Menschen in einem Gastgarten in Wien
ORF.at/Peter Pfeiffer
Gastronomie

Die Entstehung des Arbeitskräftemangels

In der laufenden Sommersaison gibt es vor allem im Tourismus und in der Gastronomie laute Klagen: Reservierungsbücher und Schanigärten sind voll, aber an Personal mangelt es mancherorts so sehr, dass Betriebe zusätzliche Schließtage einlegen müssen. Die Pandemie hat eine tiefe Lücke verursacht – wie diese nachwirkt und welche Branchen von ihr profitieren, zeigt ein Blick in die Daten.

Ende Mai waren allein dem AMS mehr als 11.000 Stellen in der Gastronomie gemeldet, laut dem Jobbarometer des ÖVP-Wirtschaftsbundes sind inklusive Tourismus sogar 40.000 Jobs offen. Bei der Besetzung dieser Stellen knabbern die Branchen noch an den Folgen der langen Lockdowns, wie eine Auswertung des AMS zur Gastronomiesparte für ORF.at zeigt.

War im März 2019 noch eine Rekordzahl von 122.000 Menschen unselbstständig in Wirtshäusern, Cafes, Lokalen und Co. beschäftigt, schrumpfte diese kurz nach Verhängung des ersten Lockdowns im März 2020 auf 72.000 zusammen. Zudem blieben der Branche wesentlich weniger Beschäftigte erhalten.

Rasanter Anstieg der Arbeitslosigkeit

In den „normalen“ Jahren vor der Pandemie war der „Verbleibsanteil“ in der Gastronomie mit rund 65 Prozent (Vergleichszeitraum Ende März) relativ stabil. Dieser beschreibt den Anteil jener Gastronomiebeschäftigten, die zum Stichtag auch ein Jahr später noch oder wieder in der Branche beschäftigt waren. Doch in der Krise kam es zum großen Einbruch: Aufgrund des starken Jobabbaus waren nur 43 Prozent derjenigen, die im März 2019 in der Gastronomie gearbeitet hatten, auch im März 2020 noch in der Branche.

Doch wohin haben sich diese Arbeitskräfte in der von großer Unsicherheit geprägten Frühphase der Pandemie bewegt? 38.000 Personen, die im März 2019 noch in der Gastronomie gearbeitet hatten, waren Ende März 2020 als arbeitslos vorgemerkt. Im Jahr davor waren es nur rund 9.000.

20.000 weitere rückten in die Kategorie der Erwerbsfernen, das ist ein Drittel mehr als im Jahr davor. Diese umfasst Personen, die wegen Lebensumständen wie Pension, Karenz, Krankheit und einer Ausbildung dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen. Bei der Gastronomiebranche entscheidend: In diese Kategorie fallen auch Arbeitskräfte aus dem Ausland, die wegen der Pandemie das Land verlassen haben, oder Studierende, die nicht mehr nebenbei kellnern konnten.

Nur wenige direkte Wechsel

Auffällig ist, dass während der Pandemie verhältnismäßig wenige Menschen direkt in andere Branchen „geflüchtet“ sind. 2018 und 2019 wechselten zehn bzw. elf Prozent der Gastronomiebeschäftigten im Folgejahre in eine andere Sparte (meist in die Beherbergung), 2020 und 2021 waren es ebenfalls nur neun Prozent. Hier ging es meist in den Handel. Über mögliche Umschulungen aus der Arbeitslosigkeit heraus treffen die Daten allerdings keine Aussage.

Eine große Personalreserve für die spätere Aufwärtsbewegung lag also bei jenen Menschen, die ihren Job verloren hatten. Denn die Daten zeigen auch: Seit dem Tief im März 2020 haben sich die Beschäftigtenzahlen in der Gastronomie auch kontinuierlich wieder auf Normalniveau erholt. Mit März 2021 waren schon wieder 91.000 Menschen in der Branche beschäftigt, dieses Jahr waren es 115.000 – und damit nahezu so viele wie vor der Krise.

Dass die Branche beim Personal trotzdem strauchelt, ergibt sich aus einer Kombination mehrerer Effekte. Als langfristig problematisch erweisen sich die fehlenden Neu- und Wiedereinsteiger in die Gastronomie, die es in den Pandemiejahren in andere Branchen gezogen hat. Diese Lücke in Kombination mit dem Einbruch von 2020 schmerzt die Branche bis heute. Während es in den „normalen“ Jahren 2018 und 2019 noch 41.000 Neuzugänge gab, waren es Ende März 2020 lediglich 20.000. Das liegt laut AMS vorwiegend daran, dass die Branche bereits Ende 2020 aufgrund neuerlicher Lockdowns zahlreiche Menschen wieder gekündigt hat.

Gesundheit und Handel als „Krisengewinner“

Viele Beschäftigte aus den Vorkrisenjahren orientierten sich angesichts der Pandemie aber auch beruflich um. Wohin es diese Menschen stattdessen beruflich gezogen hat, lässt sich nur grob nachvollziehen – zu lückenhaft sind die verfügbaren Daten, die bei Jobwechseln erhoben werden. Ein möglicher Ansatz ist es, sich die stark wachsenden Sparten anzusehen. Vergleicht man etwa April 2019 mit April 2022, kristallisiert sich eine Reihe an Branchen mit außergewöhnlich starkem Zulauf heraus.

So ist das Gesundheits- und Pflegewesen im Vergleich zu 2019 (Vergleichsmonate: April 2019/2022) um fast 31.300 Beschäftigte gewachsen. Zu den boomenden Branchen gehört auch der Handel, der früher als Tourismus und Gastgewerbe aufsperren durfte und allein dadurch einiges an Personal abgezogen haben dürfte. Hier gibt es fast 18.800 zusätzliche Beschäftigte.

Stark gewachsen ist auch die Sparte der freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen mit fast 17.000 zusätzlichen Beschäftigten, ebenso die Sparten Information und Kommunikation (plus 15.200 Beschäftigte) und der Bau, der sich rasch vom ersten Einbruch erholte (plus 15.000 Beschäftigte).

Große Konkurrenz um Personal

Heute werden Gastronomie und Tourismus zum Opfer ihres eigenen Erfolgs – und dem anderer Branchen, die ebenfalls um Personal werben: „Die wirtschaftliche Erholung nach dem Einbruch durch die Pandemie erfolgt breit und gleichzeitig“, so AMS-Chef Johannes Kopf. „Die Wirtschaft verzeichnet massive Nachholeffekte“. Im Mai habe das AMS die „unfassbare“ Zahl von 140.000 offenen Stellen vermelden können.

Dass jetzt auch Branchen mit attraktiveren Arbeitsbedingungen – keine Rand- und Wochenenddienste, keine Saisonarbeit, oftmals bessere Bezahlung – kräftig brummen und nach Personal suchen, macht der Gastronomie und dem Tourismus starke Konkurrenz. Der aktuelle Mangel sei mit dem derzeitigen Arbeitskräfteangebot auch nicht kompensierbar, es bräuchte dazu „riesige Anwerbeprogramme“. Kopf gibt allerdings zu bedenken, dass auch in anderen Ländern händeringend nach Beschäftigten gesucht wird: „Die Personalnot wird wohl nicht so schnell weggehen.“

Zwischen Qualifikation und Arbeitsklima

„Unternehmen melden derzeit in Befragungen, dass die Knappheit an geeignetem Personal als Produktionshemmnis gesehen wird. Nun muss man sich fragen: Was steckt hinter dem Mangel, und wie kann man gegensteuern“, sagt auch die Ökonomin Ulrike Huemer vom Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) gegenüber ORF.at.

Während man in Bereichen wie etwa der IT vor allem an der Qualifikationsschraube drehen müsse, gehe es bei der Gastronomie und dem Tourismus zu einem hohen Maß auch um die institutionellen Rahmenbedingungen – etwa den Ausbau von Kinderbetreuung – und die Erhöhung der Attraktivität von Jobs. Huemer nennt im Tourismus etwa den Ausbau des Ganzjahresbetriebes, der Angestellten mehr berufliche Sicherheit biete. Thema sei auch die Attraktivierung der Branche für ältere Arbeitskräfte – denn die demografische Entwicklung bewegt sich eindeutig in Richtung einer älter werdenden Bevölkerung.

Auf die Problematik der Arbeitsbedingungen verweist auch die Arbeiterkammer (AK): Sie sieht niedrige Löhne und Gehälter, eine geringe Arbeitszufriedenheit, viele Verstöße gegen das Arbeitsrecht und die schlechte Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben in der Gastronomie und Hotellerie als hauptsächliche Gründe für den Personalmangel. Laut AK wünschen sich derzeit mehr als 22 Prozent der Beschäftigten in diesem Bereich einen vollständigen Wechsel des Berufes, das sind fast doppelt so viele wie in anderen Berufen (12,7 Prozent). Entsprechend bezeichnete man die Krise zuletzt als „hausgemacht“.