Dunkler Schatten fällt über Bücher
ORF.at/Zita Klimek
Sommerbücher

Krimis und Thriller für den kalten Schauer

Gesellschaftskritisches von Rassismus bis Influencer-Realitäten, Kulturgeschichtliches von Norditalien bis Israel – und jede Menge Spaß und Hochspannung. Die ORF.at-Redaktion stellt ihre Krimi- und Thrillerhighlights der Saison vor.

Selbstjustiz im Reservat

Der Autor David Heska Wanbli Weiden ist gleichzeitig Anwalt und gehört der Gruppe der Lakota an, die in den USA ein Reservat bewohnen. Sein Held ist dort Vollstrecker: Weil die weiße Polizei sich nicht schert, werden Schläger gedungen, die für Gerechtigkeit sorgen sollen. Nicht nur, dass Wanbli kenntnisreich über die Verhältnisse in Reservaten schreibt, was an sich schon spannend genug wäre: Sein Krimi – es geht um Drogen im Reservat – ist ein echter Pageturner und gleichzeitig voll von klug und humorvoll erzählten zwischenmenschlichen Dramen. (Simon Hadler, ORF.at)

David Heska Wanbli Weiden: Winter Counts. Aus dem Englischen von Harriet Fricke. Polar Verlag, 464 Seiten, 16,95 Euro.

Die Kinder sind nicht okay

YouTube-Influencerin Melanie hat alles im Griff – besonders ihre beiden Kinder Sammy und Kimmy, deren Heile-Welt-Videos sensationell erfolgreich sind und den Wohlstand der ganzen Familie sichern. Doch dann verschwindet die sechsjährige Kimmy plötzlich. Polizeibeamtin Clara übernimmt den Fall und taucht unversehens in die verstörende Welt der YouTube-Kinderstars ein, bis sie sich die Frage stellen muss, welchem Verbrechen sie eigentlich nachspürt. Minuziös und schonungslos lotet Delphine de Vigan eine künstliche Welt aus, deren Glanz ihren Stars einen hohen Preis abverlangt. (Johanna Grillmayer, ORF.at)

Delphine de Vigan: Die Kinder sind Könige. Aus dem Französischen von Doris Heinemann. Dumont, 320 Seiten, 23,95 Euro.

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Pflichtlektüre für Miss-Marple-Fans

Wer die guten alten englischen Krimis mit skurrilen Figuren und trickreichen Wendungen liebt, wird mit „Mrs Potts‘ Mordclub“ seine Freude haben. Ermittlerin – sehr zum Unmut der örtlichen Polizei – ist die 77-jährige Judith Potts, die in einem verfallenen Herrenhaus wohnt und eines Tages Zeugin eines Mordes auf dem Nachbargrundstück wird. Weil die ansässige Polizei den Fall nicht ernst nimmt, beginnt Mrs Potts auf eigene Faust zu ermitteln. Charmant, witzig und nicht zuletzt spannend führt einen Autor Robert Thorogood immer wieder auf die falsche Fährte. (Sonia Neufeld, ORF.at)

Robert Thorogood: Mrs Potts‘ Mordclub und der tote Nachbar. Aus dem Englischen von Ingo Herzke. KiWi, 416 Seiten, 12,40 Euro.

Fatale Hetzjagd

An einem Flussufer wird die Leiche einer jungen Frau aufgefunden. Der schrullige Nachbar und pensionierte Lehrer Michael Wolphram hatte als Letzter Kontakt mit der Toten und ist somit höchst verdächtig. Die Polizisten Gary und „Prof“ Alexander – ein ungleiches Duo – nehmen Wolphram sehr genau ins Visier, denn die Medien werfen den exzentrischen Sonderling buchstäblich „den Wölfen zum Fraß“ vor. Dem belgisch-britischen Schriftsteller Patrick McGuinness gelingt mit seinem jüngsten Werk ein scharfsinniger, tragischer und gleichzeitig wahnsinnig komischer Krimi, bei dem einem das Lachen nicht nur einmal im Hals stecken bleibt. (Britta Schuler, ORF.at)

Patrick McGuinness: Den Wölfen zum Fraß. Aus dem Englischen von Dieter Fuchs. Freies Geistesleben, 423 Seiten, 30,95 Euro.

Stürmisches Katz-und-Maus-Spiel

Ein Jahrhundertsturm tobt über dem Südwesten Englands, und die Familie der Lokalbesitzerin Lucy Locke gilt auf einem Segelboot im Atlantik als vermisst. Detective Abraham Rose, todkrank und eigenbrötlerisch, ist gewillt, seinen letzten Fall um jeden Preis aufzuklären. Unerschütterlich in ihrem Glauben an Ehemann Daniel begibt sich Protagonistin Lucy jedoch lieber selbst auf Spurensuche und stellt sich den Schatten der Vergangenheit. Es entspinnt sich ein spannendes Katz-und-Maus-Spiel, das die Lesenden auf eine alptraumhafte Reise mitnimmt und nicht mehr loslässt. (Britta Schuler, ORF.at)

Sam Lloyd: Sturmopfer. Ein Boot. Drei Vermisste. Eine fatale Entscheidung. Aus dem Englischen von Katharina Naumann. Rowohlt Polaris, 445 Seiten, 17,50 Euro.

Mistbuddhist Brenner auf Verbrecherjagd

Dass Wolf Haas’ „Brenner“-Krimis Kult sind, braucht niemandem mehr gesagt werden. Nach siebeneinhalb Jahren Wartezeit ist jetzt „Müll“ als neunter Band erschienen. Die wieder einmal rasante, witzige und bisweilen philosophisch kluge Story drängt sich als ideale Sommerlektüre quasi auf – die eine oder andere platt gezeichnete Figur darf verziehen werden. Worum es geht? Ex-Polizist Simon Brenner arbeitet jetzt auf dem Mistplatz, wo er bald eine zerstückelte Leiche aus den Mülltrennungswannen klauben muss. (Paula Pfoser, ORF.at)

Wolf Haas: Müll. Hoffmann und Campe, 288 Seiten, 24,00 Euro.

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Ein Kommissar langweilt sich

Ein Tourist verschwindet aus seinem Hotelzimmer. Ein Säugling wird vor einem Krankenhaus abgesetzt. Kommissar Avraham Avraham hat genug von den kleinen, schäbigen Fällen, mit denen er sich herumschlagen muss, und bittet um Versetzung. Doch als er beginnt genauer hinzuschauen, entpuppen sich scheinbar unbedeutende Vorgänge als etwas Größeres. Mishani zeichnet seine in der herben israelischen Industriestadt Cholon angesetzte Story mit feinen Strichen und viel Mitgefühl für seine Figuren. (Johanna Grillmayer, ORF.at)

Dror Mishani: Vertrauen. Aus dem Hebräischen von Markus Lemke. Diogenes, 352 Seiten, 22,95 Euro.

Kein Entkommen

Seiner jüngeren Frau Federica, Tochter einer alten norditalienischen Unternehmerfamilie, zuliebe ist der römische Immobilienhai Bruno aufs Land gezogen. Gedankt wird es ihm nicht: Kaum in ihrem Heimatdorf angekommen, wärmt Federica eine Affäre mit einem alten Schulfreund auf. Kurze Zeit später ist Bruno tot, und er bleibt nicht das einzige Opfer. Massimo Carlottos neuer Krimi ist das pfiffige Porträt der norditalienischen Provinz, deren Gesellschaft den Feudalismus in Wahrheit nie überwunden hat. (Magdalena Miedl, für ORF.at)

Massimo Carlotto: Und es kommt ein neuer Winter. Aus dem Italienischen von Ingrid Ickler. Folio, 220 Seiten, 22 Euro.

Für Zuhausegebliebene mit Fernweh

Wer diesen Sommer auf Balkonien verbringt, kann sich mit Gil Ribeiros Portugal-Krimis ein bisschen Urlaubsfeeling nach Hause holen. In der Reihe „Lost in Fuseta“ ermittelt der deutsche Kommissar Leander Lost gemeinsam mit seinen portugiesischen Kollegen an der Algarve. Tote Touristen, korrupte Unternehmen und skrupellose Gegenspieler erschüttern die Idylle des kleinen Fischerdorfes Fuseta in „Einsame Entscheidung“ bereits zum fünften Mal. Aber Ribeiros Bücher sind so spannend, unterhaltsam und mit feinem Humor geschrieben, dass man sich getrost alle fünf Bände besorgen kann. (Sonia Neufeld, ORF.at)

Gil Ribeiro: Lost in Fuseto. Einsame Entscheidung. Kiepenheuer & Witsch, 400 Seiten, 17,50 Euro.

Korruption und Gewalt in der Karibik

„Die Knochenleser“ taucht tief in die Vergangenheit einer fiktiven Karibik-Insel ein: Michael Digson, ein junger Polizist und Forensiker, begibt sich auf die Suche nach seiner schon seit Jahren verschwundenen Mutter. In seiner Arbeit stößt er auf ein Netz aus Schweigen und andere aufwühlende Geheimnisse. Autor Jacob Ross, der selbst auf der Karibik-Insel Grenada geboren wurde, legt hier einen packenden Krimi vor, der Themen wie Korruption und Gewalt an Frauen verhandelt. (Florian Kölsch, für ORF.at)

Jacob Ross: Die Knochenleser. Aus dem Englischen von Karin Diemerling. Suhrkamp, 373 Seiten, 16,50 Euro.

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Vorgeschichte eines Verbrechens

Birdy und Angel, zwei Mädchen aus der Arbeiterklasse, sind in Myles verliebt, einen Burschen aus wohlhabendem Haus. Angel glaubt, ältere Anspruchsrechte auf ihn zu haben, und als sie merkt, dass Myles sie betrügt, beginnt ein Eifersuchtsdrama mit tödlichem Ausgang. Gewohnt einfühlsam und vor der malerischen Kulisse von Rhode Island erzählt Stewart O’Nan die Vorgeschichte des Verbrechens. Ein schönes, trauriges Buch über Liebe, Gewalt und Verrat in einer Welt, in der auch für ganz junge Frauen der soziale Aufstieg nur über einen Mann denkbar scheint. (Johanna Grillmayer, ORF.at)

Stewart O’Nan: Ocean State. Aus dem Englischen von Thomas Gunkel. Rowohlt, 256 Seiten, 24,95 Euro

Schule des Verbrechens

Ein Gutshaus auf Rügen. Dort, wo andere gerne Urlaub machen, ist in Cathrin Moellers Krimi „Todesglut“ eine Schule für angehende Kriminalermittler untergebracht. Mit unkonventionellen Methoden wird hier gelehrt, wie ein Mörder zu denken und den Verbrechern so das Handwerk zu legen. In den Kursen von Ex-Kommissar Henry Zornik versuchen sich die Studierenden an echten, ungelösten Fällen. Als sie dem Geheimnis einer vor Jahren verbrannten Leiche in der Stadtbibliothek von Bergen auf die Spur kommen, beginnt ein spannungsgeladenes Spiel auf Leben und Tod. (Sonia Neufeld, ORF.at)

Cathrin Moeller: Todesglut. Akademie des Verbrechens. Rororo, 528 Seiten, 12,40 Euro.

Der Serienkiller als sein eigener Geschworener

Es steht auf dem Cover, darf also gespoilert werden: Einem Serienkiller geht es nicht um die Morde an sich, sondern darum, dass ganz bestimmte Unschuldige für sie verurteilt werden. Deshalb schummelt er sich in die Jurys bei den jeweiligen Mordprozessen. Doch diesmal gerät er an den zwielichtigen Strafverteidiger Eddie Flynn, der seinen prominenten Mandanten verteidigt, koste es, was es wolle – und es kostet viel; ein Thriller, der auf Schockeffekte hin geschrieben ist. Wer die etwas abstruse Storyidee einmal geschluckt hat, wird sich über ein paar Stunden Hochspannung freuen. (Simon Hadler, ORF.at)

Steve Cavanagh: Thirteen. Aus dem Englischen von Jörn Ingwersen. Goldmann Verlag, 541 Seiten, 13,40 Euro.