Solarpanels
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Energiewende

Gemeinschaft als Antwort auf Energiefrage

Drohende Engpässe und steigende Preise treiben die Energiewende voran. Energiegemeinschaften könnten maßgeblich beitragen, weil sie die aktive Beteiligung der Bevölkerung forcieren. Erste Pionierprojekte sind bereits umgesetzt, weitere in Planung – wenn auch nicht ganz ohne Hürden.

Die Idee ist einfach: Zumindest zwei Mitglieder schließen sich zusammen, um gemeinsam Energie aus erneuerbaren Quellen zu produzieren, verbrauchen, speichern und verkaufen. So kann etwa ein Haushalt mit einer Photovoltaikanlage den überschüssigen Strom an die Nachbarschaft verkaufen und umgekehrt etwa an weniger sonnigen Tagen Energie von einem nahe gelegenen Windpark oder Kleinwasserkraftwerk beziehen.

Die Beteiligten einer Energiegemeinschaft sollen so von der Energieproduktion und -bereitstellung der anderen profitieren – sei es Strom, Wärme oder Gas. Das soll zum einen wirtschaftliche Vorteile bringen, aber in erster Linie vor allem die Möglichkeit bieten, sich aktiv an der Energiewirtschaft im Umfeld zu beteiligen und mitzubestimmen. Der Hauptzweck einer Energiegemeinschaft soll explizit „nicht im finanziellen Gewinn liegen“, sondern „ökologische, wirtschaftliche oder sozialgemeinschaftliche Vorteile bringen“, heißt es im Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) dazu.

Energie von nebenan

Bisher haben gemeinschaftliche Erzeugungsanlagen das Verbrauchen und Produzieren von Strom über mehrere Haushalte etwa in einem Mehrparteienhaus ermöglicht. Seit Juli vergangenen Jahres ist das nun im Zuge von Energiegemeinschaften auch über Grundstücksgrenzen hinweg möglich.

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schematischer Aufbau einer Energiegemeinschaft
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Der Vorteil einer Energiegemeinschaft soll nicht im finanziellen Gewinn liegen
verschiedene Modelle von Energiegemeinschaften
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Gemeinschaftliche Energiewirtschaft bringt vor allem ökologische und soziale Vorteile

Das sei somit ein neues Instrument am Energiemarkt, bei dem Bürgerinnen und Bürger selbst aktiv etwas zur Demokratisierung und Dekarbonisierung des Energiesystems beitragen könnten, so Eva Dvorak, Leiterin der Koordinationsstelle für Energiegemeinschaften im Klima- und Energiefonds. Sowohl als „Prosumer“, also Teilnehmende, die Energie verbrauchen und produzieren, aber auch lediglich als Verbraucher können sich etwa private Haushalte, Klein- und Mittelbetriebe (KMUs) sowie Gemeinden zusammenschließen.

Grundsätzlich wird zwischen Bürgerenergiegemeinschaften (BEGs) und lokal beschränkten erneuerbaren Energiegemeinschaften (EEGs) unterschieden. Je nach Anzahl der Teilnehmenden und je nach Anschluss an der Netzebene kann eine lokale oder regionale EEG gegründet werden. Lokale Gemeinschaften beinhalten Haushalte oder Betriebe, die an einer Trafostation hängen und sich auf den Netzebenen sechs und sieben befinden. Regionale EEGs sind weiter gefasst und schließen auch die Netzebenen vier und fünf mit ein.

Koordinationsstelle

Im Auftrag des Klimaministeriums hilft die „Koordinationsstelle für Energiegemeinschaften“ bei der Planung sowie Umsetzung und fungiert als Informationsstelle.

Gelungen ist die Inbetriebnahme bisher bei einer überschaubaren Anzahl an Projekten, die meisten befinden sich noch im Planungs- und Umsetzungsprozess. Laut einer Erhebung bei den Netzbetreibern durch Österreichs Energie, die Interessenvertretung der österreichischen E-Wirtschaft, im März sind 14 EEGs in Betrieb, 34 in Umsetzung und 88 in Planung. „Die Rückmeldung der Netzbetreiber deckt rund 95 Prozent des österreichischen Netzgebietes ab, somit gibt es vielleicht noch die eine oder andere Anlage mehr“, heißt es von der Koordinationsstelle.

Pionierprojekte mit „Lernkurve“

Aber „das Interesse, das umzusetzen, ist groß“, so Harald Proidl, Leiter der Abteilung Ökoenergie und Energieeffizienz der österreichischen Energieregulierungsbehörde E-Control. Speziell auf Gemeindeebene sei die Bereitschaft sowohl für das Gründen als auch für Beteiligungen groß.

Denn für Gemeinden sei die Umsetzung auch leichter, es gebe rechtliche und administrative Erfahrung, auf die zurückgegriffen werden kann. „Auf privater Seite ist die Eintrittsbarriere bezüglich der Administration und Gründung größer“, so Proidl im Gespräch mit ORF.at. Private Haushalte müssten mitunter auch mehr Informations- und Überzeugungsarbeit leisten, um Beteiligte zu finden.

Wenngleich die gesetzliche Grundlage schon seit bald einem Jahr besteht, entstehen in der praktischen Umsetzung immer wieder Hürden – besonders rund um die Frage der rechtlichen Organisation. „Alle Beteiligten haben mal eine Lernkurve.“ Doch je mehr Energiegemeinschaften operativ tätig werden, desto mehr Erfahrungswerte gibt es, auf die zurückgegriffen werden kann.

Anzahl der Photovoltaikanlagen je 1.000 Einwohnerinnen und Einwohner

Zwar brauche es eine große Anzahl an Energiegemeinschaften, um einen maßgeblichen Teil zur Energiewende beizutragen, aber die Vorbildwirkung spiele ebenso eine große Rolle, sagt Proidl. „Alle können ein Stück weit mitgestalten, und so wird die Akzeptanz für das Errichten von Erzeugungsanlagen im Nahebereich deutlich steigen“, erklärt auch Dvorak.

Österreichweite Energiegemeinschaft

„Ein Wiener Haushalt kann zum Beispiel auch aus einer Photovoltaikanlage in Vorarlberg mit Strom versorgt werden“, weiß Peter Molnar, Vorstandsmitglied bei OurPower. Die Energiegenossenschaft ist eine der ersten Bürgerenergiegemeinschaften, die in Österreich im Entstehen sind. Im Gegensatz zu den räumlich begrenzten EEGs erstrecken sich BEGs nämlich über das gesamte Staatsgebiet.

Für Teilnehmende biete die BEG zusätzlich eine Möglichkeit, sich direkt am Ausbau erneuerbarer Energien zu beteiligen und daraus Strom zu beziehen, auch wenn man selbst nicht die Möglichkeit dazu habe. Jedoch können BEGs nur Strom und nicht etwa auch Energie in Form von Wärme erzeugen, verbrauchen, speichern und verkaufen. Und während kleinere EEGs Begünstigungen genießen, da sie nicht das gesamte öffentliche Netz beanspruchen, gibt es diese Vorteile bei BEGs nicht.

Die derzeit rund 200 teilnehmenden Ökostromkraftwerke bei OurPower erzeugen ihren Strom zu rund 40 Prozent aus Sonne, 30 Prozent aus Wind sowie zu 20 Prozent aus Wasser und zehn Prozent aus Biomasse. „Der Vorteil ist, dass vor allem Wasserkraft und Biomasse die Stromversorgung stabilisieren, wenn das Wetter für Sonnen- und Windkraft nicht passt“, so Molnar.

Problemkind Datenmanagement

Bis zu 1.000 Energiegemeinschaften könnten in den nächsten Jahren entstehen – in unterschiedlichen Größen: „Die kleinsten mit drei bis fünf Teilnehmenden, die größten, wie OurPower, mit bis zu 30.000“, sagt Molnar. Wie schnell das gehen wird, hängt auch von der Vereinfachung der Umsetzungsmöglichkeiten ab, denn einige „Kinderkrankheiten bestehen noch“, merkt Proidl an.

So kommt es etwa bei der Installation von PV-Anlagen immer wieder zu Materialengpässen. Auch Genehmigungen der Förderungen sowie die Umsetzung der Netzanschlüsse geraten vor allem bei Privatpersonen immer wieder ins Stocken. „Den Trend zur dezentralen Energieerzeugung gibt es schon länger, auch der Umbau der Netze und Infrastruktur ist schon länger am Laufen“, so Proidl. Neu sei aber das Datenmanagement.

Für die Inbetriebnahme einer Energiegemeinschaft ist die Installation eines Smart Meters notwendig. Nur so können Energieverbrauch und -produktion innerhalb der Gruppe den einzelnen Parteien zugeordnet werden. Für die korrekte Abrechnung ist das essenziell. „Energiegemeinschaften nutzen zwar das öffentliche Netz, aber die verbrauchte Energie stammt nicht von dort“, so Proidl.

Mit Smart Metern können Beteiligte im Viertelstundentakt ihren Energieverbrauch selbst kontrollieren – so die Theorie. Zwar sind Netzbetreiber gesetzlich verpflichtet, innerhalb von zwei Monaten Smart Meter einzubauen, doch „die meisten müssen ihre Prozesse und Datenmanagementsysteme erst anpassen“, weiß auch Molnar von OurPower. Ohne valide Daten könne eine Energiegemeinschaft nur schwer abgerechnet werden.

Ungenutztes Potenzial

Energiegemeinschaften seien zudem nicht der einzige Weg, Bürgerinnen und Bürger an der Energiewende partizipieren zu lassen, so Martin Jaksch-Fliegenschnee von der IG Windkraft. Ohne Privatpersonen sei etwa auch die Windenergie nicht denkbar, viele Windanlagen lebten bereits schon länger von genossenschaftlicher Beteiligung.

Windräder
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Windkraftanlagen kommen bei erneuerbaren Energiegemeinschaften kaum zu tragen

Trotz des ähnlichen Konzepts sei die Windkraft von erneuerbaren Energiegemeinschaften ausgeschlossen: „Es gibt nicht sehr viel Windenergie, weil die Einspeisung in anderen Stromnetzebenen passiert.“ Tatsächlich sind Biomasseanlagen und Kleinwasserkraftwerke auf den Netzebenen sechs oder fünf angeschlossen. Aufgrund ihrer Größe und Standorte hängen Windparks hingegen tendenziell auf höheren Netzebenen und können daher oftmals nicht Teil der lokal beschränkten EEGs sein.

Auch Energieverbrauch muss sinken

Bis 2030 soll in Österreich zumindest die Stromversorgung gänzlich aus erneuerbaren Energien gespeist werden – so sieht es das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz vor. 2020 lag der Anteil erneuerbarer Energien im österreichischen Energiemix mit rund einem Drittel circa auf dem Niveau der EU-Zielvorgabe von 34 Prozent.

Im EU-Vergleich ist Österreich beim Ausbau erneuerbarer Energie zwar auf einem guten Weg, das Potenzial ist aber noch nicht ausgeschöpft. Zudem „muss der Energieverbrauch ungefähr halbiert werden, wenn die Erderwärmung 1,5 bis zwei Grad nicht überschreiten soll“, so Karl Steininger, Klimaökonom der Universität Graz, bei einem Gespräch mit dem ORF. Einsparungspotenzial gebe es besonders im Bereich der Wärmedämmung, der Elektromobilität sowie der Raumplanung.

Dass eine Reduktion des Energieverbrauchs auch kurzfristig notwendig ist, hat nicht zuletzt der Ukraine-Krieg verdeutlicht. Die Energieagentur hat Ende April eine Analyse im Auftrag des Klimaministeriums veröffentlicht, wie Österreich von russischen Gasimporten unabhängig werden kann. Neben dem Ausbau erneuerbarer Energien müsse der Gesamtverbrauch um rund ein Drittel gesenkt werden.

Auch in Hinblick auf das Bewusstsein des eigenen Energieverbrauchs sind Energiegemeinschaften „ein wichtiges Instrument“, erklärt Steininger. Klimaneutralität sei ein Partizipationskonzept, bei dem sich momentan die Frage der Anreizsetzung stelle.