Arabia-Stand auf der Wiener Messer, 1949, Architekt Oswald Haerdtl
Jüdisches Museum Wien
Kultcafe „Arabia“

„Mad Men“ made in Austria

Wie man die Sehnsüchte der Konsumkultur mittels Markenkommunikation antreibt, hat die US-Serie „Mad Men“ für die 1950er bis 70er Jahre überzeugend ausgedeutet. Dass es einen Vorläufer für „Mad Men“ in Wien gibt, lässt eine Ausstellung im Jüdischen Museum der Stadt Wien entdecken. Das legendäre Cafe „Arabia“ auf dem Wiener Kohlmarkt, samt der dazugehörenden Kaffeemarke, erzählt von einem Trio, das Produktdesign, Modernismus und neues Lebensgefühl nicht erst nach 1945 entdeckt hatte. Und zugleich erzählen die österreichischen „Mad Men“ auch von Vertreibung, Mitläufertum und Antisemitismus.

Manchmal ist an kleinen Orten die ganze Kulturgeschichte einer Epoche verborgen. So etwa in einem einstigen, kleinen Wiener Cafe auf dem Wiener Kohlmarkt, das den Namen „Cafe Arabia“ hatte und mittlerweile durch eine Boutique ersetzt ist. Der Umgang Österreichs mit den jüdischen Emigranten ist darin ebenso verborgen wie der Versuch, nach Weltkrieg und Nazi-Zeit einen genuin österreichischen Ansatz gegenüber den Entwicklungen der Moderne zu finden. Und nicht von ungefähr ist es der späte Oswald Haerdtl, dessen Oeuvre zwar schon rund um Bauten wie der Werkbund-Siedlung beginnt, der diesem Cafe samt der zugehörigen Marke ihr Erscheinungsbild verpasste. An die Klarheit der Moderne knüpft man an, aber man deutet die Moderne auch nie zu radikal aus.

Die Ausstellung „Endlich Espresso! Das Cafe Arabia am Kohlmarkt“ erzählt eigentlich eine Art österreichische Version von „Mad Man“, weil man die Frage von Produktidentität mit den Sehnsüchten einer Epoche zu verknüpfen weiß. Es ist die Paarung aus dem jüdischen Entrepreneur Alfred Weiss, der vor dem Einmarsch der Nazis bereits eine Kaffeemarke aufgebaut und diese nach dem Exil durch das eigene aktive Betreiben wieder zurückerstattet bekommen hatte, dem Architekten und Designer Haerdtl, der die Sprache der klassischen Moderne in Österreich entscheidend mit geprägt hatte, der sich aber auch während der Nazi-Zeit mit Projekten arrangiert hatte, und dem Designer Joseph Binder, der nach dem Krieg nicht mehr dauerhaft aus dem Exil zurückkehren wollte.

Joseph Binder und das österreichische Produktdesign

Binder ist neben Julius Klinger sicher Österreichs wichtigster Grafikdesigner aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Von Meinl über Ankerbrot und Kaiser Borax bis Semperit hat Binder die Identität gerade typisch österreichischer Marken geprägt.

Und er entwarf vor und dann auch nach dem Krieg die Identität der Kaffeemarke Arabia – freilich Teils mit bildlichen Gestaltungselementen, wie etwa den „Arabia-Mann“ mit dem Turban, die man in den 2020er Jahren so nicht mehr einsetzen würde. Das vom „Atelier Binder, Wiener Grafik“ in den 1920er Jahren entworfene Logo für Meinl mit dem „Meinl Mohren“ wurde ja jüngst abgeändert.

Buntes Geschenkpapier mit Arabia Motiven
Jüdisches Museum Wien Katalog / Sammlung / Collection AD
Wasserfarbenentwurf für ein Geschenkpapier der Firma Arabia. Mit im Zentrum der aus dem Buchstaben A geformte Mann mit dem Turban. Der Schnitt des A kommt in dieser Figur gleich fünfmal vor.

„Immer frisch“

Die Weiterentwicklung der Marke Arabia nach 1945 erzählt von einem neuen Konsumverhalten im Kalten Krieg und in der Zeit des Wiederaufbaus. Klarere Farben, klarere Formen und ein zentraler Slogan, „Immer frisch“, sollten den Kommunikationskern von Arabia bilden. „Werbedesign muss voll und ganz dem Produkt entspringen, die Aufmerksamkeit fesseln und den Verwendungszweck suggerieren“, hielt Binder fest: „Das Hauptprodukt von Arabia ist Kaffee.“

Espresso oder Kaffeehaus?

1955 gab es 935 Kaffeehäuser und 32 Espressi. Vierzig Jahre später zählte man in Wien 1.083 Espressi.

Für die 1950er Jahre wurde für Binder eine noch stärkere Leitführung über Farben und Typografien wichtig, wie man das aus der Gegenwart von renommierten Brand-Designern kennt. Die Arabia-Figur ist entsprechend aus den Schenkeln des Letters A abgeleitet und taucht in unterschiedlichen Kontexten in großer Reduktion auf. Die Farbschemen sollten wiederum die Wiedererkennbarkeit garantieren, Neugierde, Exotismus und Exklusivität verbinden. Gelb, Rot und Grün spielten eine zentrale Rolle im Arabia-Design.

Fotostrecke mit 6 Bildern

Interieur des Arabia am Kohlmarkt
ÖNB, Foto: Lucca Chmel
Innenraum mit Hinteraltar des Arabia auf dem Kohlmarkt
Ausstellungsansicht
David Bohmann
Kein Hochamt ohne Altar. Die Siebträgermaschinen sind ab den 1950ern die Zukunft des Barkaffees.
Theke im Arabia am Kohlmarkt
Sammlung AD
Das Cafe als Erlebnisraum mit vielen Inspirationen aus Italien
Arabia-Stand auf der Wiener Messer, 1949, Architekt Oswald Haerdtl
Jüdisches Museum Wien
Oswald Haerdtls Arabia-Pavillon auf dem Terrain der Wiener Messe im Prater
Bruno Marek, Alfred Weiss und Franz Jonas vor dem Arabia Pavillon auf der Wiener Messe
Privatbesitz
Bruno Marek, Alfred Weiss und Franz Jonas vor dem Arabia-Pavillon auf der Wiener Messe
Ausstellungsansicht
David Bohmann
Typische Elemente des Cafes „Arabia“ samt Haerdtls legendären Stuhlentwürfen bei der Ausstellung

Die Bar als Erlebnisraum

Die Geschäftslokale wiederum waren von der italienischen Bar inspiriert, die Weiss ja auf seiner Flucht vor den Nazis in Italien kennengelernt hatte. Und sie sollten sich deutlich von den Wiener Cafes unterscheiden. Der schnell zu habende Genuss und nicht das lange Verweilen, vor allem aber das Erlebnis standen bei den Geschäftslokalen im Vordergrund. Im Mittelpunkt dieser Lokale auch: der neue Altar, die verchromten italienischen Espressomaschinen, die sich mit ihren Lärm sogar im damaligen Filmschaffen niederschlugen. Der Film „Herr Ober!“, der im Rahmen der Ausstellung ausschnittsweise anzitiert wird, reflektiert das Eindringen einer neuen Kultur. Die Maschine zischt laut, und der zischende Hans Moser versteht sein eigenes Wort nicht mehr.

Umschlag einer Einladung zum Arabia Espresso, 1950er
Sammlung AD
Klare Leitfarben sind der Grundpfeiler im Kommunikationsdesign von Binder

Unter den Kaffeesiedern sollte Weiss nicht nur Freunde haben. Doch er expandierte. Neben dem Espresso auf dem Wiener Kohlmarkt errichtete er eine Hauptfiliale im barocken Palais Auersperg, ebenso gab es Pavillons für Arabia etwa auf der Wiener Messe. Weiss war sicher nicht der Erste, der den Espresso nach Wien brachte. Aber gemeinsam mit Haerdtl und Binder verband er die Sehnsucht nach einer neuen Konsumform mit einer Stilfrage. Und die erzählt sehr viel von der Wiener Moderne nach 1945, auch deren Rückgriffe auf Elemente der Zwischenkriegszeit. Und auch über eine am Ende doch auch immer moderate Ausführung von Stilfragen. Bei Haerdtl kommt am Ende immer der Josef-Hoffmann-Schüler durch, wie auch der wunderschön gestaltete Katalog zur Schau, herausgegeben von Sabine Apostolo und dem „Standard“-Journalisten Michael Freund, zeigt.

Hinweis

Die Schau zu Alfred Weiss und dem Cafe Arabia läuft bis 22. Oktober im Jüdischen Museum Wien. Begleitend ist ein großartiger kulturhistorischer Katalog erschienen mit Beiträgen von Sabine Apostolo, Anita Kern und Michael Freund.

Das verschämt verschwiegene Exil

Weiss wurde für seine Expansion auch immer wieder mit antisemitischen Angriffen und vor allem Untertönen konfrontiert. Aus dem „kleinen Jüngel mit der eingewurzelten Sehnsucht nach Arabien wurde ein erwachsener Mann“, liest man in einer „Würdigung“ von Weiss. Zahlreiche Stereotype wurden gegen den Unternehmer in Stellung gebracht. Und bei allen Ehrungen, die man Weiss in der Zweiten Republik zukommen ließ, wurde seine Flucht vor den Nazis stets elegant ausgeklammert. Dass man das Exil als eine Form der „Reise“ auf der Entwicklung zum reifen Mann charakterisierte, spricht für Österreichs Umgang mit seiner eigenen Vergangenheit.

„Endlich Espresso“ im Jüdischen Museum

Das Wiener Jüdische Museum widmet mit „Endlich Espresso“ der erfolgreichen Geschichte des Kaffehändlers Alfred Weiss eine Ausstellung. 1951 eröffnete er mit dem „Cafe Arabia“ das erste italienische Espresso in Wien.

Es ist der Enkel Andrew Demmer, wie sein Großvater mit eigener Teekette und der Repositionierung einer Wiener Brötchenfirma, erfolgreich im Genussbereich positioniert, der gemeinsam mit dem Jüdischen Museum die Entwicklung einer für Österreich ikonisch gewordenen Marke vor dem Vergessenwerden bewahrt. „Verschwundene Kapitel der jüdischen Kultur wieder vor den Vorhang holen“, diesem Motto sieht Museumsdirektorin Danielle Spera auch diese Schau verpflichtet.