Manchmal ist an kleinen Orten die ganze Kulturgeschichte einer Epoche verborgen. So etwa in einem einstigen, kleinen Wiener Cafe auf dem Wiener Kohlmarkt, das den Namen „Cafe Arabia“ hatte und mittlerweile durch eine Boutique ersetzt ist. Der Umgang Österreichs mit den jüdischen Emigranten ist darin ebenso verborgen wie der Versuch, nach Weltkrieg und Nazi-Zeit einen genuin österreichischen Ansatz gegenüber den Entwicklungen der Moderne zu finden. Und nicht von ungefähr ist es der späte Oswald Haerdtl, dessen Oeuvre zwar schon rund um Bauten wie der Werkbund-Siedlung beginnt, der diesem Cafe samt der zugehörigen Marke ihr Erscheinungsbild verpasste. An die Klarheit der Moderne knüpft man an, aber man deutet die Moderne auch nie zu radikal aus.
Die Ausstellung „Endlich Espresso! Das Cafe Arabia am Kohlmarkt“ erzählt eigentlich eine Art österreichische Version von „Mad Man“, weil man die Frage von Produktidentität mit den Sehnsüchten einer Epoche zu verknüpfen weiß. Es ist die Paarung aus dem jüdischen Entrepreneur Alfred Weiss, der vor dem Einmarsch der Nazis bereits eine Kaffeemarke aufgebaut und diese nach dem Exil durch das eigene aktive Betreiben wieder zurückerstattet bekommen hatte, dem Architekten und Designer Haerdtl, der die Sprache der klassischen Moderne in Österreich entscheidend mit geprägt hatte, der sich aber auch während der Nazi-Zeit mit Projekten arrangiert hatte, und dem Designer Joseph Binder, der nach dem Krieg nicht mehr dauerhaft aus dem Exil zurückkehren wollte.
Joseph Binder und das österreichische Produktdesign
Binder ist neben Julius Klinger sicher Österreichs wichtigster Grafikdesigner aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Von Meinl über Ankerbrot und Kaiser Borax bis Semperit hat Binder die Identität gerade typisch österreichischer Marken geprägt.
Und er entwarf vor und dann auch nach dem Krieg die Identität der Kaffeemarke Arabia – freilich Teils mit bildlichen Gestaltungselementen, wie etwa den „Arabia-Mann“ mit dem Turban, die man in den 2020er Jahren so nicht mehr einsetzen würde. Das vom „Atelier Binder, Wiener Grafik“ in den 1920er Jahren entworfene Logo für Meinl mit dem „Meinl Mohren“ wurde ja jüngst abgeändert.

„Immer frisch“
Die Weiterentwicklung der Marke Arabia nach 1945 erzählt von einem neuen Konsumverhalten im Kalten Krieg und in der Zeit des Wiederaufbaus. Klarere Farben, klarere Formen und ein zentraler Slogan, „Immer frisch“, sollten den Kommunikationskern von Arabia bilden. „Werbedesign muss voll und ganz dem Produkt entspringen, die Aufmerksamkeit fesseln und den Verwendungszweck suggerieren“, hielt Binder fest: „Das Hauptprodukt von Arabia ist Kaffee.“
Espresso oder Kaffeehaus?
1955 gab es 935 Kaffeehäuser und 32 Espressi. Vierzig Jahre später zählte man in Wien 1.083 Espressi.
Für die 1950er Jahre wurde für Binder eine noch stärkere Leitführung über Farben und Typografien wichtig, wie man das aus der Gegenwart von renommierten Brand-Designern kennt. Die Arabia-Figur ist entsprechend aus den Schenkeln des Letters A abgeleitet und taucht in unterschiedlichen Kontexten in großer Reduktion auf. Die Farbschemen sollten wiederum die Wiedererkennbarkeit garantieren, Neugierde, Exotismus und Exklusivität verbinden. Gelb, Rot und Grün spielten eine zentrale Rolle im Arabia-Design.
Die Bar als Erlebnisraum
Die Geschäftslokale wiederum waren von der italienischen Bar inspiriert, die Weiss ja auf seiner Flucht vor den Nazis in Italien kennengelernt hatte. Und sie sollten sich deutlich von den Wiener Cafes unterscheiden. Der schnell zu habende Genuss und nicht das lange Verweilen, vor allem aber das Erlebnis standen bei den Geschäftslokalen im Vordergrund. Im Mittelpunkt dieser Lokale auch: der neue Altar, die verchromten italienischen Espressomaschinen, die sich mit ihren Lärm sogar im damaligen Filmschaffen niederschlugen. Der Film „Herr Ober!“, der im Rahmen der Ausstellung ausschnittsweise anzitiert wird, reflektiert das Eindringen einer neuen Kultur. Die Maschine zischt laut, und der zischende Hans Moser versteht sein eigenes Wort nicht mehr.

Unter den Kaffeesiedern sollte Weiss nicht nur Freunde haben. Doch er expandierte. Neben dem Espresso auf dem Wiener Kohlmarkt errichtete er eine Hauptfiliale im barocken Palais Auersperg, ebenso gab es Pavillons für Arabia etwa auf der Wiener Messe. Weiss war sicher nicht der Erste, der den Espresso nach Wien brachte. Aber gemeinsam mit Haerdtl und Binder verband er die Sehnsucht nach einer neuen Konsumform mit einer Stilfrage. Und die erzählt sehr viel von der Wiener Moderne nach 1945, auch deren Rückgriffe auf Elemente der Zwischenkriegszeit. Und auch über eine am Ende doch auch immer moderate Ausführung von Stilfragen. Bei Haerdtl kommt am Ende immer der Josef-Hoffmann-Schüler durch, wie auch der wunderschön gestaltete Katalog zur Schau, herausgegeben von Sabine Apostolo und dem „Standard“-Journalisten Michael Freund, zeigt.
Hinweis
Die Schau zu Alfred Weiss und dem Cafe Arabia läuft bis 22. Oktober im Jüdischen Museum Wien. Begleitend ist ein großartiger kulturhistorischer Katalog erschienen mit Beiträgen von Sabine Apostolo, Anita Kern und Michael Freund.
Das verschämt verschwiegene Exil
Weiss wurde für seine Expansion auch immer wieder mit antisemitischen Angriffen und vor allem Untertönen konfrontiert. Aus dem „kleinen Jüngel mit der eingewurzelten Sehnsucht nach Arabien wurde ein erwachsener Mann“, liest man in einer „Würdigung“ von Weiss. Zahlreiche Stereotype wurden gegen den Unternehmer in Stellung gebracht. Und bei allen Ehrungen, die man Weiss in der Zweiten Republik zukommen ließ, wurde seine Flucht vor den Nazis stets elegant ausgeklammert. Dass man das Exil als eine Form der „Reise“ auf der Entwicklung zum reifen Mann charakterisierte, spricht für Österreichs Umgang mit seiner eigenen Vergangenheit.
„Endlich Espresso“ im Jüdischen Museum
Das Wiener Jüdische Museum widmet mit „Endlich Espresso“ der erfolgreichen Geschichte des Kaffehändlers Alfred Weiss eine Ausstellung. 1951 eröffnete er mit dem „Cafe Arabia“ das erste italienische Espresso in Wien.
Es ist der Enkel Andrew Demmer, wie sein Großvater mit eigener Teekette und der Repositionierung einer Wiener Brötchenfirma, erfolgreich im Genussbereich positioniert, der gemeinsam mit dem Jüdischen Museum die Entwicklung einer für Österreich ikonisch gewordenen Marke vor dem Vergessenwerden bewahrt. „Verschwundene Kapitel der jüdischen Kultur wieder vor den Vorhang holen“, diesem Motto sieht Museumsdirektorin Danielle Spera auch diese Schau verpflichtet.