Karte zeigt Bodenfeuchtigkeit
Copernicus/ORF.at/OpenStreetMap
Planetare Grenzen

Was passiert, wenn das Wasser ausgeht

Wasser gilt als der Blutkreislauf der Biosphäre. Bis vor Kurzem ging die Wissenschaft noch davon aus, dass ausreichend Süßwasser zur Verfügung steht. Eine Neubewertung dieser planetaren Grenze zeigt jedoch, dass die menschlichen Eingriffe bereits tiefgreifender sind als gedacht. Ungewöhnlich trockene Böden sind auch in Österreich zunehmend an der Tagesordnung – und schaden damit dem Klima nachhaltig.

Neun planetare Grenzen wurden 2009 von internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unter der Leitung von Johan Rockström – damals Direktor des Resilience Centre (SRC) an der Universität Stockholm – festgelegt. Sie sollen aufzeigen, wie viel Handlungsspielraum dem Menschen in seinem Eingreifen in natürliche Prozesse der Erde noch bleibt, bis ein gefährliches Maß erreicht wird.

Sechs dieser neun Grenzen gelten bereits als überschritten, darunter jene für Klimawandel, neuartige Gebilde, Landnutzungsänderung, Nährstoffkreisläufe und Biosphäre – sowie nun auch Süßwasser. Als nicht überschritten gelten derzeit die Stratosphäre, die atmosphärische Aerosolbelastung sowie die Ozeanversauerung.

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Visualisierung der planetaren Grenzen mit Süßwassergrenze inklusive grünem Wasser
PIK/Wang-Erlandsson et al 2022/ORF.at
Sechs der neun planetaren Grenzen sind bereits überschritten
Infografik Kategorisierung von Wasser in blaues Wasser (Grund- und Oberflächenwasser), grünes Wasser (Bodenwasser) und graues Wasser (verunreinigtes Wasser)
ORF.at/Sandra Schober
Grünes Wasser ist durch das menschliche Eingreifen bedroht

Auch die Grenze des Süßwassers müsse mittlerweile als überschritten eingestuft werden. Denn bei der Einführung des Konzepts der planetaren Grenzen wurde nur die Verfügbarkeit und Situation des „blauen“ Wassers, also Grund- und Oberflächenwasser wie Flüssen und Seen, berücksichtigt. Eine Neubewertung, die auch das „grüne“ Wasser, das den Pflanzen im Boden zur Verfügung steht, berücksichtigt, habe die Ausgangslage nun verändert, schreiben Forschende des SRC und des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK).

Grüne Lunge braucht Bodenfeuchtigkeit

„Nach der derzeitigen Definition würde zum Beispiel die Abholzung von Wäldern, die die Funktion von grünem Wasser zugunsten einer erhöhten Verfügbarkeit von blauem Wasser verschlechtert, nicht zur Grenzüberschreitung beitragen“, so die Autorinnen und Autoren. Für die Lagebewertung des Amazonas-Regenwaldes sei jedoch die Einbeziehung des grünen Wassers essenziell, da der Regenwald maßgeblich auf Bodenfeuchtigkeit angewiesen ist.

Sowohl Erderhitzung als auch Abholzung setzen der „grünen Lunge der Erde“ zu und trocknen sie aus – bis der Regenwald irgendwann gänzlich kippt und zur Steppe wird. Das hat auch Folgen für andere Erdsysteme – etwa das Klima. Denn tropische Regenwälder nehmen Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre auf und wirken deshalb „wie eine natürliche Klimaanlage“ der Erderhitzung entgegen, so die Natur- und Umweltschutzorganisation WWF in einer Aussendung zum Amazonas-Regenwald.

Hitzestress und Dürre nehmen weltweit zu

Doch nicht nur im Regenwald, auch in Wäldern und auf Äckern seien bereits negative Auswirkungen zu beobachten, so die Forschenden des SRC und PIK. Maßgeblich für die zunehmende Bodentrockenheit ist laut der Europäischen Dürrebeobachtungsstelle (EDO) vor allem der fehlende Niederschlag, der – sofern es sich nicht um Extremniederschläge handelt – trockenem Boden dabei hilft, sich zu erholen.

Jeweils dreimal pro Monat veröffentlicht die EDO einen Bodentrockenheitsindex, der identifiziert, welche Gebiete sowohl trockener als auch feuchter als gewöhnlich waren. Der Index berechnet sich aus der Abweichung des grünen Wassers, also des Wassergehalts im Boden im Bereich der Wurzelzone.

Bodentrockenheitsindex (Abweichungen) der Europäischen Dürrebeobachtungsstelle für Ende April 2022

Ende April verzeichnete die Behörde in weiten Teilen Europas besonders trockene, aber auch vereinzelte ungewöhnlich feuchte Böden. Besonders konträr war die Lage in Norwegen, wo die Küstenböden sehr trocken waren, das Landesinnere aber besonders feucht. Auch österreichische Böden – vor allem im Süden – waren in diesem Zeitraum deutlich trockener als gewöhnlich. Für den Zeitraum April bis Juni prognostiziert die EDO außerdem eine „deutlich trockenere Witterung über Südeuropa“. Diese Prognosen gäben Anlass zur Sorge über die Entwicklung der derzeitigen Dürre.

Trockenperioden haben in den vergangenen Jahren bereits vereinzelt zu Engpässen geführt. Begleiterscheinungen der globalen Erhitzung – wie etwa Niederschlagsänderungen, Temperaturanstieg oder erhöhte Verdunstung – begünstigen Trockenperioden zusätzlich. Gerade Wasserdampf ist ein wenig beachtetes Treibhausgas, das laut der Wochenzeitung „profil“ als „Motor der Extremereignisse“ fungieren kann.

Verfügbarkeit von grünem Wasser schwankt

Die allgemeine Lage des grünen Wassers in Österreich zusammenzufassen sei schwierig, so Christine Stumpp, Leiterin des Instituts für Bodenphysik und landeskulturelle Wasserwirtschaft an der Universität für Bodenkultur (BOKU): „Der Wasserspeicher im Boden und was letztendlich für Pflanzen verfügbar ist, kann räumlich und zeitlich in Abhängigkeit der Witterung, der Bodeneigenschaften und der Pflanzen sehr stark schwanken.“

Generell sei ein West-Ost-Gefälle bezüglich der Niederschlagsmenge zu beobachten: mit mehr Niederschlag im Westen sowie in höheren Lagen und geringeren Werte im Osten und in den Ebenen. „In den niederschlagsreichen Regionen sickert dann mehr Wasser in den Boden als in den niederschlagsärmeren Regionen.“

Reiche das Wasser im Boden nicht mehr aus, um gute landwirtschaftliche Erträge zu erreichen, werde mit Grund- und Oberflächenwasser – also blauem Wasser – bewässert. „In diesen Regionen wurden also schon natürliche Grenzen – zumindest zeitweise – überschritten“, so Stumpp auf ORF.at-Anfrage. Aber auch für einige Forstregionen spiele Dürre und Bodentrockenheit eine zunehmende Rolle.

Wasserbedarf wird steigen

Prinzipiell steht in Österreich im internationalen Vergleich viel – vor allem blaues – Wasser zur Verfügung. Die Grundwasserressourcen sind jedoch unterschiedlich verteilt. Im langjährigen Schnitt ergibt sich aus dem Regen, der auf die Landesfläche fällt, eine Wassermenge von 99,8 Milliarden Kubikmetern. Davon können insgesamt etwa fünf Prozent verwendet werden.

Laut einer Studie des Landwirtschaftsministeriums könnte diese „verfügbare Grundwasserressource“ bis 2050 um bis zu ein Viertel abnehmen. Gleichzeitig würde der Wasserbedarf in der Landwirtschaft bis 2050 jedoch zunehmen und könnte sich sogar verdoppeln. Denn aufgrund der Zunahme an Hitzetagen ist mit mehr Wasserbedarf für die Viehwirtschaft zu rechnen – mit unterschiedlich schwerwiegenden Folgen.

Die Studie stellt zwei potenzielle Szenarien auf: In einem günstigen Wasserszenario nimmt die Anzahl der Gebiete mit sehr hoher Ausnutzung zwar zu, die Nutzungsintensität bleibt aber überall unter 100 Prozent. In einem ungünstigen Szenario steigt in einigen Regionen die Nutzungsintensität, und der Bedarf übersteigt folglich die verfügbaren Grundwasserressourcen, woraus sich regionale Nutzungskonflikte ergeben könnten.

Saisonale Schneedecke nimmt ab

Auch die Fähigkeit der Schneedecke, Sonnenenergie zu reflektieren und Wasser zu speichern, ist essenziell für die Funktionsweise und Regulation des Klimas, analysiert die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) auf ihrer Website. Über den Winter werde Wasser in der Schneedecke zurückgehalten, welches bei der Schneeschmelze über Tage und Wochen langsam wieder freigegeben werde. Somit werden die Grundwasserspeicher gefüllt und auch der Boden mit dem abgeschmolzenen Wasser versorgt – der Boden und die Pflanzen sind damit für die Wachstumsperiode im Frühjahr gerüstet.

Umgekehrt bedeutet das, dass mit weniger Schnee im Winter die Wasserversorgung der Böden beeinträchtigt ist. Das führt zu tiefen Grundwasserständen und Problemen in der Landwirtschaft. Außerdem verhindere eine Schneedecke zusätzlich das Abstrahlen der gespeicherten Bodenwärme in die vergleichsweise kühlere Atmosphäre. Das isoliert auch Pflanzen und schützt sie vor Frost.

Gletscherschmelze in Österreich von 1969 bis 2015

Analysen der ZAMG in verschiedenen Gebieten Österreichs zeigen, dass die winterliche Schneedecke von Jahr zu Jahr und auch räumlich sehr unterschiedlich ausfällt. Deutlich erkennbar sei jedoch eine markante Abnahme der saisonalen Schneehöhe ab dem Ende der 1980er Jahre – vermutlich aufgrund eines kombinierten Effekts aus Temperaturzunahme und Niederschlagsabnahme. Besonders in tiefen Lagen schneit es deutlich weniger. Der Winter beginnt im Herbst später und hört im Frühjahr früher auf.

Fleischkonsum steigert Wasserverbrauch

Die Bandbreite möglicher Maßnahmen zum Schutz des Wassers ist vielfältig. Zum einen trägt die Reduktion der Treibhausgasemissionen maßgeblich dazu bei, die Erderhitzung um 1,5 Grad einzudämmen – was auch die Dynamik von Dürre und Bodentrockenheit entschärft. Hierbei können Einzelpersonen etwa durch ihre Ernährung einen Beitrag leisten.

„Der hohe Fleischkonsum ist der Haupttreiber, dass der Planet seine Grenzen bezüglich Süßwasserverfügbarkeit, Regenwaldabholzung, Artenvielfalt und Treibhausgasemissionen überschritten hat“, so Martin Schlatzer, Ernährungsökologe am Forschungsinstitut für Biologischen Landbau (FiBL), in einem Aktionsplan des WWF. Bereits eine Reduktion des Fleischkonsums auf ein- bis zweimal pro Woche könnte knapp ein Drittel an Treibhausgasen einsparen.

Auch das Klimaforschungsnetzwerk Österreich (CCCA) fasst in einem Factsheet konkrete Maßnahmen zum Schutz des – vor allem grünen – Wassers zusammen. Zur zusätzlichen Bewässerung von Pflanzen werde in Österreich bisher fast ausschließlich Trinkwasser verwendet. Effizienter wären eine Speicherung von Regenwasser und die Wiederverwendung von Wasser aus Bad und Küche, so das CCCA.

Wasserschutz und Bodenversiegelung

Da auch das Bebauen des natürlichen Bodens sowohl dem grünen als auch dem Grundwasser zusetzt, wird im WWF-Maßnahmenpaket für den „Wasserschatz Ostösterreich“ gefordert, den Boden konsequent zu schützen und zu entsiegeln. Fließgewässer gelte es zu renaturieren, Feuchtgebiete und Überschwemmungsräume zu bewahren und wiederherzustellen.

Landschaft bei Salzburg
ORF.at/Georg Hummer
Wenn natürliche Flächen verbaut werden, kann das Wasser nicht mehr in den Boden sickern

Vorgaben zur Versickerung von Regenwasser auf Eigengrund setze etwa die niederösterreichische Bauordnung bereits um, fasst das Umweltbundesamt Pläne des Landwirtschafts- und Klimaministeriums zusammen. Und auch Wasserrückhaltemaßnahmen wie etwa Regenwasserrückhaltebecken oder gezielte Grundwasseranreicherung seien bereits in Planung beziehungsweise Umsetzung.

Wesentlich sei, dass mit dem vorhandenen Wasser effizienter umgegangen wird. Mit Hilfe von Wasserspartechnologien neuer Haushaltsgeräte könne der Wasserverbrauch trotz zunehmender Bevölkerung konstant bleiben. Gleichzeitig seien Informationen zur Bedarfs- und Wasserressourcenentwicklung zu erarbeiten und die Datenlage zur aktuellen Wasserentnahme müsse verbessert werden. Bereits bewilligte Wassernentnahmemengen gelte es zu prüfen – und gegebenenfalls den aktuellen Entwicklungen anzupassen.