Kellner redet mit Kundschaften, Wien
ORF.at/Peter Pfeiffer
WKO vs. AK

Debatte über „leergefegten“ Arbeitsmarkt

Schon vor der Pandemie hat die Wirtschaft über fehlende Fachkräfte geklagt. Dieser Mangel hat sich in den vergangenen zwei Jahren verstärkt. Die Wirtschaftskammer Österreich (WKO) beobachtet bereits einen verbreiteten Arbeitskräftemangel – quer durch alle Branchen. Die Arbeiterkammer (AK) hingegen sieht bei einer Arbeitslosenquote von derzeit 7,3 Prozent keinen „leergefegten“ Arbeitsmarkt. Der Arbeitskräftemangel sei durch schwierige Arbeitsbedingungen „hausgemacht“.

Die WKO beruft sich bei ihren Einschätzungen auf eine beim Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft (ibw) in Auftrag gegebene Studie mit knapp 4.000 befragten Unternehmen. Fast drei Viertel der befragten Betriebe sind sehr stark (43,8 Prozent) oder eher stark (29,1 Prozent) von einem Mangel an Fachkräften betroffen. Gar nicht betroffen sind 16,1 Prozent.

Im Tourismus und in der Freizeitwirtschaft, zu der Hotellerie und Gastronomie gehören, sind mehr als 80 Prozent der Befragten sehr oder eher stark vom Fachkräftemangel betroffen, nur 7,8 Prozent gar nicht, zeigt die Umfrage. Damit ist diese Branche am stärksten vom Mangel erfasst. Dahinter folgen Transport und Verkehr sowie Gewerbe und Handwerk. Gerade in Tourismus und Gastronomie hat sich die Personallücke seit 2018 laut Zahlen des Arbeitsmarktservice (AMS) verdoppelt – mehr dazu in oesterreich.ORF.at.

AK: Bewusstsein für Weiterbildung fehlt

Fast drei Viertel aller befragten Firmen haben offene Stellen. Vor zwei Jahren meldeten das rund 58 Prozent. Laut WKO-Hochrechnung können derzeit 272.000 Stellen nicht besetzt werden, 2020 seien es 100.000 gewesen. Die in den Betrieben fehlenden Arbeitskräfte wirken sich laut der Umfrage mit Zusatzbelastungen für Firmenchefs und Familienangehörige aus. Die wenigsten Unternehmen setzen auf eine verstärkte Lehrlingsausbildung.

Personalnot in allen Branchen

270.000 Stellen sind es derzeit, die laut Wirtschaftskammer nicht besetzt werden können: Die Politik müsse etwas ändern.

„Die Wirtschaftskammer sollte sich besser dafür einsetzen, dass den Betrieben tatsächlich geholfen wird“, forderte AK-Sozialbereichsleiterin Silvia Hruska-Frank am Samstag in einer Aussendung. Mit der Klage über fehlende Fachkräfte würden von manchen Arbeitgebern und ihren Vertretungen oft andere Ziele verfolgt, „wie etwa das Festhalten an relativ schlechten Lohn- und Arbeitsbedingungen oder mehr Arbeitsmigration in Niedriglohnbereichen“.

Hruska-Frank kritisierte, dass vonseiten der Betriebe die Qualifizierungsförderungen zu wenig genutzt würden. Bei vielen Klein- und Mittelunternehmen sei das Bewusstsein für die Weiterbildung der Beschäftigten kaum vorhanden. Der Anteil der Unternehmen an der Finanzierung der Weiterbildung sei zwischen 2009 und 2018 von 41 auf 31 Prozent zurückgegangen, der der Arbeitnehmer von 29 auf 42 Prozent gestiegen.

Ernehelfer ernten Spargel
APA/Helmut Fohringer
Die Landwirtschaftskammer erhofft sich mit der Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte Erleichterungen für Saisonniers

Regierung will Rot-Weiß-Rot-Karte reformieren

Die Regierung will mit einer Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte gegen den Fachkräftemangel steuern. In der Begutachtung stieß der Gesetzesentwurf auf große Zustimmung. So sollen etwa der Zugang zum Arbeitsmarkt für Fachkräfte aus Drittstaaten erleichtert und Bewilligungsverfahren vereinfacht werden. Kritik gibt es unter anderem für die Differenzierung nach dem Alter bei der Vergabe der Rot-Weiß-Rot-Karte und an den fehlenden Ausführungen zur Bereitstellung personeller und finanzieller Ressourcen.

Die Landwirtschaftskammer begrüßte die Einführung einer Rot-Weiß-Rot-Karte für Saisonkräfte. Auch die geltende Stammsaisonnierregelung werde durch die Adaptierung deutlich aufgewertet und damit die Planungssicherheit sowohl für Betriebe als auch für Saisonniers erheblich verbessert. Personen, die drei Jahre als Saisonnier beschäftigt waren, können künftig zu Stammsaisonniers werden. Wer zwei Jahre als Stammsaisonnier beschäftigt war, kann eine Rot-Weiß-Rot-Karte als Stammmitarbeiter oder Stammmitarbeiterin bekommen.

Kocher: „Strukturelle Herausforderungen“

Nichtsdestotrotz gebe es „strukturelle Herausforderungen“ bei der Suche nach Beschäftigten etwa im Tourismus und im Pflegebereich, so ÖVP-Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Kocher. Der demografische Wandel und die sinkende Bereitschaft, am Wochenende zu arbeiten, würden mittel- bis langfristig Stellenbesetzungen schwieriger machen. Der Arbeitskräftemangel werde „spürbare Auswirkungen“ auf das Wachstumspotenzial haben.