Blick von oben auf eine Gasstation
APA/AFP/Nikolay Doychinov
EU sucht nach Lösungen

Mögliche Wege aus dem Gasdilemma

Die EU steht vor mehreren großen Hürden beim Thema Gas: Die Abhängigkeit von Russland soll reduziert werden – und das, obwohl die Preise weiterhin extrem hoch sind. Die Speicher müssen noch vor dem Winter gefüllt werden. Während langfristig ein Ausstieg aus dem Gas auf dem Programm steht, werden auch kurzfristig Lösungen gesucht. Ansätze gibt es einige, doch die meisten haben zumindest einen Haken.

Die hohen Preise für Energie sind freilich nichts Neues, schon vor dem Krieg in der Ukraine war die internationale Nachfrage enorm hoch, und damit auch entsprechend die Preise. Diese lägen etwa auf dem drei- bis vierfachen Niveau von 2018 und 2019, wie Christian Egenhofer vom Brüsseler Thinktank Centre for European Policy Studies (CEPS) im Gespräch mit ORF.at sagt. Durch den Krieg sei diese Phase „nochmal verlängert“ worden, so Egenhofer.

Erst im April gab es ein erstes Treffen der EU-Kommission mit den Mitgliedsstaaten, bei dem es um eine gemeinsame Plattform für den Kauf von Gas, Flüssigerdgas (Liquefied Natural Gas, LNG) und Wasserstoff ging – ähnlich wie beim Kauf der CoV-Impfstoffe will die EU hier an einem Strang ziehen.

In der zugehörigen Aussendung hieß es, dass man damit die europäische Energieversorgung zu „leistbaren Preisen“ in der derzeitigen Situation sicherstellen und die Abhängigkeit von russischem Gas zurückfahren wolle. Auch Österreich meldete bereits Interesse an.

Keine großen Preissprünge zu erwarten

Die EU will mit diesem Vorhaben also als Einheit auftreten, manche sagen auch: als Kartell – und damit größeres Gewicht in Verhandlungen bringen. Doch ausgerechnet die Aussicht auf „leistbare Preise“, wie es in der EU-Aussendung hieß, teilt der Experte nicht: „Das kann ich mir nicht vorstellen.“ So hohe Gaspreise wie jetzt „gab es noch nie“, damit werde es kurzfristig „schwer, Gas aufzutreiben“. In einem Artikel der Website EU Observer vom März werden ähnliche Zweifel geäußert: Darin wird ein nicht namentlich genannter EU-Diplomat zitiert, der sagt, dass es „kein Wundermittel“ gebe.

Detail der OMV-Erdgasspeicheranlage in Schönkirchen
ORF.at/Roland Winkler
In der EU könnte künftig der Gaseinkauf gemeinsam koordiniert werden

Dennoch könnte der gemeinsame Kauf einen Zweck erfüllen – nämlich das Auffüllen der Gasspeicher, so Egenhofer. Länder wie Österreich, Deutschland und Italien seien stark abhängig von ausreichenden Gasvorräten. Um das Risiko eines plötzlichen Lieferstopps durch Russland zu minimieren, sei es wichtig, dass genügend Gas gespeichert sei, so Egenhofer.

Wettbewerb zwischen den EU-Ländern verhindern

Ein geeintes Vorgehen könnte Konkurrenz zwischen den Ländern und damit einen weiteren Preisanstieg durch internen Wettbewerb verhindern. Bisher wird der Einkauf privat abgewickelt – wie das künftig ablaufen könnte, ist zwar noch unklar. Das Wettbewerbsrecht könnte jedoch zur Hürde werden, wie etwa „Politico“ schreibt: „Die Tatsache, dass die EU mit einer speziellen Plattform günstige Angebote für private und teilstaatliche Energieunternehmen aushandelt, lässt bei den Kartellbehörden die Alarmglocken schrillen.“

Springt die EU ein und kauft das Gas selbst, um es anschließend zu speichern, spielen auch die Kosten für die Speicherung eine Rolle. Große Gasspeicher gebe es aufgrund der geologischen Voraussetzungen – Gas wird unterirdisch gespeichert – vor allem in Deutschland und einigen weiteren Ländern, so Egenhofer. Auch Österreich spielt bei der Lagerung eine Rolle. Entsprechend müssten jedenfalls die Kosten auch auf die anderen Länder aufgeteilt werden.

Gasspeicher in Oberhausen
AP/Martin Meissner
Nicht überall kann Öl eingelagert werden, Deutschland – hier etwa Oberhausen – und auch Österreich spielen wichtige Rollen

Denkbar seien auch mehrjährige Deals, so der Energieexperte. So könnte man sich verpflichten, Gas aus anderen Staaten zu beschaffen – und dann beispielsweise ein Jahr einen niedrigeren Preis, neun Jahre dafür aber dann mehr zu zahlen. Das wäre womöglich auch mit politischen Zugeständnissen an nicht unumstrittene Länder verbunden. Eine gemeinsame Plattform dafür hält Egenhofer aber nicht für nötig.

Subvention würde Probleme nicht lösen

Doch was könnte den Preis für Erdgas tatsächlich drücken? Egenhofer sieht hier eine Deckelung als effiziente Möglichkeit, die Kosten für Verbraucherinnen und Verbraucher zu senken. Gas würde zum gleichen Preis eingekauft werden, Verbraucher würden nur einen Anteil davon zahlen – den Rest könne etwa der Staat stemmen. Denkbar sei das auch nur für einen Teil des Gases, etwa jenem Anteil, der für die Stromversorgung genutzt wird. Dieser betrage laut dem Experten etwa 20 Prozent, so könnten zumindest diese Kosten ausgeglichen werden.

Doch wirkliche Lösung sei auch das keine: Sollten die Endkundenpreise gleich bleiben, würde auch die Nachfrage praktisch unverändert bleiben. „Warum soll ich die Heizung runterschalten, wenn sie nicht mehr kostet?“, so Egenhofer exemplarisch. Die Gaspreise würden noch „zwei, drei, vier Jahre“ so hoch bleiben – für viele Staaten wäre eine Subventionierung über einen so langen Zeitraum wohl schwer zu tragen. Und: Der Lenkungseffekt bliebe in diesem Fall komplett aus.

Reduktion als Weg zur Unabhängigkeit von Moskau

Doch um die Abhängigkeit von Russland zu reduzieren, wird es ohne Reduktion des Gasbedarfs nicht gehen. So wird auch auf Anfrage im Klimaschutzministerium darauf verwiesen, dass man sich zwar „in großem Ausmaß am gemeinsamen Gaseinkauf der EU“ beteiligen will, wie Ministerin Leonore Gewessler (Grüne) Ende April sagte. Gleichzeitig bedeute jede getauschte Gastherme aber mehr Unabhängigkeit von Russland, hieß es weiter.

Nach dem diese Woche beschlossenen EU-Ölembargo solle jedenfalls auch beim Gas der russische Import stark reduziert werden. Noch im Mai solle ein Plan vorgestellt werden, wie man zwei Drittel der russischen Gasimporte bis Jahresende ersetzen könnte, so EU-Energiekommissarin Kadri Simson. Man sei in Kontakt mit anderen Anbietern, um Alternativen für Lieferungen aus Russland zu finden.

Ausstieg als Antwort auf „politische Waffe“

„Gas ist eine politische Waffe“, so Egenhofer im Gespräch. Das wisse Südosteuropa schon seit jeher, nun gelte das für die gesamte EU. Vorübergehende Einschränkungen, nicht zuletzt für die Industrie, sind der Einschätzung des Experten zufolge wohl unausweichlich. Langfristig ist in den kommenden Jahrzehnten zwar ein Ausstieg aus Gas als Energiequelle geplant, um die Klimaziele zu erreichen. Die jetzige Situation könnte aber zum Anreiz werden, diesen Prozess zu beschleunigen.