Weizen
Reuters/Vincent Mundy
Russische Blockade

Suche nach Wegen für ukrainisches Getreide

Der Krieg in der Ukraine hat den Export von Getreide praktisch vollständig zum Erliegen gebracht. Der Vorwurf lautet nun immer häufiger, Russlands Präsident Wladimir Putin würde die Blockade ukrainischer Exporte gezielt als „Waffe“ einsetzen, um Versorgungskrisen zu provozieren. Nachdem der Transport über den Seeweg praktisch ausfällt, gestaltet sich die Suche nach Alternativen schwierig.

Die Ukraine ist einer der wichtigsten Produzenten etwa von Weizen und Mais weltweit, viele andere Länder sind auf Lieferungen aus der Ukraine angewiesen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zog wegen der russischen Blockade der Exporte am Dienstag Parallelen zur Sowjetzeit. Russland zerstöre gezielt Lager, blockiere den wichtigen Seehafen von Odessa, damit das dort lagernde Getreide nicht verschifft werden könne. „Es ist beschämend.“

„Das erinnert einige an eine dunkle Vergangenheit – die Zeiten der sowjetischen Beschlagnahme der Ernten und der verheerenden Hungersnot der 1930er Jahre“, so von der Leyen auf dem Weltwirtschaftsforum im Schweizer Davos. Russlands Präsident Putin nutze „den Hunger als Instrument der Macht“.

Folgen weit über Europa hinaus

In ukrainischen Häfen, allen voran im größten in Odessa, liegen Millionen Tonnen Getreide in den Silos, die nicht exportiert werden können, weil die russische Marine die Ausfahrt blockiert. Hauptabnehmer sind normalerweise Länder im Nahen Osten und Nordafrika, wo sich vereinzelt bereits eine Verschärfung der ohnehin bestehenden Versorgungskrise abzeichnet.

Ein Bauer mit einem Traktor auf einem Getreidefeld
Reuters/Thomas Peter
Viele landwirtschaftliche Flächen fallen durch den Krieg aus

Die Regierung in Moskau kontert Vorwürfe mit dem Argument, dass die westlichen Sanktionen gegen Russland für die steigenden Preise und die Nahrungsmittelkrise verantwortlich seien. Vor dem russischen Überfall am 24. Februar war die Ukraine einer der wichtigsten Exporteure von landwirtschaftlichen Produkten. Über ihre Häfen wurden pro Monat an die 2,5 Mio. Tonnen davon exportiert, darunter zwölf Prozent des weltweit angebauten Weizens, 15 Prozent der globalen Exportmenge an Mais, bei Sonnenblumenöl lag der Anteil bei rund 50 Prozent.

Straße, Schiene, Donau als schwierige Alternative

Nun wird nach Möglichkeiten gesucht, Getreide an der russischen Blockade vorbei aus dem Land zu bekommen. „Wir schauen uns alle möglichen Optionen an“, sagte der britische Verkehrsminister Grant Shapps am Montag. Er habe darüber mit dem ukrainischen Infrastrukturminister Olexander Kubrakow gesprochen.

Neben einer potenziell gewaltsam durchgesetzten Verschiffung des Getreides aus den blockierten Häfen gäbe es nur die Möglichkeit eines Transports über die Straße, die Schiene oder die Binnenschifffahrt. Die Variante einer Verschiffung über die Donau war schon mehrfach angesprochen worden.

„Solidaritätskorridore“ öffnen

Russland ist laut eigenen Angaben bereit, einen humanitären Korridor für Schiffe mit Lebensmitteln, die die Ukraine verlassen sollen, einzurichten, wie der russische Vizeaußenminister Adrej Rudenko laut Interfax am Mittwoch sagte. Konkretere Angaben machte er allerdings nicht.

Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) sicherte dem Aktionsplan der EU-Kommission zu alternativen Verkehrswegen („Solidaritätskorridoren“) für den Handel Österreichs Unterstützung zu. Die Versorgungssicherheit auch für die Ukraine sei ein „zentrales“ Thema, sagte Totschnig vor seinem ersten Treffen mit den EU-Amtskollegen am Dienstag in Brüssel. „Wir unterstützen diese Initiative“, sagte er. Nun gehe es darum, wie die Koordinierung „optimal“ erfolgen könne.

Ungleich schwieriger

Alternativen sind allerdings rar. Die Ukraine hatte kürzlich von der internationalen Staatengemeinschaft sicheres Geleit zum Export von Getreide gefordert und erklärt: „Es würde uns fünf, sechs, sieben Jahre kosten, all das Getreide über Straße oder Schiene zu transportieren“, zitierte die BBC die stellvertretende Ministerpräsidentin Julia Swyrydenko. „Deshalb ist es jetzt so wichtig für uns, die Häfen freizubekommen.“

Neue Fluchtbewegung als Kalkül?

Ein Vorwurf, der zuletzt immer wieder laut geworden war, ist der, dass Russlands Präsident Putin die Blockade ganz gezielt als „Waffe“ bzw. Druckmittel gegen den Westen einsetze. Der frühere deutsche Botschafter in Russland, Rüdiger von Fritsch, sagte am Wochenende gegenüber dem „Tagesspiegel“, der russische Präsident wolle Hungerkrisen im Nahen Osten und Afrika auslösen. Ziel sei es, Europa durch Flüchtlingsbewegungen zu destabilisieren. „Putins Kalkül“ bestehe darin, dass nach dem Zusammenbruch der Getreidelieferungen Menschen versuchen werden, nach Europa zu kommen.

„Mit neuen Flüchtlingsströmen will er Europa destabilisieren und politischen Druck aufbauen, damit westliche Staaten ihre harte Haltung gegen Russland aufgeben. Das ist seine neue hybride Kriegsführung“, sagte von Fritsch. Ähnlich am Dienstag Polens Präsident Andrzej Duda auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Bei einer derart gelagerten Krise in Nordafrika würden „Spanien und ganz Südeuropa ein großes Migrationsproblem bekommen“. Wenn die Häfen nicht geöffnet würden, wäre das eine „Kriegserklärung“ gegen die globale Versorgungssicherheit, sagte David Beasley vom World Food Programme (WFP). In diesem Fall würde die Welt einem „Sturm“ entgegensehen.