Bundeskanzler Karl Nehammer
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Mit 100 Prozent

Nehammer zum ÖVP-Parteichef gewählt

Kanzler Karl Nehammer ist nun auch offiziell Obmann der ÖVP: Bei einem außerordentlichen Bundesparteitag in Graz wurde Nehammer Samstagnachmittag mit 100 Prozent (allen 524 Stimmen) gewählt. Nehammer nahm die Wahl „mit Stolz und Dankbarkeit“ an. Das sei „erst der Anfang“, meinte er.

Zu Beginn ist der Nachfolger von Ex-Bundeskanzler und Ex-ÖVP-Chef Sebastian Kurz mit stehenden Ovationen begrüßt worden. „So viele in so einem kleinen Raum heißt auch, so viele Viren, aber jetzt kümmert es uns nicht mehr – schön, dass ihr da seid!“, rief er zu Beginn des Parteitags den Teilnehmenden zu. Anschließend warb er für seinen Parteivorsitz. „Wir sind die ersten Diener dieses Landes, und mit eurer Hilfe werde ich auch Bundesparteiobmann der Volkspartei“, sagte er.

Die Chefs der ÖVP werden bei ihrer ersten Obmannwahl traditionell eher mit hohen Ergebnissen bedacht. Kurz wurde 2017 mit 98,7 Prozent zum Parteichef gewählt (bei seiner Wiederwahl 2021 bekam er 99,4 Prozent). Das beste Ergebnis bei der ersten Wahl in der jüngeren Vergangenheit hat wiederum dessen Vorgänger und Widersacher Reinhold Mitterlehner 2014 mit 99,1 Prozent erreicht.

Analyse von Hans Bürger (ZIB Innenpolitik)

100 Prozent für Karl Nehammer – das wirkt zunächst wie ein überwältigender Vertrauensbeweis. Ist die ÖVP tatsächlich so geeint? Hans Bürger analysiert.

Aufmunternde SMS von Kurz

„Ich lerne von euch und mit euch, und wir werden gemeinsam diese Herausforderungen nehmen“, beschwor er das Miteinander in der Partei, das – wie er betonte – in deren DNA liege. Gleich zu Beginn sorgte er für Gelächter, weil er nach eigenen Angaben unmittelbar vor seiner Rede eine aufmunternde SMS von Kurz erhalten hatte – „keine Sorge, wir werden es nachher veröffentlichen“. Man habe Seite an Seite gekämpft, nun stehe man vor neuen Aufgaben.

ÖVP-Bundesparteitag
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Nehammer lobte nicht nur die eigene Partei, sondern übte auch Kritik an der Konkurrenz

Nehammer berichtete von stürmischen Zeiten, doch man sitze auch bei rauem Sturm gemeinsam in einem Boot. Die Opposition kämpfe mit allen Mitteln: „Es gibt ganz viele Angriffe unter der Gürtellinie. Wisst ihr, warum das so ist? Weil sie es auf Augenhöhe nicht schaffen.“ Aus dem Gegenwind könne aber auch wieder Rückenwind werden, jede Veränderung biete auch Chancen.

Als solche wertete Nehammer die jüngste, durch den Abgang von Elisabeth Köstinger ausgelöste Umbildung im ÖVP-Regierungsteam. Er betonte auch, dass der ÖVP Transparenz und eine redliche Politik wichtig sei. Korruption könne einem überall begegnen, selbst im Vatikan sei man davor nicht gefeit gewesen. Er versprach Reformen, „da brauchen wir keine Hinweise der linken Reichshälfte“. Auch das Informationsfreiheitsgesetz werde kommen, ein Lahmlegen der Gemeinden durch Querulanten wolle man jedoch verhindern.

Zwei große Krisen angesprochen

Dann nahm sich Nehammer Zeit, auf das „Wertefundament“ der ÖVP einzugehen. Dieses sei christlich-sozial, liberal sei man aber auch. „Freiheit ist unsere DNA“, so der Bundesparteichef. Im Unterschied zu „den Linken“ schreibe man den Menschen nicht vor, wie sie zu leben hätten. Er verglich die Haltung seiner Gesinnungsgemeinschaft mit dem heiligen Martin, der der Legende nach einem Armen geholfen hatte. „Er hat seinen Mantel geteilt, nicht den eines anderen“, denn Letzteres, „das ist Sozialismus.“

Sebastian Kurz
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Ex-ÖVP-Chef Kurz wurde auf der Bühne vom ÖVP-Moderator interviewt

Dann sprach er von den zwei großen Krisen, die man derzeit erlebe, nämlich die Coronavirus-Pandemie und den Angriffskrieg Russlands. Er bekannte sich zur Neutralität und unterstrich die Notwendigkeit, dass sich Österreich selbst verteidigen könne. „Wir brauchen ein starkes Bundesheer. Ja, da sind Versäumnisse passiert.“ Häme über seine Reisen in die Ukraine und nach Moskau wies er zurück: „Besser, man tut etwas als tut nichts und schaut nur zu.“

Parteitag der ÖVP

In Graz stellte sich Bundeskanzler Karl Nehammer erstmals der Wahl zum Bundesparteiobmann der ÖVP.

Zum Ausstieg aus der Abhängigkeit aus fossilen Energien versprach er einen milliardenschweren Transformationsfonds. Auch weitere Antiteuerungsmaßnahmen werde es geben. Bei der Pflege erinnerte er an die kommende Reform („Besser, jetzt fangen wir an als zu spät“) und lobte den guten Draht zwischen Klubchef August Wöginger und dessen grünem Gegenüber Sigrid Maurer. Beim Migrationsthema blieb er mit EU-Außengrenzschutz, Rückführungsabkommen und europäischem Asylsystem auf der unter Kurz eingeschlagenen harten Linie.

Kurz will keine Ratschläge geben

Vor Nehammers Rede hatte sich Kurz offensiv hinter diesen gestellt und den ÖVP-Bundesparteiobmann als einen, „der 100 Prozent gibt in jeder Aufgabe, die er übernimmt“, gelobt. Kurz machte rasch klar, dass er seine zwei Jahrzehnte in der Politik als abgeschlossen erachtet. Es sei eine unglaubliche Ehre gewesen, nach der Zeit der Übermacht anderer die Wahlen 2017 gewinnen und 2019 noch zulegen zu dürfen.

ÖVP-Bundesparteitag
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Die ÖVP hielt am Samstag ihren Parteitag ab, um Nehammer zum Obmann zu wählen

„Ich wünsche mir aus vollem Herzen, dass die Volkspartei weiter erfolgreich ist“, sagte er. Über seinen erzwungenen Abgang sagte er nichts. Nehammer wünschte er, dass er die Freude an der Politik nicht verliere. „Ratschläge gibt es von mir nicht, vor allem nicht öffentlich“, sagte Kurz.

Schüssel gab sich angriffig

Zuvor hatte Ex-ÖVP-Bundesparteichef Wolfgang Schüssel seine angriffige Seite hervorgekehrt und Nehammer nicht nur gute Nerven, sondern auch ein „kampffähiges Team“ gewünscht. „Wir müssen lernen, wieder zu kämpfen“, so der Ex-Kanzler, „es heißt Wahlkampf, liebe Freunde.“ Auch mutlos dürfe man sich nicht machen lassen. Gerade jetzt sei eine Partei gefragt, die den Freiheitsbegriff hochhalte.

ÖVP-Bundesparteitag
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Kurz und Schüssel streuten Nehammer Rosen

Viel Jubel von den knapp 1.300 Gästen gab es für Schüssels Worte zu Persönlichkeitsrechten, Rechtsschutz und Meinungsfreiheit angesichts des Zugriffs der Justiz auf Briefe und Chatnachrichten, kommen doch viele der aktuellen Vorwürfe gegen die ÖVP aus der Auswertung dieser Quellen. Zuvor hatte ÖVP-Generalsekretärin Laura Sachslehner von 515 anwesenden Delegierten gesprochen, die stimmberechtigt seien. Damit sei die Beschlussfähigkeit gegeben. Später seien noch neun Mitglieder rechtzeitig vor der Abstimmung nachgekommen, hieß es auf Anfrage von ORF.at seitens der ÖVP – womit sich die 524 Ja-Stimmen ergeben.

Wöginger lobte Regierungsarbeit

Es sind unruhige Zeiten für die Volkspartei, geprägt durch ständige Skandale und schlechte Umfrageergebnisse. Beim Parteitag in der Helmut-List-Halle versuchte man Geschlossenheit zu demonstrieren und gute Stimmung zu verbreiten. Die Demonstrantinnen und Demonstranten vor der Halle konnten die Laune der Funktionäre nicht trüben. Zahlreiche bekannte Gesichter von den Regierungsmitgliedern über die Landeshauptleute bis zu ehemaligen Parteichefs waren zugegen.

ÖVP-Bundesparteitag
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Der frühere ÖVP-Chef Kurz übergab an seinen Nachfolger

ÖVP-Klubobmann Wöginger brach eine Lanze für Türkis-Grün – man habe trotz Krisenbewältigung einiges weitergebracht. So zählte er etwa die ökosoziale Steuerreform, den Ausbau der erneuerbaren Energien und das Pflegepaket auf. Man gehe mit der Koalition jetzt in die zweite Halbzeit, „und wir werden diese auch zu Ende spielen“, versicherte er.

Für die Opposition hatte er keine freundlichen Worte übrig – diese arbeite „mit ständigem Anpatzen, in der Hoffnung, dass etwas hängen bleibt“, und „mit unredlichen Methoden (…) in der Hoffnung, dass uns die Lust an der Politik vergeht“. Mit Nehammer komme man wieder in „ruhigere Gewässer“, Nehammer habe „das Ruder in der Hand“. Er beschwor Zusammenhalt und Einigkeit als Grundwerte der Volkspartei.

Die Opposition wiederum fand auch wenig Gefallen an dem Parteitag. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch ortete Durchhalteparolen, Realitätsverweigerung und Lügen, Nehammer fehle jeglicher Bezug zu den Menschen. Ähnlich abschätzig äußerte sich FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz. Die Kür zum Bundesparteiobmann „wird Nehammers letzter Wahlerfolg gewesen sein“.