Kruder & Dorfmeister bei der Eröffnung der Wiener Festwochen
ORF/Hans Leitner
Festwochen-Eröffnung

Die Blase ist fruchtbar noch

„Was, wenn heute der letzte Tag des Menschen ist?“ Mit einer nicht ganz unheiklen wie provokanten Frage wurden die Wiener Festwochen am Freitag in einem riesigen Meer aus Visuals und Anfangsbeats von Kruder & Dorfmeister eröffnet. Die, die am letzten Tag des Menschen tanzten, taten das in einer großen Polymer-Blase. „Riders on the Storm“ tönte im Remix auf die gut 30.000 Zuschauerinnen und Zuschauer auf dem Rathausplatz. Politisch war die Eröffnung nicht, abseits der Sexismus-Debatte um den Auftritt von Yung Hurn.

„Seid ihr ein tanzender Schatten?“ Nach gut 30 Minuten ist es die Schauspielerin Caroline Peters, vor zwei Jahren noch Buhlschaft im Jedermann, nun in Wien eine Mischung aus Tod und Pierrot Lunaire, die in diesem von David Schalko inszenierten „letzten Tag der Menschheit“ die heiklen Fragen stellt.

Die Eröffnung zum Nachschauen

Die gesamte Eröffnung ist zu sehen in tvthek.ORF.at.

„Eine Geschichte des Menschen hat nur einen Sinn, wenn sie ein Ende hat“, stellt sie die Losung, dass am Anfang das Wort gewesen sei, auf den Kopf. Im Hintergrund erinneren die Samples an alte Cure-Songs – man darf also getrost sentimental sein bei diesem Abstieg in die Endfahrt des Menschen. Vielleicht sollte uns Schalkos „Last Night on Earth“ auch sagen, dass gerade in Zeiten wie diesen jede Nacht die letzte sein könnte. Doch da hingen dann auch schon mit Bilderbuch „Stromkabel übers Feld“. Alles nicht so schlimm in der Apokalypse dieses Wiener Jedermanns und der über ihm aufsteigenden Kulturbubbles.

Kruder & Dorfmeister, „New Landscapes“

In den Zwischenräumen zwischen den Performances warf die Experimentalsängerin in der durchsichtigen Zentralbubble immer wieder die Reflexionsmaschine an. Von der Taktung war es bisher sicher die flotteste Eröffnung des Festivals. Darunter schlummerte freilich das Potpourri-Prinzip der letzten Jahre – Motto: ein bisschen von allem. Aber: Gelungen ist das Anziehen eines deutlich jüngeren Publikums, das wahrscheinlich weniger an Caroline Peters oder dem Bubbleauftritt von Kruder & Dorfmeister gelegen haben mag.

Sofia Jernberg bei der Eröffnung der Wiener Festwochen
ORF/Hans Leitner
Philosophie für alle: Die Sängerin Sofia Jernberg als Reflexionsmaschine des Abends.

Mächtige Visuals

Eindrucksvoll die Visuals von „hand mit auge“ (Jakob Hütter, Martin Winterleitner, Jakob Figo, Jascha Süss, Paul Janisch, Peter Varnai, Lucas Dikany, Xaver Hopfgartner) und das Licht von Gerd Schneider. Sie alle sind dafür verantwortlich, dass die klassische Erleuchtung des Rathauses in einem komplett neuen Look daher kam und das Rathausgebäude mit zum Akteur des Abends machte.

Yung Hurn, „Ponny“

„Keine Bühne für Sexisten“ stand auf einem Schild beim Auftritt von Yung Hurn. Seinen Fans, die sich vor der Bühne versammelt hatten und jeden Schritt ihres Idols am Smartphone aufzeichnen wollten, waren solche Moraldebatten offenkundig egal. Zur Versöhnung mit der Hochkultur hatte sich Yung Hurn einen Anzug angezogen. Wäre das Hemd nicht rausgehangen, hätte man ihn auch für einen Versicherungsvertreter aus Wien-Donaustadt halten können.

Bühne vor dem Rathaus
ORF/Hans Leitner
Visuals im Blow-Up-Format. Früher hat man auf die langsame Beleuchtung bis zum Rathausmann gewartet. Da wurden die Schalter noch anders umgelegt

Die Eröffnung als „Versöhnungsangebot“

Dass die Festwochen-Eröffnung ein „Versöhnungsangebot“ an all jene ist, die „den Rest vom Programm nur vom Hörensagen kennen“, wie Karin Cerny im „profil“ vermutet, ist wohl seit je ein zutreffender Befund und gilt nicht nur wie von der Autorin vermutet für die jüngere Vergangenheit.

Früher ging man am ersten Festwochen-Freitag auf den Rathausplatz, um die schrittweise Erleuchtung des neugotischen Gebäudes bis hinauf zum Rathausplatz zu bewundern. Doch seit Falco hier in den 1980ern einen riesen Gig nach der Eröffnung hinlegte, ist der Wunsch evident, die Festwochen mögen doch ein Anziehungspunkt für die Jüngeren sein. Überdies fehlt der österreichischen Kultur ohnedies die Brücke zwischen E und U in der jüngeren Generation.

Caroline Peters bei der Eröffnung der Wiener Festwochen
ORF/Hans Leitner
Caroline Peters als Reflexions-Pierrot auf der Bühne des Rathausplatzes

Die Yung-Hurn-Debatte

Dass neben den Altmeistern Kruder & Dorfmeister, der Experimentalsängerin Sofia Jernberg und Bilderbuch auch „der notorische Provokateur Yung Hurn“, so „profil“, auftritt, erregte manche Gemüter. „Yung Hurn hat seine Karriere sprachlich auf postdigitale dadaistische Provokation des Establishments aufgebaut – sexistische, Drogen verherrlichende Sprachfetzen, die ein Publikum reflektieren kann oder nicht“, zitiert „profil“ die Musikkuratorin Marlene Engel. Und lässt von ihr hinzufügen: „Wie man das im Rahmen der Eröffnung des mit 40,2 Millionen Euro subventionierten wichtigsten Kunst- und Kulturfestivals der Stadt auf dem Rathausplatz mit Liveübertragung im ORF dramaturgisch auflösen wird, bleibt abzuwarten.“ (Die Wiener Festwochen stellten diese Zahlen inzwischen richtig: Das Gesamtbudget betrage 12,25 Millionen Euro, wobei die Subventionen 10,7 Millionen Euro ausmachen würden.)

Bilderbuch, „Zwischen deiner und meiner Welt“

Kein Schmusechor und „Ponny“-Hof

Die Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) hatte sich im Vorfeld noch gefreut, dass die Eröffnung eben kein klassisches Konzert werde. Bei dem, so der Wunsch von Schalko, „auch getanzt wird“. Nur wollen dann vielleicht nicht alle auf dem Yung-Hurn’schen „Ponny“-Hof wie zuletzt auf dem „We Stand for Ukraine“-Konzert mitmachen. Eine Absage des Schmusechors an der Eröffnungsveranstaltung wurde im Vorfeld bekannt.

Schalko sprach von einem „starken Canceldrang“ im Vorfeld und betonte dabei, die Aufgabe der Festwochen müsse eben sein, „Künstler in einen anderen Kontext zu stellen und Welten hereinzuholen, die vielleicht sonst keinen Kontakt mit den Festwochen haben“. Dem Festival selbst könne man jedenfalls nicht unterstellen, sexistisch oder rassistisch zu agieren.

Das Donaufestival und die Blackfacing-Debatte

Gerade war ja das Donaufestival in Krems zu Ende gegangen, das sich spielerisch mit dem Begriff „Appropriation“ auseinandersetzen wollte. In einem Begleitband zum Festival wollte man sich auch auf theoretischer Ebene mit dem Überthema des Donaufestivals befassen. Dass darin ein Text des deutschen Radiomoderators und Autors Karl Bruckmaier mit dem Titel „Paint it Black“ zu finden war, in dem der 66-jährige Autor das Blackfacing als eine „in Not geratene Kulturtechnik“ verteidigt, löste eine heftige Debatte aus, an deren Ende sich Festivalleiter Thomas Edlinger für das Erscheinen des Textes entschuldigen musste – mehr dazu in fm4.ORF.at.

„Es wird ein Abenteuer“

In Wien strahlte man im Vorfeld des Festivals weniger Angst vor kontroversen Debatten aus. „Es wird ein Abenteuer“, gab sich Intendant Christophe Slagmuylder im Vorfeld optimistisch. Er wolle einen Dialog zwischen Eröffnung und Festivalprogramm schaffen. Diese Brücke schlagen etwa Burgschauspielerin Caroline Peters sowie Jernberg, die die Programmpunkte „Die Maschine steht nicht still“ (Peters) und „Hymns and Laments One“ (Jernberg) liefern.

Kruder & Dorfmeister bei der Eröffnung der Wiener Festwochen
ORF/Hans Leitner
Kruder und Dorfmeister als MCs des Abends in der Bubble

Kaup-Hasler hob hervor, dass ein gemeinsames Fest nicht im Widerspruch zu den aktuellen Krisen stehe. Die Menschen, die hier leben dürfen, müssten einander wieder spüren und sich gemeinsam den Herausforderungen stellen; das müsse man feiern dürfen.

Im Mai und Juni wird bei den Wiener Festwochen ein dichtes Programm aus insgesamt 37 Produktionen gezeigt, für das 345 Künstler und Künstlerinnen aus fünf Kontinenten verantwortlich zeichnen. Für die insgesamt geplanten 159 Vorstellungen werden circa 36.000 Karten aufgelegt. ORF.at begleitet die Festwochen ab Samstag mit einem eigenen Festwochen-Kanal. Den Auftakt zum Festival hatte ja bereits Romeo Castellucci Anfang April mit seinem „Requiem“ geliefert, das freilich auch ein Fest des Lebens und vom Publikum stark akklamiert wurde.