Gerhard Nogratnig im U-Ausschuss im ÖVP Untersuchungsausschuss
ORF.at/Lukas Krummholz
ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss

Beamter sprach über „Erdbeben“ in Justiz

Im ÖVP-U-Ausschuss ist am Dienstag die Justiz im Fokus gestanden – konkret das Ministerium. Justizsektionschefin Barbara Göth-Flemmich und Abteilungsleiter Gerhard Nogratnig standen Rede und Antwort. Nogratnig ist für Personalmanagement bei Gerichten und Staatsanwaltschaften zuständig, zudem ist er in Suspendierungen wie im Fall des langjährigen Justizsektionschefs Christian Pilnacek involviert. Entsprechend viele Fragen kamen auf, Nogratnig beschrieb ein „Erdbeben“ in der Justiz.

Der ÖVP ging es bei den von ihr veranlassten Ladungen (Nogratnig wurde zusätzlich von NEOS geladen) zentral darum herauszuarbeiten, dass es seitens Pilnaceks oder der von der Opposition georteten „ÖVP-Netzwerke“ zu keiner politischen Einflussnahme auf die Justiz gekommen sei. Vielmehr warf die ÖVP Ministerin Alma Zadic (Grüne) Einflussnahme vor. Die Opposition war sich dazu einig: Der ÖVP gehe es einzig und allein darum, „ihr Narrativ“ herauszuarbeiten.

Zu einem „System Pilnacek“ oder „ÖVP-Netzwerken“ in der Justiz habe sie „überhaupt keine Wahrnehmung“, wie Pilnaceks Nachfolgerin Göth-Flemming angab und gleich zweifach betonte: „Jemand in der Justiz, der sich klar in die eine oder andere Richtung definieren würde, hätte kein Standing (in der Justiz, Anm.).“ Abteilungsleiter Nogratnig wiederum gab sich zu Bestellungsvorgängen im Ministerium durchaus auskunftsfreudig.

„Nicht wie Pilnacek sich das vorgestellt hat“

Hinsichtlich der Verwerfungen zwischen Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) und Oberstaatsanwaltschaft (OStA) sah Nogratnig das BVT-Verfahren als wesentliche Ursache. Es sei nicht so gelaufen, wie sich Pilnacek das vorgestellt habe, berichtete der Beamte. Das habe wiederum zu einer „Verstimmung“ geführt – danach seien Dienstbesprechungen „eskaliert“.

Er sei immer wieder mit „Ausläufern dieses Erdbebens“ befasst gewesen, so Nogratnig. Auch das (aus seiner Sicht) Grundproblem benannte er: So sei es „nie zu einer strukturierten Aufarbeitung“ des Verfahrens gekommen („eine innere organisatorische Aufarbeitung hat nie stattgefunden“). So habe sich das Verhältnis zwischen WKStA und OStA zusehends verfahren.

Gerhard Nogratnig im U-Ausschuss im ÖVP Untersuchungsausschuss
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Nogratnig bei seiner Ankunft im Vorfeld der Befragung

Gefragt wurde Nogratnig umfassend zur Bestellung der Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs (OGH), Eva Marek, zur Leiterin der Oberstaatsanwaltschaft Wien im Jahr 2014 – diese war erfolgt, obwohl sie nicht Erstgereihte war. Die Bewerbung Mareks sei damals für ihn jedenfalls „überraschend“ gewesen, so Nogratnig. Was dazu geführt habe, dass sie sich beworben habe, konnte Nogratnig nicht festmachen.

Umreihungen? „Bis zu zehn Fälle“ binnen fünf Jahren

Hier fragte Grünen-Mandatar David Stögmüller weiter: Die Begutachtungskommission sei mit den Bewerbungen befasst worden, das Gutachten sei dann dem damaligen ÖVP-Justizminister Wolfgang Brandstetter referiert worden, dieser habe dann entschieden. Stögmüller wollte wissen, wie oft es vorkam, „dass ein Minister die Reihung der Personalkommission über den Haufen warf“.

„Bis zu zehn Fälle“ seien das binnen fünf Jahren (etwa 2012 bis 2017) gewesen, wie viele unter Brandstetter, konnte Nogratnig nicht sagen. So ein Abgehen von der Reihung gebe es aber öfter, in den Kommissionen säßen ja auch Leute, die „nicht dienstrechtlich affin“ seien, so Nogratnig. Das führe die Kommission ja ad absurdum, meinte Stögmüller dazu und fragte, ob es politische Weisungen gab. „Mir gegenüber war das nie politisch begründet“, so Nogratnig.

Vorreihung mit „strafrechtlicher Expertise“ begründet

Bei Marek habe sich der Minister geäußert, dass sie die bessere Wahl sei – politisch begründet wurde bzw. werde da freilich nichts, so Nogratnig. Brandstetter habe Mareks Vorreihung „mit einer ausgeprägten strafrechtlichen Expertise“ begründet. Die anderen Bewerberinnen und Bewerber hätten das „auch vorweisen können, allerdings nicht auf höchstgerichtlicher Ebene“ (wie bei Marek der Fall). Wann ihm dann erstmals untergekommen sei, dass es sich um eine politische Bestellung gehandelt haben soll, konnte die Auskunftsperson nicht sagen.

Auch NEOS-Fraktionschefin Stephanie Krisper fragte zu dem Komplex und wollte wissen, wieso Personalentscheidungen (des Ministers) offiziell nicht dokumentiert werden. „Ein Argument sollte doch verschriftlicht werden, damit alles transparent ist“, so Krisper. Ob das nicht heikel sei? Die Begründung müsse darstellbar sein, so Nogratnig. Personalentscheidungen seien letztlich „Ermessensfragen“.

„(…) SPRICH Nittel und Vrabl verhindert werden müssen“

Hintergrund: Im Gegenzug für die Aufgabe des besser bezahlten Jobs als OGH-Richterin soll sich Marek erwartet haben, zwei Jahre später mit der Leitung der Generalprokuratur belohnt zu werden (was Marek bei ihrer Befragung im U-Ausschuss bestritt). Als sie dort 2016 nicht zum Zug kam, soll sie sich erbost an Brandstetter gewandt haben: „DANKE für das Einhalten unserer Gespräche und dass ich Dir aus einer ausweglosen Situation helfen durfte. SPRICH (Marie-Luise, Anm.) Nittel und (Ilse-Maria) Vrabl(-Sanda) verhindert werden müssen.“

Stephanie Krisper (NEOS)
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Krisper fragte Nogratnig zu Bewerbungen

„In der Justizfamilie wollen immer alle alles wissen“

Krisper fragte auch zu Bewerbungen generell. Für das Auswahlverfahren des Europäische Staatsanwalts habe sich etwa Pilnacek interessiert, so Krisper. Dieser sei in einer Kommission gesessen, das Interesse sei also dienstrechtlicher Natur gewesen, weil ja alle an einem fundierten Bewerberfeld Interesse gehabt hätten. „In der Justizfamilie wollen immer alle alles wissen“, so Nogratnig. Doch gäbe es für solche Auskünfte keine Grundlage.

„Schmuddel-Dingsbums“

Auch wurde Nogratnig von den Grünen zu Notizen über Problemfelder mit anderen Justizbehörden – also konkret der WKStA – befragt (Stögmüller sprach von einem „Schmuddel-Dossier“). Die OStA solle alle störenden Faktoren zusammenschreiben, sei der Ratschlag gewesen („Bringts es einmal zu Papier, was euch stört“). Das sei aber nicht als „Schmuddel-Dingsbums“ gemeint gewesen, wie Nogratnig sagte, er habe das formlos geraten. Die Idee sei einfach gewesen, eine handfeste Grundlage zu haben. Wieso das nicht der Gegenseite, also der WKStA, geraten worden sei? „Das hätte ein nächster Schritt sein können“, verteidigte Nogratnig.

„Spezialservice“ für Pilnacek?

SPÖ-Fraktionsführer Kai Jan Krainer fragte zu einer Anzeige gegen Pilnacek aufgrund einer Weisung. Die Wahrnehmung, wonach Pilnacek vorab davon erfahren hatte, habe er nicht gehabt, so Nogratnig. Dass der Leiter der OStA Wien, Johann Fuchs, Pilnacek von der Anzeige gegen ihn informierte, sei wohl ein „Spezialservice“, so Krainer. So eine Vorinformation sei jedenfalls nicht üblich, das würde den Rahmen in der Justiz auch sprengen, so Nogratnig dazu. Konkrete Wahrnehmungen hatte er dazu aber nicht. Für Pilnacek, wie für alle anderen, gegen die ermittelt wird, gilt die Umschuldsvermutung.

Auch thematisierte Krainer einen Chat zwischen Fuchs und Pilnacek über den Staatsanwalt, der ein „Depp“ sei und den man der WKStA wünsche. Zum konkreten Fall habe er keine Wahrnehmung, so Nogratnig. Ob das Mobbing sei? Er habe das im konkreten Fall geprüft, aber Mobbing liege nicht vor, sei es doch um einzelne Äußerungen in einem Chat gegangen. Man habe den Betroffenen auch gefragt, ob mehr dahinter sei, das sei aber nicht der Fall gewesen.

Kai Jan Krainer (SPÖ)
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Krainer brachte den „Depp“-Chat zwischen Fuchs und Pilnacek auf

Auch Schützenhöfer „Erfindung“ Pilnaceks?

FPÖ-Fraktionsführer Christian Hafenecker fragte zur Justizbetreuungsagentur, in deren Aufsichtsrat die Auskunftsperson sitzt. Das sei eine Personalvermittlungsagentur der Justiz, die zunächst vor allem für den Vollzugsbereich Personalien angeboten hat – die seien anders nicht gefunden worden. Heute stelle sie auch für andere Justizbereiche Personal zur Verfügung. Chef der Agentur wurde 2014 Thomas Schützenhöfer, der Sohn des steirischen Landeshauptmanns, 2019 wurde sein Vertrag verlängert. Ihm schrieb Pilnacek, als es um den Job seiner Frau ging.

Hafenecker wollte wissen, welches Verhältnis Pilnacek zu ihm hatte. Schützenhöfer sei lang im Kabinett gewesen, daher werde ihn Pilnacek gekannt haben, so Nogratnig. Ob auch Schützenhöfer „eine Erfindung Pilnaceks“ (in einem Chat bezeichnete Pilnacek Göth-Flemmich als seine „Erfindung“) gewesen sei? Das könne er nicht sagen, der Bewerberkreis für den Job sei aber auch sehr überschaubar gewesen. Der Aufsichtsrat sei in den Auswahlprozess nicht eingebunden gewesen, nominiert werde der Manager vom Minister, der Aufsichtsrat schließe dann den Vertrag ab.

Fragen zu „Mascherlposten“

Auch machte Hafenecker die vielfach besagten „Mascherlposten“ der Justiz zum Thema. Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) hat einen solchen bei der WKStA inne. Sie hatte sich dort für eine Planstelle beworben und diese auch bekommen – dann aber nicht aus dem Ministerium in die WKStA gewechselt. Ob es stimme, dass man manchen Personen sage, sich lieber nicht für eine bestimmte Stelle zu bewerben? Nogratnig konnte dazu nichts sagen – nur so viel: Es habe mit Sicherheit Leute gegeben, die sich über solche Erlebnisse beschwert hätten.

„Mich beeinflusst niemand“

ÖVP-Mandatar Peter Weidinger fragte zu Kommissionen für Personalbesetzungen, in denen die Auskunftspersonen Mitglied ist. „Mich beeinflusst aber niemand, wenn ich in einer Kommission sitze“, sagte er dazu. Das seien Dinge im Leben, die halt so sind und mit denen man lebt: „Es gibt immer wieder Wünsche, solche Dinge kommen vor im Personalgeschäft“, so Nogratnig. Auch Parteien würden versuchen, Personen auf ihre Seite zu ziehen, ein Beispiel dazu nennen konnte er aber nicht.

Ob Ministerin Zadic auch Reihungen übergangen habe? Der Mandatar legte eine Mail an Pilnacek vor, in der es hieß, dass man viel verhindert habe – aber dazu konnte die Auskunftsperson nichts sagen. Ob er „Teil der Verhinderungen gewesen“ sei, wie Weidinger erfragte, verneinte die Auskunftsperson entsprechend.