Verfahrensrichter Wolfgang Pöschl
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Verfahrensrichter Pöschl

„Ringen um jedes Wort“ im U-Ausschuss

Wolfgang Pöschl liebt die Herausforderung – deshalb sitzt er als Verfahrensrichter auch im ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss. Hier wird seit knapp drei Monaten detailliert befragt, laut debattiert und „um jedes Wort gerungen“. Im Gespräch mit ORF.at wollte Pöschl zwar nicht auf Inhaltliches eingehen, sprach allerdings ausführlich über seine Funktion und über das „politische Parkett“, auf dem er sich zurzeit bewegt.

Pöschl ist U-Ausschuss-Routinier, und die Hofburg, in der die Befragungen stattfinden, könnte als sein zweites Zuhause dienen. Denn seit fast vier Jahren geht er ein und aus. In den Jahren 2018 und 2019 vertrat der frühere Vizepräsident des Oberlandesgerichts (OLG) Wien Verfahrensrichter Eduard Strauss im BVT-U-Ausschuss, und ein Jahr später stieg er als „Ibiza“-Verfahrensrichter ein, nachdem die Erstbesetzung zurücktrat. Auch im jetzigen ÖVP-U-Ausschuss bekleidet er die Funktion des beratenden Schiedsrichters.

Wegen seiner Hartnäckigkeit wird Pöschl geschätzt, doch nicht immer stoßen seine rechtlichen Empfehlungen bei den fünf Fraktionen auf Gegenliebe. Die Opposition und zum Teil die Grünen wünschen sich mehr Spielraum bei den Fragen, aber weniger bei Entschlagungen. Bei der ÖVP ist es umgekehrt: Das Fragekorsett soll so eng wie möglich geschnallt werden, Entschlagungsrechte könnten hingegen nicht großzügig genug ausgelegt sein.

„Unbefriedigender Zustand“

Dass gerade die Aussageverweigerungen zu langen Diskussionen unter den Abgeordneten führen, sei erwartbar gewesen, so Pöschl gegenüber ORF.at. „Der U-Ausschuss behandelt ein sehr wichtiges und emotionales Thema: Korruption. Einer Partei, die noch dazu in der Regierungsverantwortung ist, Korruption vorzuwerfen, ist starker Tobak. Es muss unweigerlich zu hitzigen Debatten über Inhalte oder Entschlagungen kommen.“

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Der frühere Vizepräsident des OLG Wien gilt als hartnäckig und wird in der Regel von den Fraktionen geschätzt

Doch nicht in allen Befragungen fußen Entschlagungen auf konkreten Ermittlungen. Vielfach wissen weder der Verfahrensrichter noch der Vorsitz, ob und welche Verfahren überhaupt anhängig sind. Geladene Personen verweisen auf den großen Casinos-Akt mit zig Beschuldigten und noch mehr Strängen und berufen sich auf das Entschlagungsrecht. So hatte zum Beispiel Ex-Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) seine Aussageverweigerung damit begründet, dass ein gegen ihn laufendes Verfahren ebenfalls im Akt zu finden ist.

Am Ende reichte diese Begründung zwar nicht aus, aber eine Antwort erhielt der U-Ausschuss auch nicht. Denn Schelling riskierte lieber eine Beugestrafe. „Wir hätten aus dem Justizministerium gerne zu jedem Ausschusstag Informationen, ob und wenn ja, welche Ermittlungen gegen die Auskunftsperson anhängig sind“, so Pöschl dazu. Mit einem vollständigen Wissen über anhängige Verfahren könnten „die oft zähen Debatten über Entschlagungen entfallen“ – der derzeitige Zustand sei „unbefriedigend“, resümiert der Verfahrensrichter.

Nach der Aufregung kommt die Ruhe

Dennoch findet Pöschl, dass die Befragungen „wieder etwas ruhiger geworden“ seien. Erst kürzlich durfte er sogar eine kleine „Premiere“ feiern: Bei einem Beamten aus dem Justizressort musste er kein einziges Mal eingreifen. Anders sah das zu Beginn des U-Ausschusses aus. Die Befragung von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) lieferte mehr Zores als Antworten. Mehr als die Hälfte der Zeit beschäftigten sich die Abgeordneten mit Geschäftsordnungsdebatten – allen voran angestoßen von der ÖVP, zum Missfallen der Opposition.

Verfahrensrichter Wolfgang Pöschl
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Üblicherweise warten im Raum, in dem das Interview stattfand, die Auskunftspersonen auf ihren Auftritt

Der Verfahrensrichter kann den Ärger aus Sicht der Fragestellerinnen und Fragesteller verstehen. Die Fraktionen würden sich „gewissenhaft“ auf die geladenen Auskunftspersonen vorbereiten, zig Akten studieren und sich Strategien für die Befragungen zurechtlegen. Wird die Zulässigkeit der Fragen von einer Fraktion – gut oder weniger gut begründet – bestritten, ist das für die Abgeordneten „freilich ärgerlich“, wie er betont. Ob die Frage beantwortet werden muss, entscheidet der Vorsitz – im besten Fall nach der Beratung mit Pöschl.

Bisher hatten die Vorsitzenden den Empfehlungen des Juristen entsprochen – allerdings ortete die ÖVP einmal einen Bruch dieser Usance durch Doris Bures (SPÖ). Die Opposition und die Grünen übten dagegen ordentlich Kritik an der Vorsitzführung von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP). Dieser mische sich zu oft ein und führe den U-Ausschussvorsitz nicht überparteilich, so ihr Vorwurf.

Der Nationalratspräsident selbst wies das stets zurück und verwies darauf, dass er qua Position den Vorsitz übernehmen müsse, sich aber vertreten lassen könne. Auf diese Möglichkeit griff er in der jüngeren Vergangenheit öfters zurück. Vergessen wird zumal, dass Sobotka einmal den U-Ausschussvorsitz gänzlich abgegeben hat. Im BVT-U-Ausschuss übertrug er das Amt an Bures – somit leitete die Zweite Nationalratspräsidentin nicht nur das Gremium, sondern übernahm gleichzeitig die organisatorischen Aufgaben.

„Andere Art, den Vorsitz zu führen“

„Wenn er verhindert ist, kann er sich vertreten lassen, aber es gibt keine Befangenheitsregel. Mehr kann und will ich dazu nicht sagen“, sagt Pöschl auf die Frage, wie es heute um die Diskussion über den Nationalratspräsidenten steht. Im „Ibiza“-U-Ausschuss hatte Pöschl in einem Interview „juristische Bedenken“ geäußert. Kurz darauf sah er sich zu einer Klarstellung veranlasst: Eine Bewertung stehe ihm nicht zu, und eine solche habe er auch nie abgegeben.

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„Manchmal liegt mir etwas auf der Zunge, und ich würde am liebsten eingreifen“, sagt Pöschl.

Dennoch begleitet das Thema seit Beginn den U-Ausschuss. Sobotka soll auch noch als Auskunftsperson befragt werden. Ist das der Fall, wird entweder Bures oder Norbert Hofer (FPÖ) den Vorsitz führen – sollten beide jedoch verhindert sein, kommt ein Parlamentarier oder eine Parlamentarierin von ÖVP, SPÖ oder FPÖ zum Zug. Alle werden von Pöschl oder seiner Stellvertreterin, Richterin Christa Edwards, juristisch beraten – und folgen in der Regel den Empfehlungen.

Jeder Vorsitzende bzw. jede Vorsitzende habe eine „andere Art, den Vorsitz zu führen“, sagt Pöschl, angesprochen auf die unterschiedlichen Herangehensweisen zwischen Sobotka, Bures und Hofer. Dass Sobotka „ständig kritisiert“ wird, sei für den Nationalratspräsidenten „sicher unangenehm“. Gleichzeitig sei Sobotka eben Mitglied der ÖVP, die im Mittelpunkt der Korruptionsvorwürfe steht. Deshalb sei es „wohl schwierig, immer die notwendige Objektivität auszustrahlen, auch wenn er darauf bedacht ist“.

Kritik an „ausufernder Kabinettskultur“

Im Grunde schließt der ÖVP-U-Ausschuss nahtlos an den „Ibiza“-U-Ausschuss an. Oft kommt es zu Wiederholungen, etwa wenn die Justiz in den Mittelpunkt rückt. „Durch die Vorwürfe gegen einige Beamte ist die Justiz ins Gerede gekommen. Das gefällt mir nicht“, sagt Pöschl. Er habe das Justizministerium „mit seinem loyalen Beamtenapparat als Ruhepol in Erinnerung, auf den man sich selbst in schwierigen Zeiten verlassen konnte“. Die „ausufernde Kabinettskultur“ sieht er kritisch. Diese werden seiner Meinung nach immer größer und mächtiger.

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Dass die Justiz wegen einiger Verfahren im Gespräch ist, gefällt Pöschl nicht

Gleichzeitig nimmt Pöschl eine andere Entwicklung wahr. Geladene Auskunftspersonen würden „mittlerweile gut vorbereitet“ und nicht selten mit „versierten Juristen“ als Vertrauenspersonen erscheinen. Es sei auffällig, dass von der Auskunftsbank aus „sehr oft Diskussionen“ über die Zulässigkeit von Fragen angestoßen werden. Penibel werde dann argumentiert, warum diese und jene Frage nicht beantwortet werden müsse. Zudem gebe es „auffallend große Erinnerungslücken“, und einige Personen würden sehr vorsichtig antworten.

Dazu passend: Zum Start des ÖVP-U-Ausschusses brachte der Grazer Rechtsanwalt Georg Eisenberger ein Buch mit dem Titel „Richtiges Verhalten vor dem Untersuchungsausschuss“ heraus. Das Buch wurde mit einem persönlichen Schreiben an Personen geschickt, die in nicht veröffentlichten Beweisanforderungen genannt wurden. In dem Brief heißt es, dass es wichtig sei, „sich rechtzeitig über alle Rechten und Pflichten zu informieren“. Auch andere Anwälte haben sich auf die Vertretung von Auskunftspersonen im U-Ausschuss spezialisiert.

„Wie im Kino“

Dennoch ist der U-Ausschuss laut Pöschl kein Gericht, auch wenn er einem wegen seiner Zusammensetzung ähnelt. Es sei ein Kontrollgremium, in dem Abgeordnete sitzen und „mit Recht so fragen, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist“. „Natürlich ist es anders als bei Gericht. Ein Richter ist an der Wahrheit interessiert, ein Politiker auch daran, dass sein Standpunkt bestätigt wird.“ Das führe mitunter zu verschiedenen Erzählungen nach den Befragungen. Manchmal frage er sich, ob die Abgeordneten und er im selben U-Ausschuss gesessen sind.

Einstimmigkeit in der Politik ist ohnehin selten – und seit der letzten Reform vor einigen Jahren ist der U-Ausschuss ein Minderheitenrecht. Seitdem wurde zwar viel über Änderungen gesprochen, aber einig sind sich die Parlamentsfraktionen nicht. Verfahrensrichter Pöschl hätte etwa nichts gegen eine öffentliche Übertragung der Befragungen. Am Anfang, so Pöschl, würde die Möglichkeit auf Interesse stoßen.

Vergessen dürfe man allerdings nicht, dass man sich auf einem „politischen Parkett“ bewege, „und in der Politik ist Inszenierung unglaublich wichtig“, sagt er. Mit einer öffentlichen Übertragung könnte das Kontrollgremium dann „eine Art Plenumsdebatte mit Auskunftspersonen“ werden. „Ich kenne sogar Leute, die mich beneiden, dass ich den U-Ausschuss live miterleben kann. Sie denken, das sei wie im Kino.“