Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP)
Reuters/Leonhard Foeger
Neue Gesichter

Die Logik hinter Nehammers Umbau

Ein Minister mit „Superressort“, ein neuer Landwirtschaftsminister, zwei neue Staatssekretariate: Parteiobmann und Bundeskanzler Karl Nehammer hat am Dienstag eine größere Rochade im ÖVP-Regierungsteam vorgestellt. Im Umbau spiegle sich eine parteiinterne Logik wider, sagen von ORF.at befragte Fachleute. Eines habe Nehammer allerdings erreicht: Die Personaldebatten sind rechtzeitig vor dem Parteitag abgehakt.

Vor allem der Rücktritt von Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) brachte Nehammer unter Zugzwang. Mit einem Rückzug der Vertrauten von Ex-Kanzler und -Parteiobmann Sebastian Kurz war gerechnet worden, der Zeitpunkt überraschte freilich politische Beobachterinnen und Beobachter und – laut Medienberichten – auch Nehammer selbst.

Es sei Nehammer nicht zupassgekommen, dass ihm vor dem ÖVP-Parteitag „das Heft des Handelns entrissen wurde“, sagt der Politikberater Thomas Hofer gegenüber ORF.at über den zu diesem Zeitpunkt überraschenden Rücktritt Köstingers. „Er hat aber schnell reagiert, muss man positiv anfügen“, so Hofer. Neben Köstinger trat am Montag auch Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck ab. Sie galt schon länger als Wackelkandidatin im ÖVP-Regierungsteam.

„Erbpacht“ des Bauernbundes

Bei den Nachbesetzungen zeige sich „natürlich eine parteiinterne Logik“, sagt Politikberater Hofer, auch wenn die ÖVP das in Abrede stelle. Köstingers Nachfolger wird Norbert Totschnig, Direktor des ÖVP-Bauernbundes. „Klar ist, dass der Bauernbund eine ‚Erbpacht‘ auf das Landwirtschaftsministerium hat“, so Hofer.

Analyse zum neuen Regierungsteam

ZIB-Innenpolitikchef Hans Bürger analysiert nach der Pressekonferenz von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) das neue Regierungsteam.

Die Bestellung der bisherigen Obfrau der Sparte Tourismus in der Wirtschaftskammer (WKO), Susanne Kraus-Winkler, zur Tourismusstaatsekretärin wertet Hofer als Zeichen an den ÖVP-Wirtschaftsbund. Die Fremdenverkehrsagenden wandern aus dem Landwirtschafts- ins neu geschaffene Wirtschafts- und Arbeitsressort. Dem „Superministerium“ wird der parteifreie Martin Kocher vorstehen. Der Ökonom und frühere Leiter der Instituts für Höhere Studien war bisher Arbeitsminister.

„Beigeschmack von Parteikompromiss“

Der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier verweist zudem darauf, dass mit Totschnig ein Osttiroler in die Regierung einzieht. Mit Köstinger habe der Bauernbund eine Ministerin verloren, mit Schramböck die Tiroler Landes-ÖVP. Die Nachbesetzungen hätten „schon den Beigeschmack des klassischen Parteikompromisses und nicht einer Alleinentscheidung des Bundeskanzlers“, so Filzmaier.

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Grafik zeigt die Rücktritte und Wechsel unter Türkis-Grün
Grafik: APA/ORF.at; Fotos: APA/Privat (Foto Tursky)
Grafik zeigt die Rücktritte und Wechsel unter Türkis-Grün
Grafik: APA/ORF.at; Fotos: APA/Privat (Foto Tursky)
Grafik zeigt die Rücktritte und Wechsel unter Türkis-Grün
Grafik: APA/ORF.at; Fotos: APA/Privat (Foto Tursky)

Folgt man dieser Logik, dann erhält die Tiroler Volkspartei neben einem Minister auch einen Staatssekretär: Florian Tursky, bisher Büroleiter von Landeshauptmann Günther Platter, wird die Digitalisierungsagenden übernehmen. Zusätzliche Zuständigkeiten erhält darüber hinaus Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP). Sie ist künftig für Zivildienst und Ehrenamt verantwortlich, bisher im Landwirtschaftsministerium angesiedelte Aufgabengebiete.

Kocher als persönliche Wahl Nehammers

Bei „Superminister“ Kocher sieht Filzmaier den Fall anders gelagert: „Mit Kocher, der als Minister nicht die klassische Verwurzelung in der ÖVP hat, hat Nehammer eher seine persönliche Wahl durchgebracht“, so der Politiologe. Wobei es hinter der Entscheidung auch ein anderes Argument gebe: Kocher sei jener ÖVP-Minister mit den höchsten Vertrauenswerten in der Bevölkerung.

Dass ein Parteifreier ein solch einflussreiches Ressort erhält, widerspricht für den Politikwissenschaftler Laurenz Ennser-Jedenastik nicht der Logik der Volkspartei. „Die ÖVP war schon vor Kurz immer wieder bereit, Personen ohne ganz enge Parteibindung Ministerverantwortung zu geben“, so Ennser-Jedenastik. Als Beispiel führt er die Richterin und ehemalige Justizministerin Claudia Bandion-Ortner an.

Personaldebatte abgehakt

Entscheidend für Nehammer sei jedenfalls, die Personaldebatte vor dem Parteitag am Samstag abgehakt zu haben, betont Filzmaier. Nehammer müsse die Bühne auf dem Parteitag dafür nutzen, sein politisches Profil zu schärfen. „Es klingt bei einem Bundeskanzler seltsam, aber: Was er für ein politisches Gesamtkonzept hat, wissen wir alle noch nicht so genau“, konstatiert Filzmaier. Für Nehammer gehe es um ein „Abrücken von der Ära Kurz, aber keine Kehrtwende“, so Filzmaier. „Eine sofortige Kehrtwende würde die Partei emotional spalten.“

Das Logo hat die Partei bereits überarbeiten lassen, bei der Bekanntgabe der neuen Minister und Staatssekretäre in der Politischen Akademie der ÖVP in Wien war es hinter dem Kanzler zu sehen.

Bundeskanzler Karl Nehammer
Reuters/Leonhard Foeger
Ihr Logo hat die ÖVP überarbeiten lassen – hier zu sehen bei der Verkündung der Personalrochaden durch Kanzler Nehammer

Für Unruhe auch innerhalb der Partei sorgte Nehammers Ansage, Gewinne von Unternehmen mit Staatsbeteiligung, die von der Energiekrise überproportional profitieren, per Gesetz abschöpfen zu lassen. Politikberater Hofer rechnet dennoch damit, dass Nehammer mit einem Ergebnis von deutlich über 90 Prozent zum Bundesparteiobmann gewählt wird. Die ÖVP werde sich hier nicht selbst beschädigen.

Wie es um die Ruhe in der Partei langfristig bestellt ist, habe Nehammer aber nur bedingt in der Hand, so Politikwissenschaftler Ennser-Jedenastik unter Verweis auf die laufenden Ermittlungen im Umfeld der ÖVP. „Die Parteispitze ist da bis zu einem gewissen Grad nur Passagier, wenn sie sich nicht von gewissen Personen und Praktiken mit einem harten Schnitt lossagt“, so der Politologe. Ansonsten sei man immer Getriebener davon, was noch ans Licht kommen und möglicherweise in Anklagen münden könnte.