Flyer zum Rechtsstaat- und Anti-Korruptionsvolksbegehren
APA/Georg Hochmuth
Volksbegehren

Sechs von sieben nehmen 100.000er-Hürde

Sechs der sieben Volksbegehren, deren Eintragungswoche am Montag zu Ende gegangen ist, müssen im Parlament behandelt werden. Die erfolgreichste Initiative war „Stoppt Lebendtier-Transportqual“, gefolgt vom Antikorruptionsvolksbegehren. Damit ein Volksbegehren vom Nationalrat behandelt werden muss, ist eine Anzahl von mindestens 100.000 Unterschriften erforderlich.

Das vom niederösterreichischen FPÖ-Landesrat Gottfried Waldhäusl initiierte Volksbegehren gegen Lebendtiertransporte sammelte 426.938 Unterstützerinnen und Unterstützer. Das angesichts des „Ibiza“-U-Ausschusses gestartete Antikorruptionsbegehren haben 307.629 Österreicherinnen und Österreicher unterschrieben, das waren 4,84 Prozent der 6.361.479 Stimmberechtigten, gab das Innenministerium bekannt.

Fast gleich viele Unterschriften gab es für zwei ähnliche, gegen die (mittlerweile wieder ausgesetzte) CoV-Impfpflicht gerichtete Begehren: „NEIN zur Impfpflicht“, vertreten von Robert Marschall, kam im vorläufigen Ergebnis auf 246.878 Unterstützende bzw. 3,88 Prozent, „Impfpflichtabstimmung: NEIN respektieren!“ (Werner Bolek) auf 246.476 bzw. 3,87 Prozent.

Grundeinkommen und „Jugendvolksbegehren“

Die Initiative für ein „Bedingungsloses Grundeinkommen“ fand 168.981 mal Zuspruch (2,66 Prozent). Das von einer Gruppe rund um Carina Reithmaier, der Vorsitzenden der ÖVP-nahen Schülerunion, getragene „Mental Health Jugendvolksbegehren“ sammelte 138.131 Unterschriften (2,17 Prozent).

Politologe Filzmaier zu den Volksbegehren

Politologe Peter Filzmaier analysiert die Ergebnisse der aufgelegenen Volksbegehren.

Als einziges unter der 100.000er-Hürde geblieben ist das von einer Allianz aus Betriebsräten, NGOs, Sozialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern sowie Kunstschaffenden aufgelegte Begehren „Arbeitslosengeld RAUF!“. 86.217 bzw. 1,36 Prozent sind zu wenig für den Anspruch auf Behandlung im Parlament.

Tiertransportbegehren auf Platz 18

In der Tabelle der bisher insgesamt 64 Volksbegehren (verglichen nach dem Stimmenanteil) landete das Tiertransportbegehren nach dem vorläufigen Ergebnis mit 6,71 Prozent auf Rang 18 – um zwei Plätze vor dem Tierschutzvolksbegehren im Vorjahr (6,52 Prozent).

Das von einer Gruppe prominenter ehemaliger Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Justiz und Beamtenschaft rund um Martin Kreutner, den früheren Leiter der internationalen Antikorruptionsakademie, eingebrachte Antikorruptionsvolksbegehren rangiert auf Platz 25.

Die Proponentinnen und Proponenten sahen das als „deutlichen Erfolg“ – zumal ihr Begehren keine formelle Unterstützung durch eine Partei oder größere Organisation im Hintergrund hatte. Man werde „nicht aufhören“, auf die Politik „weiter Druck zu machen“. NEOS-Vizeklubchef Nikolaus Scherak sah einen „klaren Auftrag an ÖVP und Grüne, das ewige Spielen auf Zeit zu beenden und endlich konkrete Gesetzesvorhaben vorzulegen“ für Transparenz und eine saubere Politik.

Antikorruptionsvolksbegehren: Parteien schwiegen

Auffällig ist, dass sich die Parlamentsparteien – mit Ausnahme von NEOS – zum Antikorruptionsvolksbegehren während der Eintragungswoche praktisch ausgeschwiegen haben. Und das zu einem Zeitpunkt, zu dem die Innenpolitik zu einem großen Teil aus Korruptionsskandalen und -affären besteht. Der Politologe Peter Filzmaier sah darin gegenüber ORF.at einen historischen, vor allem aber einen taktischen Grund.

Volksbegehren knacken 100.000er-Marke

Sechs von sieben der in den vergangenen acht Tagen aufgelegenen Volksbegehren haben die Marke von 100.000 Eintragungen geknackt.

NEOS rührte letzte Woche mit einer Pressekonferenz die Werbetrommel, und von der SPÖ gab es zwei Aussendungen. Das war es aber im Wesentlichen auf Bundesebene. Filzmaier sagte, Österreich habe historisch bedingt ein „verkorkstes Verhältnis“ zu direkter Demokratie.

Das sei nach sieben Jahren nationalsozialistischer Indoktrination 1945 bei der Neugründung der Republik nicht überraschend, ja sehr verständlich gewesen. Dazu seien auch die Alliierten entsprechend skeptisch gewesen und hätten starke direktdemokratische Elemente die Verhandlungen für den Staatsvertrag zumindest behindert.

Zeitpunkt für Reform „verpasst“

Doch dann habe man den Zeitpunkt für eine Reform „verpasst“, so Filzmaier – aus dem einfachen Grund, dass Parteien stets nur in der Opposition an mehr direkter Demokratie interessiert waren, nicht aber, wenn sie an der Macht waren oder sind.

So hätten ÖVP und FPÖ 2017 für mehr direkte Demokratie geworben – im gemeinsamen Regierungsprogramm wurde die Hürde für die verpflichtende Umsetzung aber drastisch auf 900.000 Unterschriften angehoben und die Umsetzung ans Ende der Legislaturperiode verschoben, die dann wegen „Ibiza“ bekanntlich nicht erreicht wurde. Und im Regierungsprogramm von ÖVP und Grünen komme das gleich gar nicht vor, so Filzmaier.

„Wenig verwunderlich“

Dass sich die Parteien angesichts der zahlreichen akuten Skandale – von den „Ibiza“-Nachwehen über die ÖVP-Inseratenaffäre im Bund bis zu jener in Vorarlberg und anderem mehr – nicht klar für stärkere Korruptionsbekämpfung positionieren, indem sie das Volksbegehren offensiv unterstützen, ist für Filzmaier daher nicht überraschend.

Höchstens bei NEOS sei es vielleicht verwunderlich: in dem Sinne, dass es die Partei nicht stärker nützte, um sich als die politische Kraft, die Korruption aufzeigt und bekämpft, zu positionieren. Umso mehr, als die Grünen diese neben Umweltschutz wichtigste Kernkompetenz nun als Regierungspartei deutlich weniger akzentuieren.

„Sprengkraft für die Koalition“

Würden die Grünen das Volksbegehren unterstützen, hätte das freilich „Sprengkraft für die Koalition“, so Filzmaier. Angesichts weiter zweistelliger Umfragewerte nehme man den Verlust von einem Teil von Unterstützerinnen und Unterstützern wohl hin. Und inhaltlich gehen die Forderungen deutlich weiter als etwa im Parteiengesetz, das ÖVP und Grüne zäh verhandelt haben und vor dem Sommer beschließen wollen.

Und ÖVP, SPÖ und FPÖ hätten ohnehin das Problem, dass es „paradox“ wäre, wenn sie das Thema plötzlich für sich entdecken würden und in dieser Rolle daher wenig glaubhaft wären.

Verpasste Chance

Als Regierungsparteien könne man zudem die „Lücke“ nützen, die Volksbegehren hätten: dass sie kein konkreter Gesetzestext sein müssen, sondern mehr oder weniger konkrete Vorschläge für ein Gesetz. So könnten Regierungsparteien behaupten, dass etwa mit dem Parteiengesetz ein Großteil der Forderungen ohnehin umgesetzt werde. Die „Peinlichkeit“, dass sogar der Rechnungshof im Vorjahr einen eigenen Entwurf vorlegte, weil sich nichts bewegte, werde dann einfach verschwiegen, so der Politologe.

Historisch betrachtet schädigten sich nach Ansicht Filzmaiers ÖVP und SPÖ mit ihrer De-facto-Ablehnung von mehr direkter Demokratie. Denn das schaffe immer wieder die Möglichkeit auch für fragwürdige Bewegungen wie etwa aktuell Impfgegner zu behaupten, sie würden die Mehrheit der Bevölkerung repräsentieren, nicht die gewählten Parteien. Eine offene Debatte im Rahmen von Volksbegehren oder Volksabstimmung wäre nämlich auch die Chance, solche Behauptungen zu widerlegen, so Filzmaier.