Geldmünzen auf einem Formular für den Antrag der Mindestsicherung
ORF.at/Carina Kainz
Sozialleistungen

Debatte über Anpassung an Inflation

Die Preissteigerungen aufgrund der Krisen belasten insbesondere Haushalte mit geringeren Einkommen. Der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO), Gabriel Felbermayr, sprach sich am Sonntag deshalb für eine automatische Anpassung der Sozialleistungen an die hohe Inflation aus. Nach Ansicht von Wirtschaftsforschenden wäre es eine sinnvolle Maßnahme. Die Regierung zeigt sich hingegen reserviert.

Man müsse darüber nachdenken, Sozialleistungen wie Familienbeihilfe, Mindestsicherung und Pflegegeld zu indexieren, sagte der WIFO-Chef in der ORF-„Pressestunde“. Hierzulande gebe es viele Leistungen und Pauschalbeträge, die nicht an die Inflation angepasst werden. Das sei „erträglich“, wenn die Inflation unter zwei Prozent liegt. „Wenn wir jetzt 6,5 Prozent haben, im nächsten Jahr knapp vier Prozent, dann ist dieses System, wie wir es bisher haben, nicht mehr durchhaltbar. Und deswegen ist das schon ein Thema, das man ernst nehmen muss.“

Martin Ertl vom Institut für Höhere Studien (IHS) pflichtet im Gespräch mit ORF.at seinem Kollegen vom WIFO bei und bezeichnet die Maßnahme als „sinnvoll“. Die Teuerung betreffe alle Haushalte, aber besonders jene, die über niedrige Einkommen verfügen und auf Sozialleistungen angewiesen seien. Eine Indexierung wäre treffsicher, betont der Ökonom, und „im Idealfall“ werden die Sozialleistungen automatisch an die Inflation angepasst.

Regierung verweist auf „Entlastungspakete“

WIFO-Chef Felbermayr hatte sich bereits im Februar dieses Jahres für eine Indexierung ausgesprochen. Ende April merkte auch Joel Tölgyes vom Momentum Institut an, dass der Kaufkraftverlust „bei den Sozialleistungen für Haushalte, für die jeder Euro zählt, in Zeiten hoher Inflation kaum zu verkraften“ sei. Die nachhaltigste Unterstützung für Einkommensschwache wäre, die Sozialleistungen anzuheben, sagte der Ökonom. Die Erhöhungen der vergangenen Jahre seien ohnehin zu gering gewesen, um die Teuerung auszugleichen.

Die ÖVP-Grünen-Regierung denkt aber offenbar nicht an eine rasche Indexierung der Sozialleistungen. Gegenüber Ö1 hielt Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) fest, dass besonders Menschen mit geringerem Einkommen entlastet werden müssen. Gleichzeitig verwies er aber darauf, dass mit den bisherigen Paketen „schon viel erreicht“ worden sei. Derzeit würden einige Vorschläge auf dem Tisch liegen und Rauch werde sich dafür einsetzen, dass jene von den kommenden „Entlastungspakete profitieren, die es am dringendsten brauchen“.

Die ÖVP verwies lediglich auf bisherige bzw. geplante Maßnahmen: „Für Mindestpensionisten gibt es durch unsere Entlastungspakete quasi eine 15. Mindestpension von mehr als 1.100 Euro zusätzlich. Das Pflegegeld wird ohnehin jährlich valorisiert. Die Erhöhung der 24-Stunden-Pflege ist im Konzept der Pflegereform vorgesehen. Die Familienbeihilfe ist in drei Stufen angehoben worden, zudem gibt es den Familienbonus und den Kindermehrbetrag in der Steuerreform.“ ÖVP-Generalsekretärin Laura Sachslehner erteilte einer Indexierung eine Absage – diese sei derzeit nicht geplant.

Wenig Einkommen, hohe Kosten

Eine Valorisierung der Sozialleistungen wird schon länger gefordert, wegen der hohen Inflation nimmt die Debatte wieder mehr Fahrt auf. So hatte die Volksanwaltschaft darauf verwiesen, dass die Teuerung auch Menschen mit Behinderungen hart treffe – seien doch gewisse Leistungen seit Jahren nicht mehr erhöht worden. Auch die Caritas forderte eine Valorisierung und betonte, dass einkommensschwache Familien am stärksten auf Sozialleistungen angewiesen sind. „Die Inflation schlägt nicht nur einmal zu, sondern jeden Tag“, hieß es.

Selbst wenn die Debatte derzeit noch leise ist, wird sie weiterhin präsent sein. Denn Forscher und Forscherinnen erwarten nicht, dass sich die Situation so bald entspannen wird – sollte das der Fall sein, würde die Teuerung deutlich über jener aus den Vorjahren liegen. Mit Blick auf den Herbst und Winter wird sich dann noch intensiver die Frage der Heizkosten stellen. Laut einer 2021 veröffentlichten Studie der Statistik Austria konnten es sich damals bereits knapp 100.000 Haushalte nicht leisten, die Wohnung angemessen warm zu halten.

Situation der Inflation

Auffallend war, dass gerade Haushalte mit wenig Einkommen oft besonders hohe Energiekosten haben. So gab es im Jahr 2018 insgesamt 115.500 Haushalte mit vergleichsweise niedrigem Einkommen, die gleichzeitig überdurchschnittlich hohe Energiekosten zu tragen hatten. Zwar ist die Energiearmut mit Blick auf die letzten zehn Jahre rückläufig, aber als die Studie erhoben wurde, lag die Inflationsprognose deutlich unter der jetzigen von 6,5 Prozent.

IHS: Tarifstufen einmalig anheben

Die Regierungsparteien betonten in den vergangenen Wochen mehrmals, dass weitere Maßnahmen vorbereitet würden, man wolle aber die Beratungen der eingesetzten Preiskommission abwarten und deren Ergebnissen nicht vorgreifen. In dem Gremium sind neben Wirtschaftsforschern auch die Sozialpartner vertreten, die auf weitere Hilfen zur Abfederung der Teuerung drängen. Der Bericht würde mit Ende Mai vorliegen, hieß es zuletzt – mit Stand 30. Mai war das noch nicht der Fall.

Zu welchen Ergebnissen die Preiskommission kommt, ist abzuwarten. IHS-Forscher Ertl meint jedenfalls, dass es wichtig sei, Haushalte mit niedrigen Einkommen zu unterstützen. Zugleich verweist er auf die kalte Progression, die durch den Inflationsschub eine weitere Erhöhung nach sich ziehe. „Für die Erwerbstätigen ergibt sich daraus eine doppelte Belastung“, heißt es in einem jüngsten IHS-Bericht.

Da die Lohnsteigerungen den Anstieg der Verbraucherpreise nicht vollständig kompensieren werden, würden Arbeitnehmer und -nehmerinnen eine Reallohneinbuße erleiden. Um die derzeitige Teuerung auszugleichen, schlug Ertl mit seinen Kollegen jüngst vor, die Lohn- und Einkommenssteuertarifsgrenze um drei Prozent anzuheben. Diese Änderung könne nämlich unkompliziert und schnell durchgeführt werden.