Ukrainischer Traktor hinter einem im Feld steckenden russischen Raketenteil
APA/AFP/Sergey Bobok
Kornkammer Ukraine

Jedes dritte Feld nicht bestellt

Die Folgen des Ukraine-Krieges für die globale Nahrungsmittelsicherheit werden zunehmend sichtbar. Die Vereinten Nationen warnen bereits vor einer globalen Lebensmittelkatastrophe, weil etwa 30 Prozent der ukrainischen Agrarflächen nicht bestellt werden können. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres erhöht unterdessen den Druck auf Moskau, Getreideexporte aus der Ukraine nicht weiter zu blockieren. Moskau junktimiert das jedoch mit den westlichen Sanktionen.

Die Lage ist dramatisch angesichts der Rekordzahl an Hungerleidenden in der ganzen Welt. Einerseits kann in den großen ukrainischen Speichern gelagertes Getreide wegen der russischen Blockade derzeit nicht oder nur über Umwege und in viel geringerem Ausmaß etwa nach Afrika exportiert werden. Andererseits droht sich die Lage im Herbst, wenn die heurigen Ernteausfälle schlagend werden, noch dramatisch zu verschärfen. Das US-Landwirtschaftsministerium geht bei Weizen von kriegsbedingten Ernteeinbußen von rund einem Drittel aus.

Nach Zahlen aus der Ukraine selbst (Stand: 12. Mai) gingen die bestellten Flächen um mehr als 40 Prozent zurück. Dabei fällt der Anbaurückgang nicht bei allen Feldfrüchten so dramatisch aus, wobei auch Unsicherheiten bei den Zahlen mit Blick auf die von Russland besetzten Gebiete bestehen.

Bei Wintergetreide liegen die Aussaatflächen mit 7,6 Millionen Hektar nur um 300.000 Hektar unter denen des Vorjahres. Bei Sommerweizen seien im Vergleich zum Vorjahr mit 187.500 Hektar nur zweieinhalb Prozent weniger Fläche ausgesät worden.

Weizenernte in der Ukraine
Reuters/Amit Dave
Ukraine ist weltweit einer der wichtigsten Getreideexporteure

Drastischer Einbruch bei Mais und Sonnenblumen

Stärker sei der Rückgang mit 32 Prozent bei der Sommergerste. Ein drastischer Rückgang ist vor allem bei Mais zu verzeichnen. Im Vergleich zum Jahr 2021 ist die Anbaufläche um 40 Prozent auf 3,2 Millionen Hektar geschrumpft. Und den vorliegenden Daten zufolge ist nur knapp die Hälfte der Vorjahresmenge bei Sonnenblumen ausgebracht worden. Nur 3,3 Millionen Hektar seien mit Sonnenblumen bestellt worden. Bisher war die Ukraine Weltmarktführer beim Export von Sonnenblumenöl.

Ein Rückgang um zwölf Prozent wurde bei Hafer registriert. Raps wurde etwa um 20 Prozent weniger angebaut. Bei den für Viehfutter wichtigen Sojabohnen liegt der Rückgang bei 43 Prozent. Einschneidend ist auch der Einbruch beim Anbau von Buchweizen. Das einst traditionelle Getreide wurde den ukrainischen Daten nach nur noch auf 12.200 Hektar gesät – ein Einbruch um 85 Prozent. Stark ist der Rückgang auch mit 21 Prozent bei Kartoffeln. Sie werden noch auf einer Million Hektar angebaut.

EU-Rat zu Hungerkrise

Die EU-Ministerinnen und -Minister für Entwicklungszusammenarbeit beraten am Freitag in Brüssel über Wege, arme Länder trotz des Ukraine-Krieges mit Lebensmitteln zu versorgen.

Keine Daten zu Luhansk

In seiner Mitteilung hat das ukrainische Agrarministerium das gesamte umkämpfte ostukrainische Gebiet Luhansk herausgenommen. Keine Angaben machte das Ministerium zur Datenlage für die teils besetzten, teils umkämpften ostukrainischen und südukrainischen Gebiete Donezk, Saporischschja und Cherson. Cherson ist dabei traditionell ein Zentrum für Obst- und Gemüseanbau.

Süßkirschen aus Melitopol und Melonen werden kaum den Weg in die nicht besetzte Ukraine finden. Bereits jetzt klagen die südukrainischen Bauern über den fehlenden Absatz für ihre Frühkartoffeln, und in den Landesteilen, die nicht umkämpft oder besetzt sind, steigen die Preise für das sonst aus der Südukraine stammende Gemüse.

Ausfuhren dramatisch eingebrochen

Und die ukrainische Getreideausfuhr geht weiter dramatisch zurück. Die Exporte erreichten nach offiziellen Angaben im Mai bisher nur gut ein Drittel der Menge im Vorjahreszeitraum. Zunächst seien 643.000 Tonnen exportiert worden, teilte das Landwirtschaftsministerium mit. Darunter seien etwa 617.000 Tonnen Mais und 16.000 Tonnen Weizen. Im Mai 2021 seien dagegen 1,8 Millionen Tonnen Getreide ins Ausland geliefert worden.

Guterres fordert Ende der Getreideblockade

Bei einem von den USA abgehaltenen Außenministertreffen der Vereinten Nationen in New York hat UNO-Generalsekretär Antonio Guterres den Druck auf Russland wegen der Blockade auf ukrainisches Getreide erhöht. Zusammen produzieren die Ukraine und Russland fast ein Drittel des Weizens und der Gerste der Welt und die Hälfte des Sonnenblumenöls. Der von Russland begonnene Krieg drohe, viele Millionen Menschen in eine Ernährungsunsicherheit zu stürzen.

Guterres appelliert an Moskau

UNO-Chef Guterres fordert nun erneut von Russland, „den sicheren Export von in ukrainischen Häfen gelagertem Getreide“ zuzulassen. Laut deutschen Angaben blockiert Moskau aktuell die Ausfuhr von 20 Mio. Tonnen Getreide, großteils im Hafen von Odessa. Der von Russland begonnene Krieg drohe viele Millionen Menschen in eine Ernährungsunsicherheit zu stürzen und eine Krise auszulösen, „die Jahre andauern könnte“. Zusammen produzieren die Ukraine und Russland laut Guterres fast ein Drittel des Weizens und der Gerste der Welt und die Hälfte des Sonnenblumenöls.

Den Vereinten Nationen zufolge hat der weltweite Hunger einen neuen Höchststand erreicht: „In nur zwei Jahren hat sich die Zahl der Menschen mit starker Ernährungsunsicherheit verdoppelt, von 135 Millionen vor der Pandemie auf heute 276 Millionen“, meinte Guterres.

Baerbock wirft Moskau „Kornkrieg“ vor

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) warf Russland vor, einen „Kornkrieg“ zu führen und die Blockade von Getreideexporten als Kriegswaffe einzusetzen. Damit fache Russland eine „globale Nahrungsmittelkrise“ an, so Baerbock.

Tatsächlich junktimierte Moskau am Donnerstag eine mögliche Öffnung ukrainischer Häfen für die Ausfuhr von Getreide an eine teilweise Aufhebung der westlichen Sanktionen. „Wenn unsere Partner eine Lösung erreichen wollen, dann müssen auch die Probleme gelöst werden, die mit einer Aufhebung jener Sanktionen verbunden sind, die auf den russischen Export gelegt wurden“, so der russische Vizeaußenminister Andrej Rudenko.

USA und Russland mit gegenseitigen Vorwürfen

US-Außenminister Antony Blinken warf Moskau auf einer Sitzung des UNO-Sicherheitsrates am Donnerstag vor, die Lebensmittelversorgung „von Millionen Ukrainern und Millionen weiterer Menschen auf der ganzen Welt“ in Geiselhaft zu nehmen.

„Hören Sie auf, Ländern, die Ihren Angriffskrieg kritisieren, mit einem Exportstopp für Lebensmittel und Düngemittel zu drohen“, fügte Blinken hinzu. Er forderte Russland auf, die Ausfuhr von ukrainischem Getreide zuzulassen, das in Häfen am Schwarzen Meer blockiert wird.

Der russische UNO-Botschafter Wassili Nebensia wies die Vorwürfe zurück. Die Welt leide infolge einer Inflationsspirale seit Langem unter einer Nahrungsmittelkrise. Diese sei durch steigende Versicherungskosten, logistische Engpässe und Spekulationen auf westlichen Märkten verursacht worden. Sanktionen westlicher Länder verschärften die weltweite Ernährungslage.

Russland will „Verpflichtungen erfüllen“

„Auf der einen Seite werden verrückte Sanktionen gegen uns verhängt, auf der anderen Seite fordern sie Lebensmittellieferungen. So funktioniert das nicht, wir sind keine Idioten“, erklärte Russlands Ex-Präsident Dmitri Medwedew später auf Telegram.

Russland sei bereit, seine „Verpflichtungen in vollem Umfang zu erfüllen“, aber es erwarte auch „Unterstützung von seinen Handelspartnern“, fügte der heutige stellvertretende Vorsitzende des russischen Nationalen Sicherheitsrates hinzu. „Die Länder, die unseren Weizen und andere Lebensmittel importieren, werden es ohne Lieferungen aus Russland sehr schwer haben“, erklärte der Ex-Präsident. „Und auf europäischen und anderen Feldern wird ohne unsere Düngemittel nur saftiges Unkraut wachsen.“