Palme d’Or
APA/AFP/Pierre Albouy
Cannes feiert 75er

Zwischen Krieg und Zombie-Spaß

Nach zwei außertourlichen Jahren ist es wieder so weit: Zum 75. Jubiläum kehrt das berühmte Cannes-Filmfestival an der Cote d’Azur komplett zur Normalität zurück. Doch nicht nur Stars und große Regienamen – Zombie-Spaß inklusive – bestimmen heuer das Geschehen, sondern auch der Ukraine-Krieg. Im Vorfeld sorgten Filmtitel und Boykottforderungen für Diskussionen. Zu sehen ist außerdem der letzte Film des litauischen Filmemachers Mantas Kvedaravicius. Kvedaravicius war im April in Mariupol erschossen worden. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj schaltete sich zur Eröffnung ebenfalls zu.

In einer überraschenden per Video übertragenen Ansprache bei der Eröffnungsfeier der Filmfestspiele rief Selenskyj die Filmbranche auf, sich politisch gegen Hass und autoritäre Herrscher zu engagieren. Das Festival hatte zuvor mit vielen Stars und der Zombie-Komödie „Final Cut!“ von Michel Hazavanicius begonnen.

Selenskyj spielte auf Charlie Chaplins Filmklassiker „Der große Diktator“ an und sagte: „Am Ende wird der Hass verschwinden und die Diktatoren werden sterben.“ Chaplins im Jahr 1940 uraufgeführtes Werk gilt bis heute als besonders wirkmächtige Satire gegen Adolf Hitler. „Wir brauchen einen neuen Chaplin, um zu beweisen, dass die Filmwelt nicht stumm ist“, sagte Selenskyj weiter. Mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine fragte er: „Wird die Filmwelt still bleiben oder wird sie die Stimme erheben?“ Das Publikum quittierte seine Rede mit stehenden Ovationen.

Kurzfristige Programmänderung

Der Film „musste unbedingt gezeigt werden, wir haben ihn hinzugefügt“: So begründete die Festivalleitung erst vor fünf Tagen die Programmergänzung durch Kvedaravicius’ Doku. Kvedaravicius war Anfang April für Dreharbeiten in der Stadt Mariupol, als er von der russischen Armee gefangen genommen und ermordet wurde.

Laut Festivalhomepage gelang es seiner ebenfalls nach Mariupol gereisten Verlobten Hanna Bilobrova, das gedrehte Material zurückzubringen. Mit Cutterin Dounia Sichov von Mantas stellte sie nun Kvedaravicius‘ Vermächtnis unter dem Titel „Mariupolis 2“ fertig.

Kein russischer Kulturboykott

Der Ukraine-Krieg hat aber auch abseits der Doku seine Spuren im bis 28. Mai laufenden Festival an der Cote d’Azur hinterlassen. Im Vorfeld wurde die Frage der Einladung russischer Filmschaffender hitzig debattiert, konkret entzündete sich die Diskussion am oppositionellen russischen Regisseur Kirill Serebrennikow, der zuvor bereits zweimal zum Bewerb geladen worden war.

Szene aus dem Film „COUPEZ !“
Lisa Ritaine
Mit neuem Titel am Start: die Zombie-Komödie von Oscar-Preisträger Michel Hazanavicius

Ukrainische Filmschaffende hatten sich für einen Boykott des in Russland verfolgten, mittlerweile in Deutschland lebenden Regisseurs ausgesprochen. Cannes-Festivalleiter Thierry Fremaux entschied sich jedoch dafür, die Ausladungen auf offizielle russische Delegationen zu beschränken und hielt an Serebrennikow und seinem Historiendrama „Tschaikowskis Frau“ fest. „Tschaikowskis Frau“ handelt von der tragischen Ehe des homosexuellen russischen Komponisten.

Titeldiskussion vor Festivalstart

Zu einer Adaption des Programms kam es dagegen anderswo: „Coupez!“, eine Zombie-Komödie des Franzosen Michel Hazanavicius (Oscar-Gewinner mit dem Stummfilm „The Artist“), hätte ursprünglich unter dem Titel „Z (comme Z)“ laufen sollen. Weil sich der Buchstabe „Z“ zum Symbol der Unterstützung für die russische Armee entwickelt hat, hatte etwa der Leiter des Ukrainischen Instituts in Kiew zur Abänderung aufgerufen, was auch prompt vorgenommen wurde.

Mit der schrägen Komödie startet Cannes nun auch ins Festivalprogramm. „Coupez!“ handelt von einem Dreh eines Low-Budget-Zombie-Films in einer stillgelegten Fabrik, der aus dem Ruder läuft, weil plötzlich echte Untote auftauchen.

Bewerb mit großen Regienamen

Hazanavicius ist nur einer der – wie in Cannes üblich – großen Regienamen, mit dem sich das Festival nach zwei schwierigen Pandemiejahren lautstark zurückmeldet. Nach einem Ausfall 2020 und einem letztjährigen Alternativtermin im Juli startet man heuer erstmals wieder – ohne Maskenpflicht, aber mit Maskenempfehlung – in ein reguläres Programm.

Szene aus dem Film „Crimes of the Future"
Nikos Nikolopoulos
Mit seinem Sci-Fi-Horrorfilm „Crimes of the Future" meldet sich David Cronenberg nach acht Jahren zurück

21 Filme, darunter jene von Ruben Östlund, den Brüdern Dardenne und Park Chan-wook treten heuer im Bewerb an. Wie so oft in Cannes ist die Präsenz von Frauen vergleichsweise dürftig – nur fünf Regisseurinnen, darunter Claire Denis und Kelly Reichardt, sind im Rennen um die begehrten Palmen dabei.

„Body Horror“ von Cronenberg

Ein heißer Kandidat für die höchste Auszeichnung ist dabei der kanadische Regisseur David Cronenberg, der mit seinem ersten Spielfilm seit acht Jahren auch gleich Glamour an die Cote d’Azur bringt: Crewmitglieder Kristen Stewart, Lea Seydoux und Viggo Mortensen sind für den roten Teppich angekündigt. Cronenbergs Sci-Fi-Film „Crimes of the Future“ subsumiert unter dem von ihm mitkreierten Subgenre „Body Horror“, in dem es um verstörende Veränderungen des Körpers geht. Mortensen spielt einen Mann, der sich vor einem Publikum neu gewachsene Organe entfernen lässt.

Gespannt sein darf man auch über den dritten Spielfilm „Triangle of Sadness“ des schwedischen Regisseurs und Drehbuchautors Östlund. Mit seiner scharfen und gewitzten Kunstsatire „The Square“ gewann Östlund bereits vor fünf Jahren eine Goldene Palme. In seinem nunmehrig sozialsatirischen Film geht es um zwei Models, die mit Milliardären auf einem Luxuskreuzfahrtschiff durch die Südsee cruisen. Die Reise endet in einem absurden Desaster, als das Schiff sinkt und sich einige Überlebende auf eine verlassene Insel retten können.

Über die Palmenvergabe entscheidet in der kommenden Woche eine Jury, der heuer der französische Schauspieler Vincent Lindon vorsteht. An seiner Seite sind etwa die schwedische Mimin Noomi Rapace und der norwegische Filmemacher Joachim Trier.

Vicky Krieps in „Corsage“
Felix Vratny
In „Corsage“ porträtiert die Österreicherin Marie Kreutzer eine gealterte Kaiserin Sisi (Vicky Krieps)

Cruise und Hanks am Teppich

Normalität in Cannes, das heißt auch über den Wettbewerb hinaus jede Menge Prominenz am roten Teppich: Tom Hanks, der in einer Filmbiografie über Elvis Presley von Baz Luhrmann mitspielt, wird genauso erwartet wie Tom Cruise, der mit seiner Fortsetzung des Spektakels „Top Gun“ zugegen ist. Über 30 Jahre nach dem Kassenschlager schlüpft Cruise wieder in die Rolle des früheren Kampfpiloten Pete „Maverick“ Mitchell, der nun als Fluglehrer arbeitet. Schon nächste Woche startet der Film in den heimischen Kinos.

Kreutzer mit „Corsage“

Unter den österreichischen Regisseurinnen und Regisseuren ist diesmal nur Marie Kreutzer eingeladen, die in der renommierten Nebenreihe „Un Certain Regard“ mit ihrem Sisi-Film „Corsage“ antritt. In dem Historiendrama spielt Vicky Krieps eine gealterte Kaiserin Elisabeth, die der Vergänglichkeit ihrer legendären Schönheit nicht mehr entkommen kann und unter Essstörungen, depressiven Verstimmungen und Sinnkrisen leidet.

Beim Festival erwartet wird auch der amerikanische Oscar-Preisträger Forest Whitaker (60), der dieses Jahr die Goldene Ehrenpalme erhält. Whitaker präsentiert in Cannes den von ihm produzierten Film „For the Sake of Peace“. Er handelt von Menschen, die sich im Südsudan für Frieden einsetzen.