Ein finnischer Panzer während einer Militärübung in Finnland Anfang Mai
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Ende der Neutralität

Welche Folgen Finnlands NATO-Beitritt hätte

Angesichts der Kriegspolitik des russischen Präsidenten Wladimir Putin hat sich die politische Führung Finnlands für einen unverzüglichen Beitritt des Landes zur NATO ausgesprochen und damit von jahrzehntelanger Neutralität abgekehrt. Doch welche Folgen könnte eine Mitgliedschaft mit sich bringen? Wie wird Russland auf die gefürchtete NATO-Osterweiterung reagieren? Und was würde ein Beitritt für Schweden bedeuten?

Jahrzehntelang lehnte eine Mehrheit der Finnen und Finninnen einen Beitritt zur NATO strikt ab. In den Umfragen stimmten in den vergangenen 20 Jahren nie mehr als 30 Prozent dafür. Doch mit dem Ukraine-Krieg gab es in der Bevölkerung einen deutlichen Meinungsumschwung. Rund zwei Drittel sprechen sich nun für einen Beitritt aus. Am Donnerstag zog dann auch die Staatsspitze nach. Finnland müsse NATO-Mitglied werden, unverzüglich.

Finnland wurde 1939 von der Sowjetunion überfallen. Die Finnen leisteten erbitterten Widerstand. Am Ende waren sie dennoch gezwungen, in einem Friedensvertrag mit Moskau einen großen Teil der östlichen Region Karelien abzutreten. In einem „Freundschaftsvertrag“ von 1948 sicherte Moskau zu, den Nachbarn nicht anzugreifen, solange sich dieser aus der westlichen Verteidigungszusammenarbeit heraushält.

„Putin wird wütend sein“

In der Vergangenheit machte Kreml-Chef Wladimir Putin immer wieder deutlich, dass er mit einer NATO-Erweiterung in Richtung Russland ein großes Problem hat. Eines, so schrieb die BBC, sei also absolut sicher: „Putin wird wütend sein. Er war nie ein Freund der NATO und ihrer Osterweiterung. Einer der Gründe, warum er die Ukraine überhaupt angegriffen hat, war die Sorge, dass das Land der NATO beitreten wollte, und als Ergebnis seines Krieges sieht er nun möglicherweise ein stark erweitertes Bündnis direkt vor seiner Haustür.“

Finnland teilt mit Russland eine Grenze von rund 1.300 Kilometern. Durch einen Beitritt würde sich die direkte Grenze zwischen der NATO und Russland also mehr als verdoppeln. Zugleich würde das Bündnis noch größer und schlagkräftiger werden – nicht zuletzt wegen der militärischen Stärke Finnlands. Das Land mit seinen 5,5 Millionen Einwohnern und Einwohnerinnen kann im Fall eines Krieges auf 280.000 Soldaten sowie Soldatinnen und weitere 600.000 Reservisten zurückgreifen.

Kurz nach der Ankündigung Finnlands, der NATO beizutreten, sprach man in Moskau von einer „Bedrohung", auf die man entsprechend reagieren werde. Kreml-Chef Putin habe bereits angewiesen, die Sicherheit der westlichen Flanke Russlands mit Blick auf die NATO-Aktivitäten zu stärken, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Aus dem Außenministerium hieß es: „Russland wird gezwungen sein, entsprechend zu antworten – in militärisch-technischer und in anderer Hinsicht –, um den Gefahren mit Blick auf seine nationale Sicherheit Rechnung zu tragen.“

Der russische Präsident Wladimir Putin
AP/Mikhail Metzel
Putin warnte des Öfteren vor einer Erweiterung der NATO im Osten

NATO: Schnelle militärische Verhinderung unwahrscheinlich

Doch könnte Russland tatsächlich versuchen, den finnischen Beitritt militärisch zu verhindern? In der NATO wird ein solcher Schritt für extrem unwahrscheinlich gehalten. Zum einen sind die russischen Streitkräfte durch den Krieg gegen die Ukraine gebunden und zum Teil stark geschwächt.

Zum anderen müsste Putin damit rechnen, dass Finnland im Fall eines russischen Angriffs sofort direkte militärische Unterstützung von EU- und NATO-Staaten erhalten würde. Als EU-Mitglied könnte Helsinki nach Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrags Beistand einfordern. Am Mittwoch hatte zudem auch der britische Premier Boris Johnson die Unterstützung seines Landes für den Fall eines Angriffs zugesichert.

Russland droht Finnland

Nachdem sich Finnland als Folge des Ukraine-Krieges für einen unverzüglichen Beitritt zur NATO entschieden hat, kommt nun die Antwort aus Russland. Das Außenministerium in Moskau sieht einen radikalen Wechsel des Kurses und einen schweren Schaden für die Beziehung der Länder – Russland sei gezwungen, entsprechend zu antworten.

Cyberangriffe erwartet

Dennoch würde Russland bei einem offiziellen Beitrittsantrag Finnlands nicht tatenlos zusehen. Für durchaus denkbar wird es in der NATO gehalten, dass Russland zum Beispiel Cyberangriffe gegen Ziele in Finnland startet oder versucht, mit verstärkten Aktivitäten der Luftstreitkräfte für Beunruhigung in der finnischen Bevölkerung zu sorgen.

Sicherheitsexperte Frank Gardner sagte gegenüber BBC: „Im Moment hat Präsident Putin in der Ukraine alle Hände voll zu tun, sodass es unwahrscheinlich ist, dass er sich plötzlich in Richtung Finnland bewegt. Russische Truppen in der Nähe der 1.300 km langen gemeinsamen Grenze sind nach Süden verlegt worden. Mit der Zeit wird er jedoch wahrscheinlich sowohl Truppen als auch Raketen näher an die finnische Grenze verlegen und aggressive Luft- und Seepatrouillen durchführen.“

Sicherheitsanalyse sieht Risiken

Putin könnte auch versuchen , die öffentliche Meinung in Finnland mit Hilfe von Onlinebots und gefälschten Konten gegen die NATO zu beeinflussen. Ähnliches sagte Martti Kari, ehemaliger stellvertretender Leiter des finnischen Verteidigungsnachrichtendienstes, gegenüber CNN. Russland habe bereits eine Desinformationskampagne gegen Finnland gestartet: „Das Hauptthema ist, dass Finnland ein Nazi-Land ist, weil wir im Zweiten Weltkrieg an der Seite von Nazi-Deutschland gegen die Sowjetunion gekämpft haben“, sagte er.

Auch in einer im April vorgelegten Sicherheitsanalyse der finnischen Regierung wird gewarnt, dass sich das Land im Falle eines NATO-Antrags auf umfassende Versuche der Einflussnahme sowie Risiken vorbereiten müsse, die schwer vorherzusehen seien.

Schweden unter Zugzwang

Auswirkungen wird ein Beitritt Finnlands auch auf Schweden haben. Das Land steht nun gehörig unter Zugzwang. Finnland ist Schwedens wichtigster Sicherheitspartner, die weiteren nordischen Staaten Dänemark, Norwegen und Island sind schon seit der NATO-Gründung 1949 Mitglieder des Bündnisses. Bei einem Nein zur NATO wäre Schweden somit in Nordeuropa isoliert, ein ebenfalls positiver Bescheid für einen NATO-Antrag gilt damit als wahrscheinlich.

Dazu wird am Freitag eine Sicherheitsanalyse erwartet, auf der ein schwedischer Beschluss letztlich fußen wird. Am Sonntag verkünden die Sozialdemokraten von Ministerpräsidentin Magdalena Andersson ihre NATO-Position. Schon Anfang nächster Woche könnte die NATO somit zweimal Post bekommen – einmal aus Helsinki und einmal aus Stockholm.

Die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin und der Präsident Finnlands, Sauli Niinistö
APA/AFP/Markku Ulander
Bei dem Beitritt gehe es um die Sicherheit Finnlands, so die Staatsspitze – Russland sei und bleibe Finnlands Nachbar

BBC: Putin wird Erweiterung für eigene Erzählung nutzen

Der finnische Präsident verwies bei der Entscheidung auf die Sicherheit des Landes, diese sei oberste Priorität. Es handle sich um nichts, das gegen jemanden gerichtet sei. Russland sei und bleibe Finnlands Nachbar. Auch wenn die NATO selbst stets betont, dass es für Russland keinerlei Grund gebe, sich von ihr bedroht zu fühlen, werde Putin Beobachtern zufolge die Erweiterung für seine eigene Erzählung zu nützen wissen.

In der BBC hieß es dazu: Es sei „unvermeidlich“, dass Putin die Erweiterung als Vorwand nutzen wird, um dem russischen Volk zu erklären, dass es zunehmend vom Westen angegriffen wird. Bereits jetzt sei in Russland von einem Stellvertreterkrieg der NATO in der Ukraine die Rede.

„Moskau weiß, was es tut. Es weiß, dass die russische Bevölkerung auf die Anschuldigungen reagieren wird, dass die NATO in Wirklichkeit der Feind ist und dass Putin keine andere Wahl hatte, als in die Ukraine einzufallen, um Russland gegen den Westen zu verteidigen“, so die BBC, die hier von einem „starken Narrativ“ spricht. Denn je öfter die russische Bevölkerung diese Erzählung höre, desto eher werde sie dieser glauben, und desto geschlossener stehe sie dann auch hinter Putin.

Putin-Verbündeter: Wahrscheinlichkeit von Konflikt erhöht

Auch einer der engsten Verbündeten von Präsident Putin warnte den Westen am Donnerstag, dass die zunehmende militärische Unterstützung der Ukraine durch die USA und ihre Verbündeten einen Konflikt zwischen Russland und der NATO auslösen könnte.

„Ein solcher Konflikt birgt stets das Risiko, in einen vollständigen Atomkrieg zu münden“, so Dmitri Medwedew, der Putins Stellvertreter an der Spitze des russischen Sicherheitsrates ist, auf Telegram. „NATO-Länder, die Waffen in die Ukraine pumpen, Truppen für den Einsatz westlicher Ausrüstung ausbilden, Söldner entsenden und die Übungen von Bündnisstaaten in der Nähe unserer Grenzen erhöhen die Wahrscheinlichkeit eines direkten und offenen Konflikts zwischen der NATO und Russland.“

CNN schrieb unterdessen, natürlich sei nichts sicher, solange Finnland nicht den ersten Schritt macht und einen formalen Antrag stelle. „Aber angesichts der öffentlichen Zustimmung, der politischen Unterstützung und der Tatsache, dass Russland einem weiteren seiner Nachbarn jeden Grund liefert, sich seinem verhassten Rivalen anzuschließen, besteht kaum ein Zweifel daran, dass Putins Plan, den Einfluss der NATO in Europa zu verringern, spektakulär nach hinten losgegangen ist.“