Verfahrensrichter Wolfgang Pöschl
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Wolfgang Pöschl

„Ich kenne sogar Leute, die mich beneiden“

Postenbesetzungen, Privatvermögen, Inserate und Ermittlungen: Seit knapp drei Monaten durchläuft der ÖVP-U-Ausschuss ein facettenreiches Programm. Die Befragungen pendeln zwischen technisch-informativ und emotionsgeladen. Im ORF.at-Gespräch äußert sich der routinierte Verfahrensrichter Wolfgang Pöschl über den bisherigen Verlauf und Leute, die ihn wegen seiner Rolle beneiden.

ORF.at: Herr Pöschl, vielen Dank, dass Sie sich doch noch für ein Interview Zeit genommen haben.

Wolfgang Pöschl: Ich vermeide Interviews, soweit es geht, um von vornherein entsprechende Diskussionen hintanzustellen.

ORF.at: Sie könnten in Interviews einiges aufklären.

Pöschl: Man gibt auch als Richter während eines Verfahrens keine Interviews. Selbst wenn der Untersuchungsausschuss kein Gericht ist, will ich das beibehalten und Inhaltliches nicht kommentieren – sofern es möglich ist.

ORF.at: Der ÖVP-U-Ausschuss ist bereits der dritte U-Ausschuss, dem Sie angehören. Unterscheidet er sich Ihrer Meinung nach von den zwei vorangegangenen Ausschüssen, BVT und „Ibiza“?

Pöschl: Im BVT-U-Ausschuss war die Stimmung, ich will jetzt nicht sagen amikal, aber sehr sachlich. Im „Ibiza“-Untersuchungsausschuss war die Atmosphäre hingegen schon sehr angespannt, um es freundlich zu formulieren.

Verfahrensrichter Wolfgang Pöschl
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Pöschl findet, dass der ÖVP-U-Ausschuss ruhiger geworden sei

ORF.at: Und im ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss …

Pöschl: … ist es wieder etwas ruhiger geworden. Zum Teil werden die Debatten aber doch sehr emotional geführt. Die Intensität hängt oft davon ab, welche Person gerade befragt wird. Zuletzt musste ich bei einem Beamten kein einziges Mal einschreiten. Für mich war das eine Premiere. Aber wenn der Bundeskanzler die Fragen der Abgeordneten beantworten soll, dann wird es ein langer Tag mit wenig Pausen.

ORF.at: Nehmen Sie Untergriffigkeiten und Respektlosigkeit im U-Ausschuss wahr?

Pöschl: Schauen Sie, der U-Ausschuss behandelt ein sehr wichtiges und gleichzeitig emotional geladenes Thema: Korruption. Einer Partei, die noch dazu in der Regierungsverantwortung ist, Korruption vorzuwerfen, ist starker Tobak. Es muss unweigerlich zu hitzigen Debatten über Inhalte oder Entschlagungen kommen.

ORF.at: Die Opposition meint, Sie lassen bei Entschlagungen zu viel durchgehen, für die ÖVP könnten Sie hingegen nicht streng genug sein.

Pöschl: Diese unterschiedlichen Interessen nehme ich bei jeder Sitzung wahr. Aber es ist klar: Läuft ein Verfahren gegen die Auskunftsperson und ist sie beschuldigt, kann sie die Aussagen verweigern. Ich prüfe das im Einzelfall.

Ich nehme aber auch wahr, dass viele Auskunftspersonen mittlerweile gut vorbereitet im U-Ausschuss erscheinen. Zum Teil sind die mitgebrachten Vertrauenspersonen versierte Juristen, die für die Auskunftspersonen penibel argumentieren, warum diese auf eine Frage nicht antworten werden. Das führt mitunter zu einer äußerst kniffligen Situation.

ORF.at: Wie meinen Sie das?

Pöschl: Die Ausschussmitglieder wollen Antworten auf ihre Fragen, und ich will Antworten, um Beweisergebnisse zu sammeln, damit der Entwurf des Abschlussberichts verfasst werden kann. Einige Auskunftspersonen sind jedoch sehr bedacht darauf, ihre Worte sorgfältig zu wählen. Mitunter gibt es auch auffallend große Erinnerungslücken. Das führt zu langen Debatten und Verzögerungen.

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Der ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss ist Pöschls dritter Untersuchungsauschuss binnen vier Jahren

Das hat auch natürlich einen Grund: Wir haben zwar bisher keine einzige Verurteilung wegen einer falschen Beweisaussage, aber es sind einige Verfahren anhängig, und das macht die Leute, die jetzt als Auskunftspersonen befragt werden, schon etwas vorsichtiger.

ORF.at: War Ihnen klar, dass einige Auskunftspersonen gecoacht werden?

Pöschl: Bis vor wenigen Wochen nicht. Dass das Justizministerium Vorbereitungen für die Befragungen anbietet, war mir ehrlich gesagt neu.

ORF.at: Glauben Sie, dass solche Vorbereitungsmaßnahmen die Befragungen beeinflussen?

Pöschl: Es ist zumindest auffällig, dass vonseiten der Auskunftsperson oder der Vertrauensperson sehr oft Diskussionen angestoßen werden. Ist die Frage vom Untersuchungsgegenstand gedeckt? Liegt der Sachverhalt noch im Untersuchungszeitraum? Oder die neue Idee: Ich könnte das Amtsgeheimnis verletzen, wenn ich auf eine unzulässige Frage antworte.

In der Verfahrensordnung ist klar geregelt, dass sich öffentlich Bedienstete nicht auf das Amtsgeheimnis berufen dürfen. Wenn es aufseiten der Behörde, von der die Auskunftsperson kommt, oder auch sonst Bedenken gibt, kann es zu vertraulichen oder geheimen Sitzungen kommen.

ORF.at: Diese kommen jetzt weniger oft vor, als man denkt. Vielmehr wird auf Biegen und Brechen debattiert. Als Sie zum ersten Mal einen U-Ausschuss betreten haben: Hätten Sie solche Endlosdebatten über die Zulässigkeit von Fragen erwartet?

Pöschl: Es ist ein politischer Ausschuss und es wird um jedes Wort gerungen. Ja, manchmal ist es mühsam, das will ich gar nicht leugnen. Aber man darf nicht vergessen, dass sich die Fraktionen auf die Befragungen gewissenhaft vorbereiten und sich Strategien zurechtlegen. Wenn die Gegenseite dann die Zulässigkeit der Fragen bestreitet, ist das für den fragenden Abgeordneten freilich ärgerlich, und es kommt zu Endlosdebatten.

Verfahrensrichter Wolfgang Pöschl
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Der frühere Vizepräsident des Oberlandesgerichtes Wien liebt die Herausforderung, wie er betont

ORF.at: Am Ende empfehlen aber Sie dem Vorsitz, ob eine Frage zulässig ist oder nicht.

Pöschl: Es ist jedoch nicht so, als wäre von Anfang an klar, wohin wir uns mit den Fragen bewegen. Der Untersuchungsgegenstand ist derartig verklausuliert, dass man oft als Fragesteller nicht alles sofort auf den Tisch legen kann oder will.

Mitunter kommt es ja auch vor, dass erst die fünfte Frage den Kern des Themas trifft. Diese ist vom Untersuchungsgegenstand gedeckt, die vier davor waren es vielleicht nur am Rande. Ich muss binnen kürzester Zeit über die Zulässigkeit entscheiden.

ORF.at: Aus diversen Chats ist vieles bereits bekannt – wieso um den heißen Brei herumfragen?

Pöschl: Das mag schon sein. Aber nicht immer kennt man den Kontext. Viele Chats stehen für sich allein, die anderen hingegen nicht. Hier braucht es Hintergrundwissen, und dazu sind eben die Befragungen da.

ORF.at: Mit der Inseratenaffäre der Vorarlberger ÖVP kommt ein weiteres Thema in den U-Ausschuss. Sehen Sie einen Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand?

Pöschl: Untersuchungsthema und Zeitraum sind durch das Verlangen auf Einsetzung des Untersuchungsausschusses festgelegt. Ob die Inseratenaffäre in Vorarlberg auch dazuzuzählen ist, wird man sich genau ansehen müssen. Der Untersuchungsausschuss behandelt jedenfalls nur Fälle, die den Vollzug im Bund und nicht auch in den Ländern betreffen.

ORF.at: Sie könnten sagen, dass die Vorgänge in Vorarlberg vom Untersuchungsgegenstand nicht gedeckt sind.

Pöschl: Realistisch gesehen: Wenn der Landeshauptmann vor dem Ausschusslokal steht, wird er wohl auch befragt werden. Da wird uns nichts anderes übrigbleiben. Aber der Bezug zum Untersuchungsgegenstand muss hergestellt werden. Das zu beurteilen ist meine Aufgabe.

ORF.at: Vielleicht können Sie in diesem Fall eine Einstimmigkeit unter den Fraktionen erzielen …

Pöschl: Wann wurde schon mal etwas einstimmig beschlossen? Das Gremium kann sich oft nicht einmal darauf einigen, wie lange die Pause dauern soll. Ich bin jedenfalls gespannt, wie die Abgeordneten die Brücke zwischen Vorarlberg und der Bundesverwaltung schlagen werden.

Verfahrensrichter Wolfgang Pöschl
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Die Möglichkeit, Personen aus dem Saal entfernen zu lassen, hat Pöschl nur als Richter gehabt

ORF.at: Oft wird dem U-Ausschuss attestiert, er verhalte sich wie Tribunal. Können Sie mit dieser Zuschreibung etwas anfangen?

Pöschl: Ich war mein ganzes Leben lang Richter und habe viele Gerichtsverhandlungen geführt. Wenn mir als Richter etwas nicht passt, kann ich eine Person aus dem Saal entfernen lassen. Die Möglichkeit habe ich im U-Ausschuss nicht, auch der Vorsitzende nicht.

ORF.at: Hätten Sie diese Möglichkeit gerne?

Pöschl: Gemäß der Verfahrensordnung bin ich der Berater des oder der jeweiligen Vorsitzenden. Das ist eine weitaus schwächere Position als bei Gericht, aber das ist nun meine Aufgabe. Der Vorsitz muss meiner Empfehlung nicht folgen, akzeptiert diese aber im Regelfall.

ORF.at: Und der Tribunalvorwurf?

Pöschl: Im U-Ausschuss sitzen Abgeordnete, die mit Recht so fragen, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Natürlich ist es anders als bei Gericht. Ein Richter ist an der Wahrheit interessiert, ein Politiker auch daran, dass sein Standpunkt bestätigt wird.

Wenn ich nach den Befragungen beim Vorbeigehen die Pressestatements der fünf Fraktionen höre, frage ich mich, ob wir im selben U-Ausschuss gesessen sind. Das sind derart unterschiedliche Erzählungen, weil jede Fraktion die für sie maßgebliche Aussage im Fokus hat. Aus politischer Sicht ist das völlig legitim.

ORF.at: Tendieren Sie zu einer dieser Erzählungen?

Pöschl: Manchmal zu dieser, manchmal zur anderen. Aber oft vertrete ich die sechste Meinung.

ORF.at: Apropos Meinung: Was halten Sie von einer Übertragung des U-Ausschusses, damit die Öffentlichkeit daran teilhaben kann?

Pöschl: Ich habe nichts gegen eine Übertragung. Diese Möglichkeit würde vielleicht gerade am Anfang auf großes Interesse stoßen. Ich kenne sogar Leute, die mich beneiden, dass ich den U-Ausschuss live miterleben kann. Sie denken, das sei wie im Kino.

ORF.at: Würde eine Übertragung zu einer Versachlichung der Befragungen führen, wie Befürworter und Befürworterinnen argumentieren?

Pöschl: Vermutlich würde das Gegenteil der Fall sein. Wir bewegen uns auf einem politischen Parkett, und in der Politik ist Inszenierung unglaublich wichtig. Mit der Übertragung wäre der U-Ausschuss eine Art Plenumsdebatte mit Auskunftspersonen.

ORF.at: Auffällig sind die vielen Strafverfahren gegen Auskunftspersonen. Warum wissen Sie in einigen Fällen nichts darüber?

Pöschl: Wir hätten aus dem Justizministerium gerne zu jedem Ausschusstag Informationen, ob und wenn ja, welche Ermittlungen gegen die Auskunftsperson anhängig sind. Aber das ist offenbar nicht zu erreichen.

Verfahrensrichter Wolfgang Pöschl
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Der Verfahrensrichter würde gerne eine Liste mit sämtlichen anhängigen Verfahren haben

ORF.at: Wieso nicht?

Pöschl: Zu wenig Personal, heißt es. Und das ist ein unbefriedigender Zustand. Mit solchen Informationen wüsste ich genau, ob eine Auskunftsperson diese Frage trotz Ermittlungen beantworten muss. Die oft zähen Debatten über Entschlagungen könnten dadurch entfallen.

ORF.at: Wäre das nicht auch das genuine Interesse des Justizministeriums?

Pöschl: Ja, natürlich. Es wäre gut, wenn dieses Problem noch gelöst werden könnte.

ORF.at: Die Justiz nahm in den vergangenen Wochen sehr viel Platz im U-Ausschuss ein. Es hat den Anschein, als würde es dort nicht gerade zimperlich zugehen.

Pöschl: Durch die Vorwürfe gegen einige Beamte ist die Justiz ins Gerede gekommen. Das gefällt mir nicht. Ich habe das Justizministerium mit seinem loyalen Beamtenapparat als Ruhepol in Erinnerung, auf den man sich selbst in schwierigen Zeiten verlassen konnte.

Es ist kein Geheimnis, dass ich die ausufernde Kabinettskultur in den Ministerien kritisch sehe. Die Ministerbüros werden immer größer und mächtiger. Jetzt müssen die Sektionschefs oft beim politischen Kabinett anklopfen, wenn sie zur Ministerin oder zum Minister wollen.

ORF.at: Hat sich Ihrer Meinung nach die Befangenheitscausa rund um Vorsitzenden Wolfgang Sobotka (ÖVP) schon gelegt?

Pöschl: Nach der Verfahrensordnung ist der Präsident des Nationalrates Vorsitzender im Untersuchungsausschuss. Wenn er verhindert ist, kann er sich vertreten lassen, aber es gibt keine Befangenheitsregel. Mehr kann und will ich dazu nicht sagen.

ORF.at: Dass die Vorsitzführung unter Sobotka anders verläuft als unter Doris Bures (SPÖ) oder Norbert Hofer (FPÖ) ist nicht von der Hand zu weisen.

Pöschl: Jeder hat eine andere Art, den Vorsitz zu führen. Für den Nationalratspräsidenten ist es sicher unangenehm, ständig kritisiert zu werden. Gleichzeitig ist er eben Mitglied jener Partei, die im Titel des U-Ausschusses steht. Deshalb ist es wohl schwierig, immer die notwendige Objektivität auszustrahlen, auch wenn er darauf bedacht ist.

ORF.at: Sehen Sie sich in der Rolle des Vermittlers, wenn es zwischen Sobotka und der SPÖ kracht?

Pöschl: Das ist nicht meine Aufgabe, ich wäre wahrscheinlich auch erfolglos. Die Fraktionen können das selbst ausdiskutieren, das machen sie ja auch. Ich habe die Erstbefragung und die inhaltliche Beratung des Vorsitzenden während der Anhörung der Auskunftsperson durchzuführen.

ORF.at: Einer Ihrer Vorgänger als Verfahrensrichter meinte mal, er würde die Abgeordneten gerne auf die „richtigen“ Fragen hinweisen?

Pöschl: Manchmal liegt mir etwas auf der Zunge und ich würde am liebsten eingreifen. Aber der U-Ausschuss gehört den Abgeordneten. Freilich dürfen Fragen nicht unbestimmt, verfänglich oder unterstellend sein. Das wahrzunehmen, obliegt mir.

ORF.at: Würden Sie dem Parlament nochmals als Verfahrensrichter zur Verfügung stehen?

Pöschl: Fragen Sie mich nach diesem U-Ausschuss nochmals. Grundsätzlich liebe ich die Herausforderung, aber manchmal ist der Adrenalinkick schneller erreicht, als mir lieb ist.

ORF.at: Herr Pöschl, danke für das Gespräch.