Jehnny Beth

Post-Punk trifft Art-Pop beim Donaufestival

Das diesjährige Donaufestival steht unter dem Motto „Stealing the Stolen“ (dt. „Das Gestohlene stehlen“). Als theorielastiger Ort für Musik und Kunst jenseits von Genregrenzen bildet es den idealen Rahmen für Jehnny Beths Konzert am Samstagabend. Als Schauspielerin brilliert sie im jüngsten französischen Kino, als Musikerin reicht ihr Repertoire von Post-Punk bis zu Art-Pop und elektronischen Klängen.

Bekannt wurde Beth als Frontfrau des britischen Post-Punk-Quartetts Savages, das in den 2010er Jahren mit Alben wie „Silence Yourself“ (2013) Erfolge feierte und vor allem für grandiose Liveauftritte bekannt war: „Ich bin eine geborene Performerin. Das ist das, was ich am meisten liebe. Ich fühle mich frei und glücklich auf der Bühne“, sagt Beth im Gespräch mit ORF.at. Die in Frankreich geborene Künstlerin mit bürgerlichem Namen Camille Berthomier lebte lange in London; inzwischen ist sie wieder in Paris. Ihr erstes Soloalbum, „To Love Is to Live“, erschien 2020.

Damals sollte sie auch auf Tournee gehen, allerdings wurden die Auftritte pandemiebedingt verschoben. Erst kürzlich holte sie die Konzerte nach und spielte etwa Gigs in Mexiko-Stadt und in Großbritannien. „Wenn dir etwas, was du so sehr liebst, weggenommen wird, dann bricht es dir das Herz. Aber es macht dich auch stärker, und vor allem macht es dir klar, wie sehr es dir fehlt. Und vielleicht schätzt du es danach auch mehr und bist dankbar dafür“, sagt Beth.

Art-Pop trifft Electro auf „To Love Is to Live“

Musikalisch stellt Beths Soloalbum eine neue Ausrichtung dar. Spielte sie mit den Savages noch rauen Post-Punk, ist die Musik auf „To Love Is to Live“ kaum kategorisierbar: Art-Pop trifft auf Industrial, Electronica auf Alternative-Rock. Das alles ist wunderbar ausgereift und toll produziert. Beteiligt waren unter anderen Atticus Ross von den Nine Inch Nails sowie der Produzent Flood, der für seine Arbeit an Alben von U2 bekannt ist. Auch einige Gäste gibt es auf dem Album zu hören, etwa Joe Talbot (von der Band Idles) und den Schauspieler Cillian Murphy.

Veranstaltungshinweis

Jehnny Beth spielt am Samstag um 22.00 Uhr im Kremser Stadtsaal. Das Donaufestival findet noch bis Sonntagabend statt. Das Programm kann online abgerufen werden.

Die Texte kreisen um Themen wie Sexualität, Begierde und auch ihre katholische Erziehung: „And it’s the guilt of course, because I was raised Catholic“, heißt es im Song „Innocence“. 2021 veröffentlichte Beth ein Kollaborationsalbum mit Bobby Gillespie, bekannt aus der Band Primal Scream, unter dem Titel „Utopian Ashes“. Doch ihre Kunst hört nicht bei der Musik auf: Gemeinsam mit Johnny Hostile – mit dem sie seit Anbeginn ihrer musikalischen Laufbahn zusammenarbeitet – veröffentlichte sie 2020 das Kunstbuch „C.A.L.M.“, was für „Crimes Against Love Memories“ steht.

Zuletzt nahm auch ihre Karriere als Schauspielerin Fahrt auf: Für ihre Rolle im Film „Un amour impossible“ aus dem Jahr 2018 wurde sie beim wichtigsten französischen Filmpreis, dem Cesar, als Beste Newcomerin nominiert. Auch aktuell ist sie im Kino zu sehen: Im Film „Wo in Paris die Sonne aufgeht“ des französischen Regiemeisters Jacques Audiard spielt sie eine Onlinepornodiva namens Amber Sweet.

Kunst als „Ort, an dem wir Fragen stellen“

Erst diese Woche habe sie die Dreharbeiten an einem anderen Film beendet, im Juli gehen neue Dreharbeiten los. Beth sagt: „Ich mache weiter meine Musik. Die beiden Sachen ergänzen sich aber gewissermaßen.“ Somit ist es kein Wunder, dass Beth den multidisziplinären Ansatz des Donaufestivals schätzt: „Das ist es, was Kunst sein soll. Es sollte ein Ort sein, an dem wir Fragen stellen. Wir tauschen uns aus und hören, was andere Leute sagen. Und vielleicht können wir etwas davon lernen.“

Im Gespräch kündigt Beth an, dass es in Krems nicht nur Songs von ihrem Soloalbum zu hören geben wird: So ist ein Songcover sowie ein noch unveröffentlichter Song, der den Titel „God Is That You“ trägt, eingeplant. „Ich kann nicht zu viel verraten“, sagt sie, „aber es ist ein bombastisches Set.“ Es dürfte also ein Abend voller Überraschungen werden.

Festival ohne „Genreverengung“

Im Gespräch mit ORF.at nennt der künstlerischer Leiter Thomas Edlinger das Donaufestival einen Ort, an dem es „keine Genreverengung“ gebe. Das hat schon das erste Wochenende der diesjährigen Ausgabe unter Beweis gestellt. Etwa mit der Installation „Dream Machine 3000“ von Michael Fischer und Albert Mayr und der zeitgeistigen Mischung aus R&B, Grime und Cloud Rap, die es in der Performance „The Sadness“ von Ula Sickle zu hören gab: Das, was auf dem Donaufestival geboten wird, deckt viele aktuelle Kunstströmungen ab. So konnte man bei MC Yallah & Debmaster afrikanischen Rap hören und bei der US-amerikanischen DJane und Produzentin Emma Burgess-Olsen, besser bekannt als Umfang, zu treibenden Techno-Beats tanzen.

Das theorieaffine Festivalprogramm kreist dieses Jahr um kulturelle Aneignung, eines der meistdiskutierten Themen unserer Zeit. Der Kampfbegriff durchzieht verschiedenste gesellschaftliche Bereiche, betrifft aber besonders stark die Popkultur. Das Donaufestival begegnet dem Thema direkt mit einem selbst entworfenen Begriff: „Gegenaneignung“ meint, so Edlinger, Aneignungen, die „nicht ein bestehendes Machtgefälle unterstützen“.

Das Konzert von Soap&Skin samt Bläser- und Streicherbegleitung mit einem eigens für das Donaufestival zusammengestellten Set von Coverversionen durfte vergangenes Wochenende als Beispiel einer solchen hierarchielosen Aneignung gehört werden: Mit Coverversionen wie „Mystery of Love“, das im Original vom US-amerikanischen Indie-Helden Sufjan Stevens stammt, sowie „Maybe Not“ von Cat Power, der ja selbst ein hart erarbeiteter Ruf als Coverspezialistin vorauseilt. Die Grenzen zwischen Hommage und Aneignung dürfen auch noch dieses Wochenende in Krems verschwimmen.