Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan
AP/Burhan Ozbilici
NATO-Beitritte

Erdogan droht weiter mit Veto

Nach Finnland hat sich am Montag auch Schweden auf einen NATO-Beitrittsantrag festgelegt. Man werde um Aufnahme in das Verteidigungsbündnis ansuchen, so Ministerpräsidentin Magdalena Andersson. Doch die Türkei will offenbar an der Drohkulisse eines Vetos festhalten. Am Montagabend sagte Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, man werde zu einem NATO-Beitritt der beiden Staaten „nicht Ja sagen“, Finnland und Schweden brauchten nicht einmal Delegationen schicken.

Erdogan warf Schweden am Montag vor, eine „Brutstätte“ für terroristische Organisationen zu sein. Auch im schwedischen Parlament säßen Terroristen. Beide Länder würden Menschen beherbergen, die Verbindungen zu Gruppen hätten, die aus türkischer Sicht terroristisch sind. Erdogan verwies auf die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und Anhänger des Predigers Fethullah Gülen, der nach seinen Angaben hinter dem gescheiterten Militärputsch 2016 steckt.

Erdogan spielte zudem auf gegen die Türkei verhängte „Sanktionen“ an. Schweden liefert wegen Ankaras Militäreinsatz im Nachbarland Syrien seit 2019 keine Waffen mehr an die Türkei. Der türkische Präsident hatte Schweden und Finnland bereits am Freitag vorgeworfen, sich „wie ein Gästehaus für Terrororganisationen“ zu verhalten. Er habe zu den NATO-Beitrittsplänen der beiden Länder deshalb keine „positive Meinung“.

Andere NATO-Staaten irritiert

In der NATO sorgten die Äußerungen des türkischen Präsidenten für Irritationen. Viele andere NATO-Staaten, darunter Deutschland, erklärten ihre ausdrückliche Unterstützung für die schwedischen und finnischen Beitrittspläne. Der Generalsekretär des Bündnisses, Jens Stoltenberg, sagte nach einem Außenministertreffen in Berlin am Sonntag, die Türkei habe nicht die Absicht, die Aufnahme Schwedens und Finnlands zu „blockieren“.

Grünes Licht für NATO-Beitritt

Schweden will NATO-Mitglied werden. Das Land werde einen Antrag zur Aufnahme in das Verteidigungsbündnis stellen, sagte die schwedische Ministerpräsidentin Magdalena Andersson am Montag.

Doch die Türkei sendet schon seit Tagen widersprüchliche Signale rund um ihre Zustimmung zum NATO-Beitritt von Finnland und Schweden aus. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu hatte zuletzt bekräftigt, dass sein Land Vorbehalte habe, die Türkei aber immer für eine „Politik der offenen Tür“ stehe. Später hieß es, die Türkei fordere für ein Ja zur Aufnahme Schwedens und Finnlands in die NATO Sicherheitsgarantien. Zudem müssten Exportbeschränkungen aufgehoben werden. Darüber hinaus sollten beide Länder damit aufhören, Terrorismus zu unterstützen, sagte Cavusoglu.

Drohung mit Kalkül

Es scheint also, als würde sich die Türkei weitere Zugeständnisse für ihrer Zustimmung sichern wollen. Nach Angaben von Diplomaten könnten neben Erklärungen der beiden nordeuropäischen Länder zum Kampf gegen den Terrorismus auch Zugeständnisse der USA eine Rolle spielen. So will die Türkei F-16-Kampfjets von den Amerikanern kaufen und hofft auf ein Ende des Streits über die Anschaffung des russischen S-400-Raketenabwehrsystems.

Die Türkei hatte das S-400-System 2017 trotz vehementer Proteste der USA und der NATO bestellt. Die USA schlossen nach der Lieferung die Türkei aus dem F-35-Kampfjet-Programm aus und verhängten Sanktionen. Aus Sicht Washingtons würde der Einsatz des Systems die Sicherheit von US-Soldaten und von amerikanischer Militärtechnologie gefährden. Die Türkei könnte in der Frage nun auf Annäherung des NATO-Partners USA pochen.

Beobachter in der Türkei sehen in Erdogans Auftreten auch innenpolitisches Kalkül, immerhin finden im kommenden Jahr Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in dem Land statt. Angesichts der innen- und wirtschaftspolitischen Probleme der Türkei dürfte Erdogan wohl versuchen, sich außenpolitisch zu positionieren. Zahlreiche Fachleute gehen davon aus, dass die Türkei am Ende dem Beitritt zustimmen werde.

Putin kündigt russische Reaktion an

Russlands Vizeaußenminister Sergej Rjabkow bezeichnete die mögliche Aufnahme der beiden Länder in die NATO Montagvormittag als „schwerwiegenden Fehler mit weitreichenden Folgen“. Am Nachmittag meldete sich auch Präsident Wladimir Putin zu Wort. Russland werde auf die geplante Erweiterung der NATO um die Länder Schweden und Finnland reagieren, kündigte der Staatschef an.

Die Ausweitung der NATO sei ein Problem, sagte Putin in Moskau. Dabei habe Russland mit den beiden nordischen Ländern keine Probleme. Er werde aber auf den Ausbau der militärischen Infrastruktur dort reagieren. Zudem müsse Russland zusätzlich im Blick haben, dass das Militärbündnis seinen globalen Einfluss ausbauen wolle.

Einstimmigkeit notwendig

Schweden und Finnland planen, in den kommenden Tagen gemeinsam den Antrag einzureichen. In Finnland stimmt am Dienstag noch das Parlament darüber ab. Laut Umfragen unterstützen inzwischen rund zwei Drittel der Menschen einen NATO-Beitritt, in Schweden sind es rund 50 Prozent.

Grafik zur NATO-Präsenz in Osteueropa
Grafik: APA/ORF.at

Die Aufnahme in die NATO wäre für Schweden und Finnland nach jahrzehntelanger Bündnisfreiheit eine historische Zäsur. Für ihren Beitritt sind ein einstimmiges Votum der NATO sowie die Ratifizierung der Erweiterung durch die Parlamente aller 30 bisheriger Mitgliedsstaaten nötig. Führende Vertreterinnen und Vertreter der NATO und ihrer Mitgliedsstaaten hatten Finnland und Schweden am Wochenende bei einem Außenministertreffen in Berlin einen zügigen Aufnahmeprozess in Aussicht gestellt.