Stimmabgabe in Beirut
Reuters/Mohamed Azakir
Wahl im Libanon

Machtblock der Hisbollah wackelt

Politisch ist der Libanon seit Jahrzehnten instabil, die Explosionskatastrophe im Hafen der Hauptstadt Beirut im August 2020 riss das Land auch wirtschaftlich in den Abgrund. Bei der ersten Wahl seither könnte nun eine Zeitenwende beginnen. Denn der Machtblock rund um die schiitischen Hisbollah wackelt und könnte sogar die Mehrheit verlieren – und das eigentlich völlig überraschend.

Ersten Berichten zufolge kamen die Regierungsgegner auf bis zu zehn Mandate im Abgeordnetenhaus, das insgesamt 128 Sitze zählt. Die Protestbewegung geht auf die Massendemonstrationen zurück, die im Herbst 2019 gegen die politische Führung des Mittelmeer-Landes ausgebrochen waren. Ihre Vertreter und andere Oppositionelle wollen das Machtmonopol der Parteien brechen, die im Libanon seit Jahrzehnten herrschen.

2018 konnte sich die Hisbollah, deren schwer bewaffnete Miliz von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft wird, zusammen mit ihren Verbündeten 71 der 128 Parlamentssitze sichern. Seitdem ist das Land in eine noch schwerere Wirtschaftskrise gerutscht. Kaum noch etwas erinnert an die Glanzzeit des Landes ab den 1950er Jahren, als es stark westlich geprägt als „Schweiz des Orients“ galt.

Drei Viertel leben unter Armutsgrenze

Verschärft hatte die Lage die Explosion im Beiruter Hafen am 4. August 2020, bei der mehr als 190 Menschen ums Leben gekommen waren. Rund 6.000 Menschen wurden verletzt. Nach UNO-Angaben leben rund drei Viertel der Menschen des Landes mittlerweile unter der Armutsgrenze. Im Alltag kämpfen sie mit Mangelversorgung. Die libanesische Währung hat mehr als 90 Prozent ihres Wertes verloren. Die Regierung kann ihre Schulden nicht mehr zurückzahlen.

Das zerstörte Hafenareal im Mai 2022
Reuters/Mohamed Azakir
Die Explosion im Hafen verfolgt das Land bis heute

Eigentlich war er wartet worden, dass das Hisbollah-Lager noch dazugewinnt, da der wichtigste sunnitische Politiker und frühere Regierungschef Saad Hariri aus Protest gegen den seiner Meinung nach stärker werdenden iranischen Einfluss die Wahl boykottiert hatte. Seine Zukunftsbewegung hatte bisher 20 Sitze im Parlament. Infolge des Boykotts sank die Wahlbeteiligung auf 41 Prozent.

Verluste für Hisbollah-Lager

Doch den etablierten Parteien gelang es wider Erwarten offenbar nicht gut genug, die Massen zu mobilisieren und den Boykott für sich zu nützen. Die Hisbollah selbst wie die mit ihr verbündete ebenfalls schiitische Amal-Bewegung von Parlamentspräsident Nabih Berri konnten in etwa ihr Ergebnis halten. Die ebenfalls verbündete christliche Partei von Präsident Michel Aoun, die Freie Patriotische Bewegung (FPM), erlitt jedoch Einbußen.

Wahlkundgebung der Hisbollah
Reuters/Issam Abdallah
Konvoi zur Unterstützung des Hisbollah-Lagers

Neue größte christliche Partei

Die Partei Libanesische Kräfte (LF) gewann hingegen mehrere Sitze hinzu und dürfte damit zur größten christlichen Partei im Parlament avancieren. Die Partei des ehemaligen Kriegsherrn Samir Geagea steht Saudi-Arabien nahe. Sie ist seit dem Ende des Bürgerkriegs vor 30 Jahren fester Bestandteil der Politik und hatte sich im Wahlkampf deutlich gegen die Hisbollah positioniert.

„Die libanesische Bevölkerung hat die herrschenden Parteien abgestraft und sich uns angeschlossen und damit ihren Willen für einen Neuanfang zum Ausdruck gebracht“, sagte LF-Sprecher Marc Saad der Nachrichtenagentur AFP.

Nicht nur symbolische Erfolge für Protestbewegung

Den unabhängigen Kandidaten dieser Protestbewegung war es zwar vor der Wahl nicht gelungen, sich zusammenzuschließen, im neuen Parlament könnten sie jedoch genügend Sitze gewinnen, um einen noch nie dagewesenen Einfluss auf die Politik des Landes auszuüben. Ersten Berichten zufolge fielen auch mehrere Wahlkreise mit Hisbollah-Schwergewichten an unabhängige Kandidaten, was schon symbolisch ein großer Erfolg ist. Zehn oder mehr Abgeordnete des Reformlagers könnten damit zudem Zünglein an der Waage bei der Bildung einer neuen Regierung werden.

Warteschlange vor Wahllokal in Ashrafieh, Libanon
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In manchen Wahllokalen war der Andrang zur Wahl groß

Zeichen für Veränderung?

„Die ersten Ergebnisse haben positive Überraschungen für die Opposition gebracht“, sagte Maha Yahya, Leiterin des Carnegie Middle East Center in Beirut. Einige traditionelle Anführer hätten ihre Sitze verloren. „Das ist womöglich der Beginn einer Veränderung.“ Andere Beobachter zeigten sich noch zurückhaltend.

Denn das politische System des Libanon hat die Macht seit langer Zeit unter den Religionsgemeinschaften aufgeteilt und eine herrschende Elite gefestigt. Der Präsident ist traditionell ein maronitischer Christ, der Regierungschef ein sunnitischer Muslim und der Parlamentspräsident ein Schiit. Dieses System schmälert eigentlich die Wahlchancen für nicht religiöse Parteien und Vertreter der Zivilgesellschaft.

Erste Wahl nach Massenprotesten 2019

Es waren die ersten Wahlen seit den Massenproteste von 2019. Damals zogen Zehntausende Menschen auf die Straße. Die Demonstrationen richteten sich unter anderem gegen die weit verbreitete Korruption. Viele Menschen machen die seit Jahrzehnten regierenden etablierten Parteien für die schwere Krise des Landes verantwortlich.

Kritiker sprechen von einer „Regierungsmafia“, die sich allein selbst bereichere. Potenzielle ausländische Geldgeber wie der Internationale Währungsfonds (IWF) fordern im Gegenzug für Finanzhilfe Reformen. Diese sind allerdings bisher ausgeblieben.