Archive des Schreibens

Prosser: Reisen, schreiben, performen

In dem ORF-Projekt „Archive des Schreibens“ sprechen heimische Autorinnen und Autoren über sich selbst, ohne dass jemand ihre Arbeit von außen kommentiert. Bis zum Österreich-Schwerpunkt bei der Leipziger Buchmesse 2023 sollen zahlreiche Porträts der neuen heimischen Literatur gemeinsam für TV und Online in Kooperation mit dem österreichischen Gastlandprojekt „mea ois wia mia“ entstehen. Im zweiten Kapitel erzählt Robert Prosser über seine Poetik der Bewegung.

„Ich muss Kreise ziehen“, sagt der 1983 in Alpach in Tirol geborene Prosser, der sich in den letzten Jahren den Ruf eines Rastlosen erworben hat, dem sowohl Ländergrenzen als auch vermeintliche Genretrennungen wenig bedeuten. Eindeutige Zuordnungen hebt er als Performer, Kurator, Reportageautor und Schriftsteller genüsslich auf. Wichtig sei, so sagt er, dass er sich für eine Geschichte entscheide und dieser nachgehe, „egal, was diese Geschichte von mir fordert“.

Ob die mit vollem Einsatz betriebenen Recherchen dann schließlich zu einem Roman werden, ist – betrachtet man Prossers Werk der vergangenen 13 Jahre in der Rückschau – zweitrangig. Vergangenes Jahr wurde eine als Romanrecherche gedachte Arbeit als Reisejournal „Beirut im Sommer“ veröffentlicht. Die Recherche aus dem Jahr 2019 hatte das Ziel, mehr vom Syrien-Krieg und von der Situation der Vertriebenen zu verstehen.

Der Krieg und sein Nachhall

Die gemeinsam mit dem Fotografen Leonhard Pill 2019 zwischen Beirut und Balbeek zurückgelegten Wege rufen vergangene Reisen und Recherchen auf, nach Bosnien und Lesbos vor allem, nach Srebrenica und zu den Flüchtlingslagern der griechischen Inseln. Nur zu oft treibt es den Autor in aktuelle oder ehemalige Kriegsgebiete, zuletzt in die Ukraine für eine Reportage im „Standard“.

TV-Hinweis

Das zweite Kapitel von „Archive des Schreibens“ ist im Rahmen des „kulturMontag“ ab 22.30 Uhr in ORF2 zu sehen.

Darin beschreibt Prosser gleichzeitig distanzlos von den heulenden Sirenen in Lwiw wie ethnografisch zurückgenommen von einer PR-Maschine der angegriffenen Ukraine, die das Interesse des Westens ständig weiter anfacht und auch den reisenden Autor in sein mediales Kalkül einbezieht: „Die Presseabteilung der Stadtregierung versucht mit solchen Vorträgen, das Interesse der Medienvertreter aufrechtzuerhalten. Rund 1500 sind bisher akkreditiert worden, gestern traf mit einem Reporter aus Simbabwe der erste aus Afrika ein. Die Ukraine muss in der internationalen Berichterstattung verbleiben, sagt man mir.“

Ein Reisepass
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Der Pass als Recherchewerkzeug – Robert Prosser ist einer der großen Reisenden der heimischen Gegenwartsliteratur

Dabei sind es nicht die Gewalt und der Krieg selbst, die sich als Leitmotiv durch das drei Romane, Reportagen, Prosabände, Libretti und Spoken-Word-Performances umfassende Werk zieht: „Was mich interessiert, sind oft die Auswirkungen. Das Echo, das zum Beispiel der Bosnien-Krieg in der österreichischen Gesellschaft, in der österreichischen Gegenwart immer noch findet.“

Diesem Echo hat er 2017 in seinem Roman „Phantome“ nachgespürt. Darin verschränkt Prosser die Geschichten eines jungen Ich-Erzählers, der im Jahr 2015 die Graffitiszene Bosniens erkundet, mit Fluchtschicksalen von dort nach Österreich in den 1990er Jahre. Der politische Roman benennt schonungslos und temporeich die Verleugnung von traumatischer Geschichte: „Eigentlich hat die Belagerung Srebrenicas nie geendet, denke ich mir, Dörfer oder Kleinstädte wie Kravica, wie Milici und die dort geschehenen, ungesühnten Verbrechen umschließen die Gedenkstätte wie ein unsichtbarer Wall, rund um Srebrenica gruppieren sich Orte, an denen so getan wird, als wäre nie auch nur ein Muslim ermordet worden.“

Robert Prosser
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Der Autor auf den Spuren seines Erzählers: Prossers brisanter politischer Roman „Phantome“ beginnt im Sprayer-Milieu

Rhythmen, Schläge und Gedächtniskunst

Wenn innerhalb eines Archivs die Archivalien auch immer aufeinander verweisen, kann man in Prossers Recherche- und Reisedrang durchaus die Aktualisierung der Position eines Karl-Markus Gauß sehen. Sein Verhältnis zu eigenen Texten kann man aber eher mit Christoph Ransmayr, einem anderen großen Reisenden der österreichischen Literatur, vergleichen.

Kursieren seit Jahren Anekdoten, nach denen Ransmayr große Teile seiner Romane fehlerfrei rezitieren kann, hat Prosser daraus gleich eine eigene Sparte seiner Betätigung gemacht. Mit Lesungen haben die Abende, in denen er mit seinen Büchern auftritt, nämlich nur bedingt zu tun. Er rezitiert aus dem Gedächtnis und setzt seinen Körper als Instrument ein – erst dadurch wird die rhythmische Struktur seiner Texte, die oft an Hip-Hop-Beats angelegt ist, zur Geltung. Inzwischen hat sich aus den Rezitationen das musikalische Projekt „Drumbadour“ entwickelt, in dem Prosser zusammen mit Schlagzeuger Lan Sticker den Text seines letzten Romans „Gemma Habibi“ (2019) weiter treibt.

Darin ging es ums Boxen – und wiederum um die großen kriegerischen Verwerfungen, die unsere Gegenwart beeinflussen. Der junge Soziologiestudent Lorenz lernt bei einer Reise in Syrien 2011 den Kurden „Z“ kennen. Jahre später, während des Syrien-Kriegs, kreuzen sich ihre Wege im Wiener Boxmilieu. Das Boxen, seine Intensität, Rhythmik und Geschwindigkeit, die Disziplin hinter dem Kampf, grundiert Prossers Texte seither – und verhilft ihm zu einer ganz eigenen Mischung von Politik und Sprachkunst, die ihm seinen Platz in einem Schreibarchiv der Gegenwart einräumt.