Hände auf Mobiltelefon
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Gesetz zu Kindesmissbrauch

EU will künftig private Chats durchleuchten

Die EU-Kommission hat am Mittwoch neue Pläne präsentiert, um gegen Kindesmissbrauch im Netz vorzugehen. Dazu sollen unter anderem Anbieter von Messaging-Diensten dazu verpflichtet werden, nach entsprechendem Material zu scannen. Technische Details spart der Vorschlag aus – doch gerade die möglichen Wege zur Umsetzung stehen bei Datenschützern in der Kritik.

Der sexuelle Missbrauch von Kindern habe im vergangenen Jahrzehnt stark zugenommen, auch und vor allem im Internet, wie EU-Innenkommissarin Ylva Johansson bei der Präsentation in Brüssel am Mittwoch erklärte. 85 Millionen Bilder und Videos wurden binnen eines einzigen Jahres gemeldet, zitierte sie einen Bericht – dabei sei die Meldung momentan freiwillig und nur eine Handvoll Unternehmen beteilige sich daran, so Johansson. Dem will man künftig entgegenwirken: „Wir werden euch finden“, so die Kommissarin in Richtung der Täter.

Bei der Präsentation in Brüssel sagte Johansson, dass man es heute nicht schaffe, „Kinder zu schützen“. Sie verwies auch darauf, dass mehr als die Hälfte des kinderpornografischen Materials auf Servern in Europa gespeichert sei. Das nun vorgestellte Paket solle vor allem die Erkennung von Material, das Kindesmissbrauch beinhaltet, erleichtern, so Johansson.

EU-Innenkommissarin Ylva Johansson
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Johansson stellte die EU-Pläne am Mittwoch in Brüssel vor

Neues EU-Zentrum soll mit Europol zusammenarbeiten

Drei verschiedene Arten von sexuellem Missbrauch sollen durch die Vorschläge der EU-Kommission bekämpft werden. Konkret geht es um die Verbreitung von bereits bekannten Darstellungen des Kindesmissbrauchs, um neues, bisher unbekanntes Material sowie auch um die Anbahnung von Kontakten, also Grooming, zu Kindern.

Von den neuen Regeln betroffen sind laut EU Kommunikationsdienste, also etwa Messenger und soziale Netzwerke wie WhatsApp, Instagram und Signal, App-Stores, Internetanbieter und Hosting-Dienste. Voraussetzung sei, dass sie ihre Dienste in der EU anbieten.

Für die technische Umsetzung ist das neu eingerichtete EU-Zentrum gegen Kindesmissbrauch zuständig – es soll eine unabhängige Behörde sein, die allerdings eng mit Europol zusammenarbeitet. Und: Die Überwachung soll nur mit einem „Erkennungsbefehl“ durchgeführt werden dürfen, dazu soll auch eine unabhängige Behörde im jeweiligen Mitgliedsland einbezogen werden.

Experte: EU-Vorschlag „vermeidet heikle Entscheidungen“

Betont wurde bei der Pressekonferenz mehrfach, dass das Durchleuchten so „wenig intrusiv wie möglich“ für die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger stattfinden soll. Der Vorschlag sei unter anderem mit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) vereinbar, so Johansson. Sie verwies auch auf die ePrivacy-Verordnung, die es bereits jetzt Anbietern ermögliche, Datenverkehr nach Spam und Schadsoftware zu scannen. Firmen würden danach „wegen des Profits“ suchen – nun soll es deren Pflicht werden, auch auf kinderpornografisches Material zu prüfen.

Bildschirme eines Programmierers
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Nicht erwähnt wird, wie die Vorschläge technisch umgesetzt werden sollen

Doch die Frage, wie sich die EU-Kommissarin das genau vorstelle, blieb am Mittwoch auch auf Nachfrage unbeantwortet. Verwiesen wurde mehrfach auf das Ergebnis, das zähle – nicht die Wege dorthin. „Der Vorschlag der EU-Kommission vermeidet heikle Entscheidungen, die große Auswirkungen auf die Privatsphäre haben können“, sagte Alexander Fanta von der Nachrichtenseite Netzpolitik.org gegenüber ORF.at. „Damit spielt die Kommission den Ball an die Plattformen und die Verwaltungsebene weiter – ein Ausweichmanöver, das Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen soll.“

Client-Side-Scanning nicht ausgeschlossen

Fanta verwies auch darauf, dass die EU explizit keine Methode ausschließe: „Das heißt, dass das neue EU-Zentrum gegen Kindesmissbrauch sogar das Scannen aller Bilder und Videos direkt auf den Geräten der Nutzer vorschlagen könnte, sogenanntes Client-Side-Scanning. Dagegen gibt es erheblichen Widerstand von Datenschützern, weil selbst verschlüsselte Kommunikation flächendeckend kontrolliert werden könnte.“

Tatsächlich war das Feedback unter Datenschützen schon im Vorfeld vor allem skeptisch: So sprach sich etwa der deutsche Chaos Computer Club (CCC) gegen derartige Maßnahmen aus. „Dieses Client-Side-Scanning wäre nicht die erste überzogene und fehlgeleitete Überwachungsmethode, die mit dem Kampf gegen Kindesmissbrauch begründet wird“, hieß es in einem offenen Brief vom Montag.

Datenschützer: Maßnahmen „beispiellos“

„Zweifellos muss den Betroffenen von Kindesmissbrauch besser geholfen werden, die Chatkontrolle ist allerdings ein überbordender Ansatz, leicht zu umgehen und setzt an der völlig falschen Stelle an.“ Großangelegtes Scannen von Nachrichten „greift nicht nur vertrauliche Kommunikation an ihren Grundfesten an“, sondern wäre obendrein unwirksam: „Kriminelle nutzen bereits heute Verbreitungswege, die von diesen Scans nicht betroffen wären, und werden auch in Zukunft den Scans leicht entgehen“, so der CCC.

„Die Vorstellung, dass die private Kommunikation von Hunderten Millionen Menschen in der EU wahllos und rund um die Uhr gescannt wird, von der sie erwarten, dass sie privat ist, ist beispiellos“, zitierte unterdessen „Politico“ (Onlineausgabe) Ella Jakubowska von European Digital Rights (EDRi).

Aktivisten sehen Grundlage für weitere Maßnahmen

Freilich ist man unter Datenschutzaktivisten nicht gegen Ermittlungen gegen Kindesmissbrauch – die Befürchtung, die in diesem Zusammenhang oft geäußert wird, ist jedoch, dass damit die technischen und auch gesetzlichen Rahmenbedingungen für weitere Eingriffe in die Privatsphäre geschaffen werden. Auch gegen Terrorismus und Extremismus könnten derartige Methoden eingesetzt werden – und auch unbefugter Zugriff kann wohl nicht gänzlich ausgeschlossen werden.

Bis der Vorschlag der Kommission umgesetzt wird, könnte es jedenfalls noch dauern: Erst wird sich das EU-Parlament damit befassen – dort fielen im Vorfeld die Reaktionen gemischt aus. Später müssen sich Kommission, Parlament und vor allem die Mitgliedsländer einig werden, ehe die Regelung schlagend wird.

Grüne und NEOS äußern Bedenken

Süleyman Zorba, netzpolitischer Sprecher der Grünen, kritisierte das Vorhaben: „Dieser Angriff auf das Grundrecht auf Familie und Privatleben ist unverhältnismäßig und schießt komplett am wichtigen Ziel des Kinderschutzes vorbei. Der Handel mit missbräuchlichen Inhalten findet vor allem auf illegalen Plattformen und nicht auf gängigen Messenger-Diensten statt.“

NEOS-Datenschutzsprecher Niki Scherak schrieb in einer Aussendung: „Das geplante Vorgehen stellt alle Internetnutzer unter Generalverdacht und gefährdet die freie Kommunikation und die Privatsphäre aller.“ Er warnt: „Wer heute nach einem Begriff suchen kann, kann morgen nach allem suchen.“