Blick auf das Parlamentsausweichquarter
ORF.at/Roland Winkler
Antikorruptionsbegehren

Das Schweigen der Parteien

Am Abend läuft die Eintragungswoche für sieben Volksbegehren, allen voran das Antikorruptionsvolksbegehren, ab. Auffällig ist, dass sich die Parlamentsparteien – mit Ausnahme von NEOS – zum Antikorruptionsvolksbegehren während der Eintragungswoche praktisch ausgeschwiegen haben. Und das zu einem Zeitpunkt, zu dem die Innenpolitik zu einem großen Teil aus Korruptionsskandalen und -affären besteht. Der Politologe Peter Filzmaier sieht darin gegenüber ORF.at einen historischen, vor allem aber einen taktischen Grund.

NEOS rührte letzte Woche mit einer Pressekonferenz die Werbetrommel, und von der SPÖ gab es zwei Aussendungen. Das war es aber im Wesentlichen auf Bundesebene. Filzmaier sagte, Österreich habe historisch bedingt ein „verkorkstes Verhältnis“ zu direkter Demokratie.

Das sei nach sieben Jahren nationalsozialistischer Indoktrination 1945 bei der Neugründung der Republik nicht überraschend, ja sehr verständlich gewesen. Dazu seien auch die Alliierten entsprechend skeptisch gewesen und hätten starke direktdemokratische Elemente die Verhandlungen für den Staatsvertrag zumindest behindert.

Zeitpunkt für Reform „verpasst“

Doch dann habe man den Zeitpunkt für eine Reform „verpasst“, so Filzmaier – aus dem einfachen Grund, dass Parteien stets nur in der Opposition an mehr direkter Demokratie interessiert waren, nicht aber, wenn sie an der Macht waren oder sind.

So hätten ÖVP und FPÖ 2017 für mehr direkte Demokratie geworben – im gemeinsamen Regierungsprogramm wurde die Hürde für die verpflichtende Umsetzung aber drastisch auf 900.000 Unterschriften angehoben und die Umsetzung ans Ende der Legislaturperiode verschoben, die dann wegen „Ibiza“ bekanntlich nicht erreicht wurde. Und im Regierungsprogramm von ÖVP und Grünen komme das gleich gar nicht vor, so Filzmaier.

„Wenig verwunderlich“

Dass sich die Parteien angesichts der zahlreichen akuten Skandale – von den „Ibiza“-Nachwehen über die ÖVP-Inseratenaffäre im Bund bis zu jener in Vorarlberg und anderem mehr – nicht klar für stärkere Korruptionsbekämpfung positionieren, indem sie das Volksbegehren offensiv unterstützen, ist für Filzmaier daher nicht überraschend.

Höchstens bei NEOS sei es vielleicht verwunderlich: in dem Sinne, dass es die Partei nicht stärker nützte, um sich als die politische Kraft, die Korruption aufzeigt und bekämpft, zu positionieren. Umso mehr, als die Grünen diese neben Umweltschutz wichtigste Kernkompetenz nun als Regierungspartei deutlich weniger akzentuieren.

„Sprengkraft für die Koalition“

Würden die Grünen das Volksbegehren unterstützen, hätte das freilich „Sprengkraft für die Koalition“, so Filzmaier. Angesichts weiter zweistelliger Umfragewerte nehme man den Verlust von einem Teil von Unterstützerinnen und Unterstützern wohl hin. Und inhaltlich gehen die Forderungen deutlich weiter als etwa im Parteiengesetz, das ÖVP und Grüne zäh verhandelt haben und vor dem Sommer beschließen wollen.

Und ÖVP, SPÖ und FPÖ hätten ohnehin das Problem, dass es „paradox“ wäre, wenn sie das Thema plötzlich für sich entdecken würden und in dieser Rolle daher wenig glaubhaft wären.

Verpasste Chance

Als Regierungsparteien könne man zudem die „Lücke“ nützen, die Volksbegehren hätten: dass sie kein konkreter Gesetzestext sein müssen, sondern mehr oder weniger konkrete Vorschläge für ein Gesetz. So könnten Regierungsparteien behaupten, dass etwa mit dem Parteiengesetz ein Großteil der Forderungen ohnehin umgesetzt werde. Die „Peinlichkeit“, dass sogar der Rechnungshof im Vorjahr einen eigenen Entwurf vorlegte, weil sich nichts bewegte, werde dann einfach verschwiegen, so der Politologe.

Historisch betrachtet schädigten sich nach Ansicht Filzmaiers ÖVP und SPÖ mit ihrer De-facto-Ablehnung von mehr direkter Demokratie. Denn das schaffe immer wieder die Möglichkeit auch für fragwürdige Bewegungen wie etwa aktuell Impfgegner zu behaupten, sie würden die Mehrheit der Bevölkerung repräsentieren, nicht die gewählten Parteien. Eine offene Debatte im Rahmen von Volksbegehren oder Volksabstimmung wäre nämlich auch die Chance, solche Behauptungen zu widerlegen, so Filzmaier.

Sieben Volksbegehren liegen auf

Am Montag können noch sieben Volksbegehren online bzw. in einem der rund 2.000 Eintragungslokale unterschrieben werden. Neben dem „Rechtsstaat & Antikorruptionsvolksbegehren“ geht es um die Initiativen „Impfpflichtabstimmung: Nein respektieren“, „Nein zur Impfpflicht“, „Stoppt Lebendtier-Transportqual“, „Arbeitslosengeld rauf“, „Mental Health Jugendvolksbegehren“ und „Bedingungsloses Grundeinkommen umsetzen“.

Ziel aller Initiatorinnen und Initatoren sind zumindest 100.000 Unterschriften, die eine Behandlung im Parlament garantieren. Das Antikorruptionsvolksbegehren hat diese Hürde bereits geknackt, wie Proponent Martin Kreutner Ende letzter Woche berichtete.

Eintragungsberechtigt sind alle Österreicher und Österreicherinnen, die in einer Wählerevidenz eingetragen sind; in der Einleitungsphase geleistete Unterschriften gelten als Unterstützungserklärung und werden in das Ergebnis eingerechnet. Wie viel Zuspruch die sieben Begehren erfahren haben, gibt das Innenministerium am Abend bekannt.