Michelle O’Neill (Sinn Fein)
APA/AFP/Paul Faith
Nordirland

Historischer Sieg von Sinn Fein

Die katholisch-republikanische Partei Sinn Fein ist erstmals als stärkste Kraft aus der Parlamentswahl in Nordirland hervorgegangen. Nach Auszählung aller Stimmen errang die einst als politischer Arm der militanten Organisation Irisch-Republikanische Armee (IRA) geltende Partei 27 der 90 Sitze in der Northern Ireland Assembly. Sinn Fein löst damit die protestantisch-unionistische Democratic Unionist Party (DUP), die nun auf 25 Sitze kommt, als stärkste Kraft ab.

Sinn-Fein-Spitzenkandidatin Michelle O’Neill steht nun das Recht zu, den Posten der Regierungschefin zu beanspruchen. Für den zum Vereinigten Königreich gehörenden Landesteil ist das ein historisches Ergebnis. Erstmals könnte eine Politikerin an der Spitze der Regierung stehen, die sich für die Loslösung von London und die Vereinigung mit der Republik Irland ausspricht. Bisher hatten stets Parteien den Regierungschef gestellt, die eine Beibehaltung der Union mit Großbritannien befürworten.

Eine Regierungsbildung könnte aber am Widerstand der (DUP) scheitern, die einen gleichberechtigten Stellvertreter stellen müsste. Dem als Karfreitagsabkommen bekannten Friedensschluss aus dem Jahr 1998 zufolge müssen die stärksten Parteien aus beiden konfessionellen Lagern eine Einheitsregierung bilden.

Michelle O’Neill (Sinn Fein)
AP/Peter Morrison
O’Neill und Parteichefin Mary Lou McDonald bei einem Selfie, als der Wahlsieg schon feststand

O’Neill: „Neue Ära“

O’Neill steht nun das Recht auf den Posten der Regierungschefin (First Minister) zu. Bisher hatten stets Parteien den Regierungschef gestellt, die eine Beibehaltung der Union mit Großbritannien befürworten. „Heute ist ein sehr bedeutsamer Tag des Wandels“, sagte O’Neill in einer Ansprache.

Sie fügte hinzu: „Heute beginnt eine neue Ära, die uns allen die Möglichkeit gibt, Beziehungen in der Gesellschaft neu zu definieren auf der Grundlage von Fairness, Gleichbehandlung sowie von sozialer Gerechtigkeit unabhängig vom sozialen Hintergrund.“ O’Neill rief die anderen Parteien zur Kooperation auf, um eine Regierung zu bilden. Auch die US-Regierung rief die Parteien in Nordirland zur Bildung einer Einheitsregierung auf, wie es im Karfreitagsabkommen vorgesehen ist.

Nachwehen des Brexit

Bis vor Kurzem stellte noch die probritische DUP den Regierungschef in Nordirland. Doch Paul Givan trat im Februar im Streit über das Nordirland-Protokoll des Brexit-Vertrags zurück.

Das Protokoll, das zwischen London und Brüssel ausverhandelt wurde, sieht für Nordirland weiterhin die Regeln des EU-Binnenmarktes und der Zollunion vor. So wird eine Landgrenze zur Republik Irland vermieden – neue Spannungen waren die große Sorge in der früheren Bürgerkriegsregion. Doch so wie der gesamte Brexit ist alles doch nicht so einfach wie gedacht. Denn nun gestaltet sich der Warenverkehr zwischen dem restlichen Großbritannien und Nordirland kompliziert.

Die DUP trat daher für die Abschaffung des mühsam verhandelten Protokolls ein. Auch die britische Regierung in London stellte das selbst eingesetzte Protokoll wiederholt infrage, was auch zwei Jahre nach dem Brexit noch für Streit mit der EU führt.

Schritt zu Wiedervereinigung?

Sinn Fein forderte kurz vor der Wahl von der Republik Irland eine Planung für eine mögliche Vereinigung. Das ist zumindest derzeit für jene, die sich zu Irland gehörig fühlen, nur Zukunftsmusik. Ein entsprechendes Referendum wäre erst möglich, wenn es in der Bevölkerung Nordirlands eine Mehrheit dafür gäbe. Das scheint im Moment nicht der Fall zu sein, auch wenn sich immer mehr Nordirinnen und Nordiren zur Republik hingezogen fühlen: 2020 beantragten sie erstmals mehr irische als britische Pässe. Die Sinn Fein muss aber noch etwas warten mit einer „Border Poll“, dem Referendum. Ein Datum soll laut Wahlprogramm erst in den kommenden Jahren fixiert werden.

Mit sozialer Agenda gepunktet

Das Thema irische Einheit spielte im Wahlkampf frelich auch bei Sinn Fein nur eine untergeordnete Rolle. Sinn Fein konzentrierte sich stattdessen erfolgreich auf soziale Themen wie die steigenden Lebenshaltungskosten und Gesundheit. O’Neill kündigte an, sie wolle sich auch als künftige Regierungschefin vorwiegend diesen Themen widmen. Gleichzeitig rief sie zu einer breiten gesellschaftlichen Debatte über die Einheit Irlands auf. „Lasst uns alle an einem gemeinsamen Plan arbeiten“, so O’Neill.

Bei Sinn Fein übernahm längst eine jüngere Generation die Spitzenpositionen. Sie werden nicht mehr so stark mit der IRA und deren Vergangenheit identifiziert. Das Ziel, Nordirland und Irland zu vereinigen, gilt aber immer noch als oberstes Ziel. Das spaltet freilich die Gesellschaft, die probritischen Teile der Bevölkerung und Parteien stellen sich vehement dagegen, so auch die DUP.