Bundeskanzler Karl Nehammer
Reuters/Leonhard Foeger
Nehammer baut um

Drei Neue und Kocher wird aufgewertet

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat am Dienstag, wenige Tage vor dem ÖVP-Parteitag, nach den Rücktritten von Tourismusministerin Elisabeth Köstinger und Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (beide ÖVP), in der Politischen Akademie der ÖVP die Neuaufstellung im ÖVP-Regierungsteam präsentiert. Wie bereits zuvor medial kolportiert, soll Arbeitsminister Martin Kocher die Wirtschaftsagenden zusätzlich übernehmen.

Kocher ist parteifrei und wurde vom damaligen ÖVP-Chef und Kanzler Sebastian Kurz in die Regierung geholt. Das Wirtschaftsressort wird eingespart, dafür gibt es eine neue Staatssekretärin und einen neuen Staatssekretär. Die Tourismusagenden werden vom Landwirtschafts- in das neue große Arbeits- und Wirtschaftsministerium übertragen. Mit Susanne Kraus-Winkler werde Kocher die neue Tourismusstaatssekretärin zur Seite gestellt, wie Nehammer sagte. Sie ist derzeit Obfrau des Fachverbands Hotellerie in der Wirtschaftskammer.

Ein Staatssekretariat für Digitalisierung und Breitband kommt ebenfalls. Diese Agenden wird Florian Tursky, bisher Büroleiter des Tiroler Landeshauptmanns Günther Platter (ÖVP), übernehmen, so Nehammer. Die Digitalisierungsagenden wandern damit wieder vom Wirtschafts- in das Finanzministerium von Magnus Brunner (ÖVP). Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP) bekommt zusätzlich die Zivildienstagenden, sie waren zuvor unter Köstinger im Landwirtschaftsministerium angesiedelt. Der Direktor des ÖVP-Bauernbundes, Norbert Totschnig, wird laut Nehammer das Landwirtschaftsministerium übernehmen.

Susanne Kraus-Winkler (Obfrau des Fachverbands Hotellerie)
APA/Georg Hochmuth
Susanne Kraus-Winkler wird neue Tourismusstaatssekretärin

Angelobung Mittwoch

Die Angelobung soll Mittwochfrüh erfolgen, wie es aus der Präsidentschaftskanzlei Dienstagnachmittag hieß. Die Gespräche mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen fanden noch am Dienstag statt. Rosen streute Nehammer dem Koalitionspartner Grüne: Sie seien in die Regierungsumbildung involviert gewesen und hätten diese mitgetragen. Nehammer betonte das gute Verhältnis und eine gute Vertrauensbasis zu Grünen-Chef Vizekanzler Werner Kogler und der grünen Klubchefin Sigrid Maurer und auch deren gute Zusammenarbeit mit ÖVP-Klubchef August Wöginger.

Nehammer präsentiert seine Regierungsumbildung

Für die Kompetenzverschiebungen ist noch eine Änderung des Bundesministeriengesetzes notwendig – also die Zustimmung des grünen Regierungspartners. Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) zeigte sich in einem schriftlichen Statement „froh, dass die Entscheidungen von der ÖVP rasch getroffen wurden und wir jetzt zügig weiterarbeiten können“.

Lob zum Abschied und Vorschusslorbeeren

Der Kanzler sprach Köstinger und Schramböck „ein großes Danke und meine Anerkennung“ aus. Beide hätten viel Einsatz gezeigt und viele Anfeindungen, Häme und Spott erdulden müssen. Er billigte beiden – wie seinem gesamten Team – die selbstbestimmte Entscheidung über den Zeitpunkt ihres Rückzugs zu. Vereinbart sei aber auch gewesen, dass er informiert werde, wenn es so weit ist. Deshalb sei solch eine rasche Umbildung möglich gewesen. Die „Bundesländer- und Teilorganisationslogik“ habe man dabei nicht in den Vordergrund gestellt, unterstrich er.

Bauernbund-Direktor Norbert Totschnig
APA/EXPA/Michael Gruber
Norbert Totschnig wird neuer Landwirtschaftsminister

Nehammer war auch voll des Lobes für seine neuen bzw. inhaltlich aufgewerteten Teammitglieder. Totschnig sei ein „großer, leidenschaftlicher Kämpfer für die Anliegen der Bäuerinnen und Bauern“, aber auch „persönlich ein Freund“, Tursky ein „guter Vertrauter“, Experte und bewährter Krisenmanager, Kocher ein „absolut erfahrener Experte“. Plakolm habe in Fragen der Jugend schon bisher einen wesentlichen Beitrag geleistet und erhalte mit dem Zivildienst nun eine positive thematische Abrundung. Kraus-Winkler sei eine, die die Ängste, Nöte und Zukunftshoffnungen der Tourismusbranche aufnehmen könne.

Filzmaier: Nehammer will Profil schärfen

Die Rücktritte gingen vor dem ÖVP-Parteitag am Samstag über die Bühne, da Nehammer sein Profil schärfen wolle. Folglich zeige sich derzeit die „möglichst diskrete Absetzbewegung von der Ära Kurz“, so Politologe Peter Filzmaier zu ORF.at.

Florian Tursky
Land Tirol
Florian Tursky wird die Digitalagenden übernehmen

Köstinger galt bekanntlich als enge Vertraute und jahrelange politische Weggefährtin von Kurz. Auch die ehemalige A1-Chefin Schramböck war eine Wunschkandidatin des zurückgetretenen Bundeskanzlers. Mit ihnen gehen die letzten zwei verbliebenen Ministerinnen aus der ersten Kurz-Regierung von ÖVP und FPÖ. An diese Zeit soll künftig offenbar nur noch wenig erinnern – worauf auch eine anstehende Umbenennung der ÖVP hindeutet. Aus Kurz’ „Neuer Volkspartei“ wird nun wieder schlicht die „Volkspartei“.

Rückkehr der Länder und Bünde

Für den unter turbulenten Umständen zum Bundeskanzler aufgestiegenen Nehammer ist diese demonstrative Abkehr derzeit eine politische Notwendigkeit – gerade vor dem ÖVP-Parteitag am Samstag, an dem er in Graz zum neuen Parteichef gekürt wird. „Der Parteitag hat den Zweck der möglichst großen Selbstdarstellung von Nehammer und seinem politischen Konzept. Da kann er keine Störfeuer brauchen“, so Filzmaier.

Die Rücktritte der beiden Ministerinnen noch vor dem Treffen seien hinsichtlich des Zeitpunktes daher opportun gewesen – trotz ihres chaotischen Ablaufs. Sowohl Köstinger als auch Schramböck galten schon länger als Ablösekandidatinnen, bisher habe sich ein größerer Personalumbau aufgrund des krisenbedingten Machtwechsels an der ÖVP-Spitze nicht umsetzen lassen.

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Grafik zeigt die Rücktritte und Wechsel unter Türkis-Grün
Grafik: APA/ORF.at; Fotos: APA/Privat (Foto Tursky)
Grafik zeigt die Rücktritte und Wechsel unter Türkis-Grün
Grafik: APA/ORF.at; Fotos: APA/Privat (Foto Tursky)
Grafik zeigt die Rücktritte und Wechsel unter Türkis-Grün
Grafik: APA/ORF.at; Fotos: APA/Privat (Foto Tursky)

Kurz hatte sich bei seiner Übernahme der ÖVP im Jahr 2017 weitreichende Befugnisse bei der Personalauswahl von den Bundesländern gesichert. „Kurz hat die Logik der ÖVP durchbrochen, weil er Wahlerfolge versprechen konnte. Doch Nehammer hat keine Wahlerfolge“, so Filzmaier. Die ungeschriebenen Regeln der Länder und Bünde seien damit zurück.

SPÖ will Neuwahlantrag einbringen

Die Opposition kritisierte die ÖVP-Regierungsumbildung. Die SPÖ wird in der nächsten Nationalratssitzung einen Antrag auf Neuwahlen einbringen. Auch die FPÖ pocht auf Neuwahlen. „Nach diesen beiden Rücktritten ist endgültig ‚Game over‘. Die Regierung Nehammer ist gescheitert“, sagte der stellvertretende SPÖ-Klubobmann Jörg Leichtfried bei einer Pressekonferenz am Dienstag. Für diese Regierung sei es an der Zeit, zur Seite zu treten. Die SPÖ werde deshalb in der nächsten Nationalratssitzung einen Neuwahlantrag einbringen.

Leichtfried macht die Regierung für den Absturz in „sämtlichen Rankings“ verantwortlich. Wo geschlossenes Handeln gefordert sei, gebe es einen Rücktritt nach dem anderen. „Der Kanzler wählt seine Minister nicht nach Kompetenz aus, sondern danach, keinen Ärger mit der ÖVP Tirol oder dem Bauernbund zu bekommen“, kritisierte er die Postenbesetzungen der vergangenen Jahre. „Transparenz und Kontrolle haben noch nie die ÖVP gewählt, inzwischen wählt der Anstand auch nicht mehr die Grünen.“

FPÖ sieht „ÖVP-Regierungsbasar“

Bei den Themen Teuerung, Energie und Pflege sei „nichts weitergegangen“. Es sei Zeit für die Senkung von Steuern und Lohnsteuern und Pensionserhöhungen, so Leichtfried. Er kritisierte auch fehlende Pläne der Bundesregierung, um die Gasversorgung zu sichern, so Leichtfried weiter.

FPÖ-Chef Herbert Kickl ortete am Dienstag in einer Aussendung einen „ÖVP-Regierungsbasar“, notwendig sei „ein Aufwachen des Bundespräsidenten“, so der FPÖ-Chef. Alexander Van der Bellen müsse „jetzt endlich seine staatspolitische Verantwortung leben und nicht wieder in den unreflektierten Angelobungstrott verfallen. Er muss diesem jämmerlichen ÖVP-Schauspiel ein Ende setzen“, so Kickl weiter. Das Regierungsteam habe nichts mehr mit jenen Personen zu tun, die im Jahr 2019 in die Nationalratswahl gegangen seien. Van der Bellen müsse den Weg für Neuwahlen freigeben.

NEOS kritisiert Postenbesetzung

Einen „Skandal der Sonderklasse“ sieht FPÖ-Wirtschaftssprecher Erwin Angerer darin, dass die Wirtschaftsagenden ein „Anhängsel“ des Arbeitsministeriums werden sollen. Arbeitsminister Kocher habe sich schon bisher nicht ausreichend um den Arbeitsmarkt gekümmert, befand auch FPÖ-Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch. In der CoV-Krise sei Kocher zudem als „Scharfrichter“ aufgefallen, so Belakowitsch weiter.

Kritik an Nehammers Postenbesetzungen übte auch NEOS: Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) habe nichts weitergebracht, vom Bildungsminister bleibe nichts in Erinnerung, und in Sachen Energie habe es keine Weiterentwicklung gegeben, sagte NEOS-Generalsekretär Douglas Hoyos bei einer Pressekonferenz. Ministerposten würden lediglich aufgrund der Herkunftsbundesländer der Anwärter vergeben, kritisierte er. „Es kann doch nicht sein, dass ich Minister werde, nur weil ich Tiroler bin.“ Weiters warf Hoyos der ÖVP ein Korruptionsproblem vor. „Wir erleben, was wir schon die letzten Jahre erlebt haben: Die ÖVP hat ein Korruptionsproblem.“

AK und Gewerkschaft kritisieren Zusammenlegung

Kritik kam von Arbeiterkammer (AK) und Gewerkschaft: „Man muss kein Schwarzmaler sein, um die Zusammenlegung der Ressorts für Arbeit und Wirtschaft in ein Ministerium als sehr problematisch für die ArbeitnehmerInnen zu werten“, so ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian in einer Aussendung. „Es reicht ein Blick ins Archiv“, meinte er mit Verweis auf den Anfang der 2000er Jahre. Auch aus Sicht von AK-Präsidentin Renate Anderl sind „Interessenkonflikte zwischen den Anliegen von Arbeitnehmer:innen und Unternehmen vorprogrammiert“.

Diametral entgegengesetzt äußerte sich die Industriellenvereinigung (IV). Die Zusammenlegung der Ressorts sei eine „sinnvolle Weichenstellung“, meinte IV-Präsident Georg Knill in einer Aussendung. Ähnlich sieht das auch Wirtschaftskammer-Generalsekretär Karlheinz Kopf (ÖVP). „Martin Kocher wird auch in seinem nun erweiterten Ressort seine Fachkompetenz unter Beweis stellen, mit der er schon als Arbeitsminister überzeugen konnte – und das im besten Interesse des österreichischen Wirtschaftsstandortes“, so Kopf.

Erste Forderungen

Zufrieden zeigten sich auch jene Institutionen, deren Vertreter nun in die Regierung wechseln – von Bauernbund über Wirtschaftsbund bis zu nahestehenden Organisationen wie Tourismusvertretungen und Landwirtschaftskammer. Die neuen Regierungsmitglieder seien Experten bzw. Vollprofis.

Auch erste Forderungen durch die Ressortverschiebungen wurden schon geäußert. Die Bundesjugendvertretung (BJV) appellierte in einer Aussendung, die neuen Chancen durch die Verschiebung der Zivildienstagenden ins Jugendstaatssekretariat zu nutzen und das Engagement im Rahmen des Europäischen Solidaritätskorps als Zivilersatzdienst anzuerkennen.

Der WWF wiederum appellierte an den neuen Landwirtschaftsminister, bis Herbst einen Bodenschutzvertrag zu verhandeln und konkrete Maßnahmen gegen den Flächenfraß durchzusetzen. Der Verein gegen Tierfabriken (VGT) nutzte die Bekanntgabe der neuen Regierungsmitglieder gleich für eine Aktion gegen Vollspaltenböden.