Bereits zu Beginn der Offensive im Februar stieß die russische Armee auf heftigen Widerstand der Bevölkerung. So versuchten Einwohner und Einwohnerinnen laut Berichten etwa die Straßen für Militärfahrzeuge zu blockieren. Ukrainische Fahnen waren in der ganzen Stadt zuhauf zu sehen. Auch Massenproteste wurden veranstaltet. Schließlich gingen die Russen gegen die antirussischen Proteste vor. Der Widerstand war gezwungen, sich neu zu formieren, neue Gruppierungen entstanden, wie die BBC schreibt.
Laut dem US-Thinktank Institute for the Study of War sind in der Region zumindest seit Mitte März ukrainische Partisanen und Partisaninnen tätig. Laut dem ukrainischen Militärgeheimdienst wurden von 20. März bis 12. April 70 russische Soldaten während Nachtpatrouillen von den Partisanen und Partisaninnen getötet.
Bürgermeister: Kooperation mit Geheimdienst und Militär
Laut den Angaben führen diese Widerstandsgruppen weiterhin Attacken auf die russischen Besatzer durch. So wurde laut BBC letzte Woche ein gepanzerter russischer Zug zum Entgleisen gebracht. Tage zuvor wurden zwei russische Soldaten tot auf der Straße gefunden. Letzten Monat wurde eine Brücke nahe Melitopol gesprengt – sie war wichtig für den Nachschub der russischen Streitkräfte.
Auch der Bürgermeister von Melitopol, Iwan Federow, sieht organisierte Widerstandsgruppen hinter den Attacken. Er geht von einer Zusammenarbeit der Partisanen mit dem ukrainischen Militär und dem ukrainischen Geheimdienst aus. „Sie erledigen diese Arbeit gemeinsam“, so Federow im Interview mit der BBC. Federow selbst war von den russischen Streitkräften entführt worden. Er kam später in einem Gefangenenaustausch wieder frei.
Breiter Widerstand mit zivilem Ungehorsam
Die russische Armee versucht den Widerstand zu brechen. Häuser würden durchsucht, Menschen verhaftet, die Aktionen seien willkürlich, heißt es laut BBC von Einwohnern und Einwohnerinnen. Neben dem Bürgermeister wurde etwa auch der Chef der Feuerwehr von Melitopol, Boris Kleschew, entführt. Zwei Wochen gab es kein Lebenszeichen vom ihm. Dann tauchte auf einem prorussischen Telegram-Kanal ein Video auf, das ihn und weitere gefangene ukrainische Männer zeigt. Sie gestanden darin – offenbar unter Druck –, Informationen über russische Truppenbewegungen an das ukrainische Militär weitergegeben zu haben.
Der Widerstand in Melitopol ist allerdings viel breiter als etwa nur die militärisch tätigen Gruppierungen. Laut Switlana Salisezka, einer ukrainischen Journalistin in Melitopol, befinden sich „90 Prozent der Einwohner und Einwohnerinnen im Widerstand“ und „leisten Widerstand auf ihre Art“ – sie üben sich etwa in zivilem Ungehorsam.
Böse schauen, Weitergabe von Information
So würden etwa Poster mit der ukrainischen Flagge sehr zum Unmut der russischen Besatzer in den Straßen plakatiert, andere sängen in der Nacht patriotische Lieder, wiederum andere würden die russischen Soldaten immer hasserfüllt und böse anstarren, so Salisezka weiter. Auch würden einige Informationen über russische Militärbewegungen weitergeben.
Bereits zu Beginn der russischen Invasion im Februar wurden Massenproteste gegen die russische Armee organisiert. Menschen gingen regelmäßig mit ukrainischen Flaggen auf die Straßen und skandierten „Melitopol ist ukrainisch“. Die russischen Streitkräfte seien entsetzt gewesen, dass die Bevölkerung sie nicht mit offenen Armen empfangen habe, heißt es weiter. Die Soldaten hätten offenbar ernsthaft geglaubt, sie würden als Befreier begrüßt.
Charmeoffensive des russischen Militärs
Wenige Wochen nach dem Einmarsch versuchten die Russen den Widerstand ganz zu ersticken. Dazu wurde die russische Nationalgarde, die Rosgwardija, eine Art Gendarmerie, in Melitopol stationiert und gegen den Widerstand eingesetzt. Sie begann damit, die Proteste aufzulösen und Menschen zu verhaften.
Entführung Fedorows als „Exempel“
Der Bürgermeister von Melitopol, Iwan Fedorow, hat in Davos eine Ausstellung über russische Kriegsverbrechen seit Beginn der Invasion in der Ukraine besucht und dabei über seine eigene Entführung durch russische Soldaten Anfang März berichtet. Seine Gefangenschaft habe ein Exempel statuieren sollen, um die Bevölkerung einzuschüchtern. Er wurde nach fünf Tagen gegen den Austausch von neun Russen wieder freigelassen.
Doch die russischen Truppen in Melitopol bemühten sich auch anders als in anderen besetzten Gebieten und Städten, um die Bevölkerung zu werben, wie die BBC mit Verweis auf eine nicht namentlich genannte Einwohnerin schreibt. Sie versuchten sich mit Hilfsleistungen und Freundlichkeit der von Russland unterdrückten ukrainischen Bevölkerung anzudienen, so die Frau weiter.
Druck und Gewalt weiterhin Mittel der Wahl
Doch hinter der „menschlichen“ Fassade würden die Russen,
um den Eindruck von Normalität entstehen zu lassen, weiterhin jeden, der sich gegen die russischen Streitkräfte wendet, zumindest mundtot machen. So wurde etwa die Betreiberin einer Website mit Druck gegen ihre Familie bzw. der Entführung ihres Vaters gefügig gemacht und zur Zusammenarbeit mit den russischen Militärmachthabern in Melitopol gezwungen, wie die BBC weiter berichtet. Erst nachdem sie die Website offiziell aufgegeben hatte, wurde ihr Vater freigelassen, heißt es weiter.