähnliche Richtung geäußert hätten. Schallenbergs Vorstoß birgt aus Sicht von Beitrittskandidaten das Risiko, dass das zu einer Art langfristiger Vorstufe zur eigentlichen Mitgliedschaft werden könnte.

Nächste Woche reist Schallenberg unter anderem nach Nordmazedonien, das seit 2005 offizieller Beitrittskandidat ist. Der Besuch wird auch ein Gradmesser dafür sein, wie viel Dynamik Schallenbergs Idee entwickeln kann.

„Entweder unser Modell oder das eines anderen“

„Es gibt kein Vakuum. Es ist entweder unser Modell oder das eines anderen“, so Schallenberg in der „FT“. Unter anderem forderte er, die EU solle ihren Beitrittsprozess überdenken. Als Übergangsprozess zu einer Vollmitgliedschaft solle etwa rascher Zugang zu Teilen des Binnenmarkts gewährt werden sowie zu EU-Institutionen und -Programmen.

Man müsse ein „Maximum an Fantasie“ aufwenden, um nicht wie „für jeden EU-Beitritt seit jenem Großbritanniens“ an der gleichen „Schablone“ festzuhalten, so Schallenberg. Und: Bestrebungen der Westbalkan-Staaten Albanien, Nordmazedonien und Moldawien sollen gleichrangig mit der Ukraine gesehen werden, so Schallenberg.

„Nicht Hinterhof Europas, sondern Innenhof“

Im Hinblick auf diese Länder sagte er: „Wir sprechen hier nicht nur über den Hinterhof Europas, sondern über den Innenhof. Das sind Staaten, die von anderen EU-Mitgliedsstaaten umgeben sind.“

Schallenberg forderte Brüssel auf, sich beim Beitritt neuer Staaten „nicht in Zahlen, Gesetzen und Details zu verlieren“. Stattdessen sei der Beitritt eine Notwendigkeit zur Bekämpfung des russischen Einflusses. Erweiterungen seien kein „bürokratischer Ansatz, sondern ein geostrategisches Instrument“.

Aussagen über Ukraine sorgten für Kritik

Ende April sagte Schallenberg über einen möglichen EU-Beitritt der Ukraine, dass eine Anbindung an die EU womöglich nicht über eine Vollmitgliedschaft erfolgen solle. Die Aussagen Schallenbergs wurden unter anderem von der Ukraine, aber auch innenpolitisch kritisiert. Schallenberg sagte, man dürfe nicht auf den Westbalkan vergessen, außerdem müsse man aufpassen, welche „Erwartungshaltungen“ man entstehen lasse.