Eine Katze in Mariupol
Reuters/Alexander Ermochenko
Ukraine

Krieg mit Katzenbildern

Wohl noch nie zuvor ist ein Krieg medial mit solch einer Unmittelbarkeit auf ein Publikum getroffen. Für Europa ist es nicht nur die geografische Nähe, sondern es sind damit auch die zahlreichen Bilder aus den Medien und aus den sozialen Netzwerken. Auffällig – aber nicht zufällig – ist dabei die Dichte an Tierbildern, die den Krieg illustrieren.

Schon auf den Bildern der Geflüchteten an der polnischen Grenze ist aufgefallen, wie viele Menschen neben ihren Habseligkeiten auch Hund oder Katze mit in ein anderes Land nehmen. Der deutsche Tierschutzbund verkündete Mitte April, dass acht Prozent der bis dahin gut 340.000 in Deutschland registrierten Ukrainerinnen und Ukrainer Hund oder Katze mitgebracht hätten. In Summe habe das 28.000 Haustiere ergeben.

Schon damals zeigte sich, dass sich die Menschen in größter Not an ihre Tiere klammern und vor allem Geflüchtete mit Kindern diese nicht zurücklassen wollten. Ähnlich verhält es sich bei Bildern von Menschen, die in der Ukraine geblieben sind und im wahrsten Sinne des Wortes vor den Trümmern ihrer Existenz stehen. Auch hier zeigen die eigentlich sehr intimen Einblicke oft Menschen, denen außer ihrem Haustier wenig geblieben ist.

Fotostrecke mit 7 Bildern

Ukrainische Flüchtlinge mit Katze
AP/Sergei Grits
Geflüchtete Frau mit Katze an der polnischen Grenze
Frau mit Katzen in Odessa
Reuters
Eine Nonne in Odessa kümmert sich in einem Kloster um zurückgelassene Katzen
Katze in einer Ubahn in Charkiw
Reuters/Ricardo Moraes
Eine Katze hat in der U-Bahn von Charkiw Unterschlupf gefunden
Frau mit Katze
Reuters/Alexander Ermochenko
Auch aus Donezk werden Katzen in Sicherheit gebracht – in diesem Fall geht es nach Russland
Ein Hund wird evakuiert
Reuters/Evgenia Novozhenina
Und auch ein Hund wird aus der Stadt gebracht
Katze in Mariupol
Reuters/Alexander Ermochenko
Katze in der lange umkämpften und mittlerweile großflächig zerstörten Stadt Mariupol
Frau mit Hund in Saporischschja
Reuters/Ueslei Marcelino
Eine nach Saporischschja geflohene Frau mit ihrem Hund

Und diese Bilder erzeugen auch freilich ihre Wirkung – gerade im Internet und gerade in den sozialen Netzwerken, in denen „Cat Content“ in kaum einer Hinsicht zu toppen ist. Und das zeigte sich bald, wenig überraschend, auch bei den Kriegsbildern aus der Ukraine.

Zeichen der Zeit?

Für viel Wirbel sorgte ein Bild Anfang April aus Butscha. Zum ersten Mal durften Journalisten in den Ort, in dem russische Soldaten mutmaßlich ein Massaker an Zivilisten verübt hatten. Ein Bild des Fotografen Boris Korpusenka der Website Vechirniy Kiew zeigte ein gutes halbes Dutzend Fotografen mit ihren Objektiven auf eine Katze gerichtet, während sich im Hintergrund die Panzerwracks türmen.

„Haben die westlichen Journalisten keine wichtigeren Motive auf einem Schauplatz eines mutmaßlichen Kriegsverbrechens?“, wurde in den sozialen Netzwerken gefragt. Tatsächlich gingen die Bilder der Katze um die Welt. Fairerweise muss dazu gesagt werden: Viele der geschossenen Bilder in Butscha waren in Medien deshalb nicht zu sehen, weil sie dem Publikum an Grausamkeit kaum zumutbar sind.

Griesgrämig gegen Russland

Schon zuvor war eine andere Katze zu so etwas wie einer Ikone geworden: Das Bild einer angeblich unter den Trümmer eines zerbombten Haus in Borodjanka geretteten Katze, die griesgrämig in die Kamera blickt, ging durch die sozialen Netzwerke. Ihr Schicksal sollte symptomatisch werden: Angeblich fand sie einen neuen Platz ausgerechnet im ukrainischen Innenministerium.

Spätestens ab diesem Zeitpunkt wurden Katzen, insbesondere verletzte, zu einem der Symbole für den ukrainischen Widerstand gegen die russischen Invasoren. Erst vor Kurzem wurde ebenfalls in Borodjanka eine Katze aus dem siebenten Stock einer zerbombten Ruine gerettet, mit Videobegleitung und sehr großem medialen Echo.

Katze aus zerbombten Haus gerettet

Feuerwehrleute haben eine Katze aus dem siebenten Stock eines zerbombten Gebäudes in der ukrainischen Kleinstadt Borodjanka gerettet. Das Tier saß auf einem Sims des Hauses, als die Einsatzkräfte es in Sicherheit brachten.

Katzen für PR-Zwecke

Dass sich Tierliebe auch für PR-Zwecke gut eignet, war recht bald klar. Und so streuen auch dezidiert die Ukraine unterstützende Social-Media-Accounts immer wieder Tiergeschichten ein – wie auch offizielle Stellen. Die ukrainische Armee postet regelmäßig Kämpfer mit Tieren, schon seit 2016 gibt es einen eigenen Katzen-und-Hunde-Kanal auf Twitter, auf dem auch und vor allem Soldaten und Soldatinnen mit Katzen abgebildet werden.

Tierretter im Fokus

Umgekehrt wird über Grausamkeiten berichtet, die russische Soldaten vor allem Hunden angetan haben sollen – zum Teil mit drastischen Bildern. Auch Geschichten über Tierretter dürfen nicht fehlen, aus allen Landesteilen wird auch immer wieder von großteils privat betriebenen Tierheimen berichtet, die in größter Not noch versuchen, die Tiere zu versorgen. Ähnliches gilt für die Zoos in der Ukraine. Als Multiplikatoren dieser Bilder fungieren einschlägige international erfolgreiche Tieraccounts, etwa wie Katzenpromi Lorenzo the Cat.

Tierschutzorganisationen in Europa sind seit Kriegsbeginn aktiv, um Tieren in der Ukraine zu helfen. Mehrere Facebook-Gruppen quellen über vor Spendenaufrufen und Rettungsaktionen – vor allem für Hunde.

Tierliebe als Selbstvergewisserung

Doch nicht nur in der mehr oder weniger gezielten Kommunikation nach außen tauchen viele Tiere auf. Auch auf an das rein ukrainische Publikum gerichtete Medienwebsites und Social-Media-Kanälen sind viele dieser Tierbilder zu sehen. Vielleicht sind diese, wie auch der „Falter“ in einem Artikel andeutete, einer der vielen symbolischen Schauplätze einer gar nicht bewussten Art Selbstvergewisserung und Abgrenzung zum russischen Feind: Man ist anders, man kümmert sich um Lebewesen, man bleibt human. Und offenbar hat die russische Seite irgendwann auch hier versucht nachzuziehen: Glaubt man den Berichten, gibt es einen neuen Kalender, der russische Soldaten in voller Kriegsmontur mit Katzen zeigt.

Wach gekitzelte Empathie

Tiere, heißt es wiederum in einem Bericht des US-Magazins Slate, würden das Publikum paradoxerweise daran erinnern, dass „es echte, individuelle Menschen an den Fronten gibt, die die sich um die Tiere kümmern und an Ort und Stelle kämpfen. Es gibt echte Menschen, deren Leben sich durch diese Aggression für immer verändert.“

Das kann man freilich auch weniger positiv sehen: Vielleicht haben die Tierbilder auch deswegen Erfolg, weil es viele Menschen gibt, deren Empathie erst dann wach gekitzelt wird, wenn es um das Leid von Tieren geht.