Screenshot eines Videos der ukrainischen TikTokerin Valeria Shashenok zeigt sie inmitten von Trümmern
Screenshot tiktok.com/@valerisssh
Ukrainische TikTokerin

Mit schwarzem Humor durch den Krieg

Als der Ukraine-Krieg vor bald drei Monaten Einzug auf TikTok gehalten hat, ist der sonst so leichtfüßigen Plattform das Lachen vergangen – zumindest für kurze Zeit. In Bunkern und auf den Trümmern wurde bald weiter getanzt: Videos wie jene der 20-jährigen Waleria Schaschenok, die den tristen Kriegsalltag mit einem Augenzwinkern dokumentierte, gingen um die Welt. Im ORF.at-Interview spricht die junge Fotografin über schwarzen Humor, „Fake News“ und TikTok-Trends. Am Montag erscheint ihr erstes Buch.

Zerstörung, Tod und Leid – Sinn lässt sich im Ukraine-Krieg nicht finden. Auf Sinnsuche begab sich die 20-jährige Fotografin Schaschenok wenige Tage nach Kriegsbeginn in ihrem Luftschutzbunker in gewisser Weise dennoch, und das erfolgreich. Ihr Video mit dem Titel „Things that just make sense in a bomb shelter“ (dt.: „Dinge, die in einem Luftschutzbunker einfach Sinn ergeben“) ging um die Welt: Fast 50 Millionen Aufrufe zählt es bisher.

Zu sehen sind Ausschnitte aus Schaschenoks Leben im Bunker, die mit dem Lied „C’e la luna“ von Louis Prima musikalisch untermalt werden: Mal föhnt sie sich mit einer Heißluftpistole die Haare, mal filmt sie ihren Hund und mal ihre Mutter, die in einem beinahe auf dem Boden stehenden Topf kocht. Dazwischen mischen sich Bilder der bombardierten nordukrainischen Stadt Tschernihiw – Schaschenoks Heimatstadt.

@valerisssh

Living my best life 🥰🥰🥰 Thanks Russia! #ukraine #stopwar #russiastop

♬ Che La Luna - Louis Prima

„Das erste Video habe ich nur zum Spaß gemacht“, sagt Schaschenok. Von den Millionen Aufrufen war sie überrascht, eine Erklärung hat sie aber dennoch: Ihre TikToks seien einfach anzusehen, voll schwarzem Humor, „und sie handeln von mir und dem Krieg“. Außerdem folgen sie der Logik der Plattform, die bisher in erster Linie für tanzende, lippensynchronisierende Teenager und allerlei Schabernack bekannt war. Bei Videos über „Things that just make sense“ oder auch „Dinge, die einfach Sinn ergeben“ handelt es sich um einen populären TikTok-Trend.

Ukrainische TikTokerin Valeria Shashenok im ORF.at-Interview
ORF.at/Christian Öser
Mit einem TikTok aus dem Luftschutzbunker wurde Waleria Schaschenok über Nacht zum TikTok-Star

„Wie eine Comedyshow über Politik“

Ein „One-Hit-Wonder“ war das Bunkervideo nicht: Clips, die Schaschenok auf Trümmern und vor zerstörten Wohngegenden zeigen, aber auch jene, die ihre Flucht von Tschernihiw über Lwiw, Polen, Deutschland bis nach Italien dokumentieren, wurden bisher ebenso millionenfach angesehen. Die Themen Krieg und Flucht erscheinen in den Videos von Schaschenok aber auch Tausenden anderen Nutzerinnen und Nutzern in der Ukraine wie eine dystopische Mischung aus Videoblog und Satire.

Schaschenok ist der Humor auch wichtig: Anders als in traditionellen Medien, die in der Berichterstattung strengen Vorgaben folgen, stehe es ihr frei, „positive Videos über den Krieg“ zu machen, sagt sie zu ORF.at. Schwarzer Humor helfe immerhin dabei, „absurde Zeiten zu überstehen“, wie sie in ihrem am Montag erscheinenden Buch „24. Februar … und der Himmel war nicht mehr blau“ schreibt. „Ich habe mit meinen Eltern die Nachrichten angesehen und sie auf eine Art kommentiert, die ich lustig fand. Wie eine Comedyshow über Politik.“

Cover des Buchs „24. Februar… und der Himmel war nicht mehr blau“
Verlag Story.one – the library of life

Valeria Shashenok: 24. Februar … und der Himmel war nicht mehr blau. Story.one, 83 Seiten, 16,00 Euro.

WarTok: Unmittelbar, fesselnd und flüchtig

TikToks sind persönlicher und damit in gewisser Weise auch ergreifender als traditionelle Kriegsberichterstattung. Zum Vergleich mit klassischen Medien meint der Journalist Kyle Chayka im „New Yorker“ etwa, dass Inhalte sowie Ausspielkanal der TikTok-Clips, eine „Art von Intimität“ schaffen würden, „die dem Fotojournalismus mit seinem Hauch Voyeurismus manchmal fehlt“. Anders als Fotos wie etwa jenes des „Napalm-Mädchens“ im Vietnam-Krieg ist die Dokumentation via Social Media flüchtig.

„Aber für den Konsumenten erschaffen sie eine unmittelbarere, fesselndere Erfahrung einer Situation, die gerade stattfindet“, so Chayka. Zuseherinnen und Zuseher würden außerdem dazu angeregt, darüber nachzudenken, wie sie selbst in einer ähnlichen Situation reagieren würden. „Was gibt es sonst in einem Luftschutzbunker zu tun, als Selfievideos zu machen und diese der ganzen Welt zu zeigen?“, fragt Chayka.

„Fake News“ als Dauerbrenner

Fakt ist aber auch, dass TikTok wie jedes andere soziale Netzwerk mit Desinformationen geflutet wird. Die Qualität der Videos und auch die Vertrauenswürdigkeit der Quellen viraler Clips spielen für den Algorithmus kaum eine Rolle. Besonders problematisch ist das, weil sich gerade auf jener Plattform viele junge Nutzerinnen und Nutzer tummeln.

WarTok

WarTok ist ein Wortspiel und setzt sich aus dem englischen Begriff „war“ (dt.: Krieg) und „Tok“ für TikTok zusammen.

Auch Schaschenok, die dieser Tage bei einer italienischen Familie in Mailand lebt, aber dennoch weiterhin regelmäßig Videos und Bilder aus der Ukraine teilt, ist das bewusst: „Ich prüfe immer im Vorhinein, was ich poste, weil es mir wichtig ist, nur korrekte Informationen mit meinen Abonnenten zu teilen.“ Fehler könnten aber dennoch passieren, sagt sie.

Verantwortung kommt TikTokern auch in anderer Weise zu: Denn Medien aller Art werden in der Ukraine generell dazu aufgerufen, keine aktuellen Informationen oder Bilder vom Zustand oder auch der Lage der ukrainischen Truppen online zu stellen, um diese nicht zu gefährden – auch Schaschenok wurde von Soldaten bereits gebeten, derartige Aufnahmen zu löschen, wie sie erzählt.

Hoffen auf die Rückkehr

Von täglichen Sirenenalarmen und den Trümmern ihrer Heimat ist sie inzwischen weit entfernt. An den Krieg, ihre Familie und Freunde denkt die 20-Jährige ständig. Wie viele Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer hofft Schaschenok weiter auf ein baldiges Ende des Konflikts.

Auch „Thema“ widmet sich am Montag (21.20 Uhr, ORF2) Schaschenok und ihren Videos.

Dass die Ukraine daraus letztlich als Sieger hervorgehen wird, ist sie sich sicher. „Ich mag mein Leben in Mailand, aber sobald es möglich ist und der Krieg vorbei ist, möchte ich in die Ukraine zurückkehren und mich ausruhen.“