Sozial- und Gesundheitsminister Johannes Rauch
Reuters/Lisa Leutner
Wahlärztesystem

Rauch mit Kampfansage an Ärztekammer

Das Problem ist bekannt: Während die Nachfrage nach niedergelassenen Ärzten und Ärztinnen steigt, sinkt das Angebot. Denn gerade junge Medizinerinnen und Mediziner entscheiden sich zunehmend gegen einen Kassenvertrag und für eine Wahlarztpraxis. Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) forderte am Freitag eine Debatte über neue Modelle. Er sei auch bereit, sich hier mit der Ärztekammer anzulegen. Diese reagierte prompt.

Die Ärztekammer sehe nicht, „dass wir ein Problem mit der jetzigen Praxis des Wahlärztesystems haben“, sagte Rauch in der „Tiroler Tageszeitung“ (Freitag-Ausgabe). Es sei ärgerlich, dass „der größte Teil der ausgebildeten Ärzteschaft sofort in eine Wahlarztpraxis geht und niemand mehr bereit ist, einen Kassenvertrag im niedergelassenen Bereich anzunehmen“.

Man müsse darüber reden, ob man Medizinabsolventen nicht dazu verpflichten kann, für eine bestimmte Zeit als Kassenarzt zu arbeiten – vielleicht ein, zwei Tage in der Woche. „Das wird ein Konflikt mit der Ärztekammer – und den bin ich bereit zu führen.“

Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres
APA/Georg Hochmuth
"Wir hätten uns Anerkennung erwartet und nicht, dass uns der zuständige Minister Zwangsarbeit in Aussicht stellt“, so Szekeres

Ärztekammer: Forderung „enttäuschend“

Der Präsident der Ärztekammer, Thomas Szekeres, wies die Forderung in einer Aussendung zurück und sprach von „Zwangsarbeit“. Ausgerechnet eine Berufsgruppe, die während der Pandemie Übermenschliches geleistet habe, derart disziplinieren zu wollen, sei „mehr als enttäuschend“. Der drohende Ärztemangel sei sicher nicht durch Zwang abzuwenden. „Viel wichtiger wäre es, endlich die Tätigkeit des Kassenarztes zu attraktiveren“, so Szekeres, etwa durch bessere Honorierung oder weniger administrative Tätigkeiten.

Konflikt zwischen Ärztekammer und Gesundheitsminister

Dem Mangel an Kassenärztinnen und -ärzten will Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) jetzt gegensteuern. Er setzt dabei aber nicht auf Anreize, sondern auf Pflicht. „Zwangsarbeit“ nennt das die Ärztekammer.

„Für Konflikt bereit“

Auch der Vizepräsident der Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte, Johannes Steinhart, kritisierte den Vorstoß. Der Arztberuf sei ein freier Beruf und müsse es auch bleiben. Er verwehre sich gegen jegliche Eingriffe. Für den von Minister Rauch heraufbeschworenen Konflikt sei man „jederzeit bereit“.

Wahl vs. Privat

Die gesetzlichen Krankenkassen erstatten den Patienten bei Wahlärzten 80 Prozent des jeweiligen Kassentarifs. Bei einem Privatarzt sind die Kosten voll und ganz selbst zu tragen.

Für Harald Mayer, Vizepräsident der Ärztekammer und Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte, sei die Wahlarzttätigkeit ohnehin ein Entgegenkommen der Ärzte gegenüber den Patienten, „denn Wahlärzte verrechnen praktisch Kassentarife“. Und: „Wenn die Politik so weitermacht, wird es künftig nur noch Privatärzte geben, und diese verrechnen dann, was ihre Leistung wirklich wert ist.“

Zahl der Wahlarztpraxen stark gestiegen

Über das Ausmaß des Problems hatte im September 2021 der Rechnungshof berichtet. Die Zahl der Kassenverträge stagnierte von 2009 bis 2019 bei den Fachärzten, bei den Allgemeinmedizinern ging sie sogar um sechs Prozent zurück – und das bei einem Bevölkerungszuwachs von sechs Prozent.

Grafik zeigt Daten zum Mangel an Kassenärzten
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: Rechnungshof

Die Zahl der Wahlarztpraxen stieg hingegen bei Allgemeinmedizinern um 42 Prozent, bei Fachärzten um 38 Prozent. In der Frauenheilkunde und Geburtshilfe lag ihr Anteil zuletzt schon bei 16 Prozent, über alle Gruppen hinweg jedoch noch bei vergleichsweise niedrigen 5,5 Prozent.

Ruf nach Reformen

Während also viele Kassenarztstellen unbesetzt sind, sehen sich Patienten und Patientinnen bei Wahlärzten und -ärztinnen mit höheren Kosten konfrontiert – bei Privatärzten sowieso. Kritiker und Kritikerinnen sprechen von einem Zweiklassengesundheitssystem. Vor diesem Hintergrund wurde in der Vergangenheit bereits öfter der Ruf nach Reformen laut.

So schlug die oberösterreichische Landeshauptmann-Stellvertreterin Christine Haberlander (ÖVP) Pflichtdienste für Wahlärzte etwa in der Therapie von Drogensüchtigen und bei Nachtdiensten im Hausärztlichen Notdienst sowie bei Engpässen in Regionen vor. Schließlich werde das Medizinstudium öffentlich finanziert, argumentierte Haberlander.

„Völlig realitätsfremd“

Die Ärztekammer lehnte das als „völlig realitätsfremd“ ab. Bernhard Wurzer, Generaldirektor der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), wies den Vorschlag nicht a priori zurück. Man könne darüber diskutieren, ob man auch einen Beitrag für das öffentliche System leisten solle, wenn man etwa während der Ausbildung davon profitiert habe, so Wurzer Ende April.

Auch einen Vorstoß von Andreas Huss, Vizeobmann der ÖGK, wies die Ärztekammer zurück. Huss forderte eine Umstellung auf das deutsche System, wo es entweder Ärzte im Kassensystem oder reine Privatärzte gebe.