Ein russischer Soldat patrouilliert in einem ukrainischen Hafen
APA/AFP/Andrey Borodulin
Ukrainische Häfen

Suche nach Weg aus Würgegriff

Mit der Blockade der ukrainischen Häfen im Schwarzen und Asowschen Meer hat Russland gleich zu Beginn des Ukraine-Krieges eine Achillesferse des angegriffenen Nachbarlandes getroffen und damit einen der größten Getreideexporteure vom Weltmarkt abgeschnitten. Die Suche nach Möglichkeiten, die Blockade zu durchbrechen, bleibt schwierig: Während Russland eine Lockerung der Seeblockade zuletzt von einer Sanktionslockerung abhängig machte, wird im Westen über neue Druckmittel – die Lieferung von Anti-Schiff-Raketen an die Ukraine – debattiert.

Nachdem bereits im März im Zuge des NATO-Gipfels in Brüssel von Beratungen die Rede war, gebe es inzwischen „eine Reihe von Staaten, die grundsätzlich zur Entsendung derartiger Raketen an die Ukraine bereit wären“, berichtete Reuters mit Verweis auf mit der Sache vertraute US-Regierungsvertreter.

Allerdings wolle niemand das als Erster tun – aus Furcht vor der russischen Reaktion, sollte ein Kriegsschiff durch eine Rakete aus den Beständen dieses Landes versenkt werden. Einer der Regierungsvertreter sagte Reuters, es gebe nun ein „gut ausgestattetes“ Land, das möglicherweise bereit sei, als Erstes zu liefern. Dann könnten andere Staaten folgen.

Reuters zufolge seien gegenwärtig zwei Raketentypen in der Diskussion. Das seien die von Boeing hergestellte Harpoon mit einer Reichweite von bis zu 300 Kilometern und die Naval Strike Missile (NSM) von Kongsberg und Raytheon Technologies mit 250 Kilometern. Dem Marineexperten Bryan Clark vom Hudson Institute zufolge wären zwölf bis 24 derartige Raketen ausreichend, um die russischen Kriegsschiffe zu bedrohen und die Regierung in Moskau zu einem Ende der Blockade zu bewegen.

Anhaltende Hindernisse und Bedenken

Russland hat nach Einschätzung des britischen Verteidigungsministeriums etwa 20 Kriegsschiffe – einschließlich U-Boote – in der Gefechtszone im Einsatz. Die russische Marine hat im Ukraine-Krieg bereits nennenswerte Verluste erlitten, insbesondere den Untergang des Raketenkreuzers „Moskwa“, des Flaggschiffs der Schwarzmeer-Flotte. Clark zufolge könnten die größeren russischen Schiffe in Gefahr sein, sollte die Ukraine fortgeschrittene Waffen erhalten und Präsident Wladimir Putin trotzdem an der Blockade festhalten: „Sie können sich im Schwarzen Meer nirgendwo verstecken.“

Früheren Angaben aus den USA zufolge gibt es mehrere Hindernisse und Bedenken bezüglich der Übergabe von mächtigeren Waffen mit einer größeren Reichweite an die Ukraine. Dazu gehören lange Ausbildungszeiten, Schwierigkeiten bei der Wartung der Systeme sowie die Sorge, dass die russischen Streitkräfte deren habhaft werden könnten. Zudem wird eine Eskalation des Konflikts befürchtet. Dazu kommen technische Schwierigkeiten, da etwa die Harpoon eigentlich nicht für den Abschuss von Land vorgesehen ist.

Russland stellt Bedingungen

Russland hat eine mögliche Öffnung ukrainischer Häfen für die Ausfuhr von Getreide indes an eine Teilaufhebung der westlichen Sanktionen gegen Moskau geknüpft. „Wenn unsere Partner eine Lösung erreichen wollen, dann müssen auch die Probleme gelöst werden, die mit einer Aufhebung jener Sanktionen verbunden sind, die dem russischen Export auferlegt wurden“, sagte der russische Vizeaußenminister Andrej Rudenko der Agentur Interfax zufolge am Donnerstag.

Die internationale Gemeinschaft fordert seit Wochen von Russland, den Export von ukrainischem Getreide zu ermöglichen. „Russland muss den sicheren Export von in ukrainischen Häfen gelagertem Getreide zulassen“, sagte UNO-Chef Antonio Guterres zuletzt bei einem von den USA abgehaltenen Außenministertreffen bei den Vereinten Nationen in New York.

Nach deutschen Angaben blockiert Russland in der Ukraine die Ausfuhr von 20 Millionen Tonnen Getreide, ein Großteil davon im Hafen von Odessa. Guterres sagte weiter, es sei notwendig, den extrem wichtigen Getreideproduzenten Ukraine wieder auf den Weltmarkt zu bringen – genauso wie von Russland und Belarus produzierte Lebens- und Düngemittel. Der von Russland begonnene Krieg drohe, viele Millionen Menschen in eine Ernährungsunsicherheit zu stürzen und eine Krise auszulösen, „die Jahre andauern könnte“. Zusammen produzieren die Ukraine und Russland laut Guterres fast ein Drittel des Weizens und der Gerste der Welt und die Hälfte des Sonnenblumenöls.

Christian Wehrschütz zur Lage in Odessa

Osteuropa-Korrespondent Christian Wehrschütz beschreibt die Lage in der Region der ukrainischen Schwarzmeer-Stadt Odessa.

Exporte um zwei Drittel gesunken

Während vor der russischen Invasion um die 90 Prozent der ukrainischen Getreideexporte über die nun blockierten Seehäfen erfolgten, hat das Land offenbar andere Wege gefunden, zumindest einen Teil weiter auszuführen. Offiziellen Angaben zufolgte hat die ukrainische Getreideausfuhr im Mai bisher rund ein Drittel der Menge des Vorjahres erreicht. Zunächst seien 643.000 Tonnen exportiert worden, teilte das ukrainische Landwirtschaftsministerium am Donnerstag mit. Darunter seien etwa 617.000 Tonnen Mais und 16.000 Tonnen Weizen. Im Mai 2021 seien dagegen 1,8 Millionen Tonnen Getreide ins Ausland geliefert worden. Wie es nun transportiert wurde, gab das Ministerium nicht bekannt.

Ausweichhafen Constanta

Als wichtiger Umschlagplatz für ukrainische Agrarprodukte wurde zuletzt verstärkt der rumänische Schwarzmeer-Hafen Constanta genannt. Ein erstes Schiff mit 70.000 Tonnen ukrainischem Mais hat den Scharzmeer-Hafen erst vor wenigen Tagen verlassen – weitere werden laut Medienberichten beladen. In den Fokus rücken dabei auch Transportalternativen auf dem Landweg: Nicht nur eine derzeit stillliegende Eisenbahnstrecke zum Hafen Constanta solle reaktiviert werden – EU-Plänen zufolge sei auch die Lieferung von bis zu 20 Millionen Tonnen Agrarprodukten auf dem direkten Landweg nach Europa angedacht.

Schiff mit Getreide im rumänischen Constantia
Reuters
Der Krieg hat Constanta zu einem wichtigen Umschlagplatz für den Export von ukrainischem Getreide gemacht

Nachdem man schon im März damit begonnen habe, Hilfsgüter über eine „Schienenbrücke“ in die Ukraine zu bringen, sei man jetzt dabei, „eine ‚Schienenbrücke‘ dahingehend zu befähigen, künftig große Mengen an Agrarprodukten zu Häfen an der Nordsee und der Adria zu transportieren“, sagte ARD-Angaben zufolge der deutsche Verkehrsminister Volker Wissing. Offen bleibt freilich, wie viele Transporte auf welchen Strecken überhaupt möglich wären, wobei der Chef der Deutschen Bahn, Richard Lutz, laut ARD sagte: „Wenn bisher 90 Prozent des Getreides über die Seehäfen exportiert wurden, wird man an Kapazitätsgrenzen auf der Schiene kommen.“