Der ungarische Premierminister Viktor Orban
AP/Geert Vanden Wijngaert
Ringen um EU-Ölmbargo

Orban fordert noch mehr Zugeständnisse

Auch ein neuer Kompromissvorschlag von Sonntag zu einem EU-Embargo für russisches Erdöl ist Ungarn offenbar nicht genug. Am Montagnachmittag forderte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban kurz vor dem EU-Sondergipfel Garantien, damit er dem Kompromiss zustimmt. Das Ölembargo als Teil des sechsten EU-Sanktionspakets ist seit über drei Wochen in der Warteschleife. Es soll bis Ende des Jahres umgesetzt werden.

Mehrfach wurden Änderungen und Ausnahmeregeln vorgeschlagen, um skeptische Länder wie Ungarn, die Slowakei und Tschechien ins Boot zu holen. Sie stemmen sich angesichts ihrer hohen Abhängigkeit von russischem Öl und starker Teuerungsraten gegen die Pläne. Diese drei Länder beziehen große Teile ihres Erdöls aus der „Druschba“-Pipeline, welche die russischen Ölfelder mit Raffinerien in Ost- und Mitteleuropa verbindet.

Den Ansatz, Öllieferungen über Pipelines auszunehmen, bezeichnete Orban nun als „gut“, Ungarn brauche aber Garantien für den Fall, dass die Pipeline blockiert werde. Der EU-Kommission warf er ein „unverantwortliches Verhalten“ vor: „Zuerst brauchen wir Lösungen, dann Sanktionen.“ Budapest hatte zuletzt eine vierjährige Übergangsfrist und 800 Millionen Euro Finanzhilfen verlangt, um ihre Raffinerien anzupassen und eine Pipeline von Kroatien auszubauen. Auch der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala forderte mehr Rücksichtnahme auf die Sorgen einzelner Staaten in Sachen Ölembargo. „Wir können es einfach nicht zulassen, dass bestimmte Erdölprodukte bei uns fehlen werden.“

Von der Leyen: Schnelle Einigung unrealistisch

Laut dem Außenbeauftragten Josep Borrell habe es am Montag erneut „harte Gespräche“ gegeben, er hielt eine rasche Einigung für möglich. Am Widerstand unter anderem Ungarns werde das Vorhaben nicht scheitern, meinte Borrell. „Am Ende wird es eine Einigung geben.“ Ungarn, der Slowakei und Tschechien müsse mehr Zeit zur Anpassung ihrer Öleinfuhren gegeben werden. Allen drei Ländern wurde eine zweijährige Ausnahme vom Embargo als Übergangsregel angeboten. Auch EU-Ratspräsident Charles Michel zeigte sich optimistisch über eine mögliche Einigung.

Weniger zuversichtlich zeigte sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Sie glaubt nicht an eine schnelle Lösung des Streits. Es sei wichtig, dass ein Embargo niemanden in der EU unfair belaste: „Und genau diese Frage haben wir noch nicht gelöst.“ Sie rief die EU-Länder zu Geschlossenheit auf. Der Schlüssel zum Erfolg sei Solidarität mit der Ukraine und Einigkeit in der EU.

Schaidreiter analysiert Orbans neue Forderungen

ORF-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter ordnet die Debatte im EU-Gipfel über das geplante Ölembargo gegen Russland ein. Ungarn fordert weitere Zugeständnisse, um dem Ölembargo zuzustimmen.

Nehammer sichert Ungarn Unterstützung zu

Unterstützung bekommt Orban aus Österreich: Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) zeigte Verständnis, dass Ungarn Kompensationen fordere. „Diesen Weg unterstützt Österreich“, so Nehammer vor dem Gipfel. Er zeigte sich zuversichtlich, dass es bei dem Treffen mit seinen EU-Amtskollegen zu einer Lösung kommen wird. Gleichzeitig machte er die EU-Kommission für die hitzige Debatte um das Ölembargo verantwortlich.

„Ich bin sehr erstaunt darüber, welchen Weg die EU-Kommission gewählt hat, dieses schwierige Thema für den Rat vorzubereiten“, kritisierte Nehammer die Brüsseler Behörde. Normalerweise verhandle man mit den Gesprächspartnern, bevor man ein Ergebnis verkündet, die EU-Kommission habe diesmal einen anderen Weg gewählt. „Es wird jetzt auf großer Bühne die Diskussion geführt“, so der Bundeskanzler.

Orban will Garantien für Kompromiss zu Ölembargo

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban hat Garantien für eine Zustimmung zu einem Kompromiss über ein EU-Embargo gegen russisches Erdöl gefordert. Der EU-Kommission wirft er „unverantwortliches Verhalten“ vor. „Zuerst brauchen wir Lösungen, dann Sanktionen.“

Deutschlands Kanzler Olaf Scholz zeigte sich unterdessen zuversichtlich, dass es zu einer Einigung kommen kann. Es spreche alles dafür, „dass man sich zusammenfindet“, so Scholz. „Niemand kann vorhersagen, ob es dann tatsächlich der Fall sein wird. Aber alles, was ich höre, klingt danach, als ob es einen Konsens geben könnte.“

„Politico“: „Stille“ Zustimmung für Ungarn

Auch bei anderen Staaten sorgt die Umsetzung des Ölembargos offenbar für Kontroversen – denn die hohen Energiepreise und generellen Teuerungen setzen der gesamten EU zu und würden durch ein Ölembargo noch verschärft werden. Viele Länder würden Ungarns Blockade „still unterstützen“, berichtete „Politico“ (Onlineausgabe) unter Berufung auf EU-Beamte und -Diplomaten. Dem Portal zufolge hätten auch mehrere Regierungsvertreter Kritik an dem Pipelinekompromiss angemeldet, weil sie Wettbewerbsvorteile in einzelnen Staaten als Folge befürchten.

„Es fängt schon wieder an zu bröseln und zu bröckeln“, kritisierte der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) mit Blick auf den Gipfel die aktuelle Lage. Ein langsamer Verlust der europäischen Einigkeit deute sich an, dabei habe man nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine gesehen, wozu Europa bei starkem Zusammenhalt in der Lage sei, sagte Habeck am Sonntag.

Energie und Lebensmittel auf der Agenda

Vor Beginn des Gipfels am späten Nachmittag wurde noch intensiv verhandelt. Dem Vernehmen nach gab es bei einem letzten Treffen der EU-Botschafterinnen und -Botschafter am Vormittag immer noch keine Einigung. Die ersten eingetroffenen Staats- und Regierungschefs ließen erahnen, dass es ein längerer Abend werden könnte: Während der bulgarische Ministerpräsident Kiril Petkow sagte, dass eine „allgemeine“ Einigung auf das Embargo mit Verzögerung erzielt werden könnte, sagte Estlands Ministerpräsidentin Kaja Kallas, dass eine Einigung auf Sanktionen am Montag unrealistisch sei.

Ein weiteres Thema wird die Strategie für eine rasche Unabhängigkeit von russischen Energieträgern sein. Zudem soll es um mögliche Maßnahmen gegen die aktuell sehr hohen Energiepreise und die weitere Unterstützung für die Ukraine gehen. Dabei geht es unter anderem um neue Finanzhilfen.

Selenskyj fordert Europa zur Einheit auf

Auf dem Programm stehen auch Gespräche zur Zusammenarbeit der EU im Bereich der Sicherheit und der Verteidigung, Thema wird außerdem die Lebensmittelsicherheit sein. Gleich zu Beginn des Gipfels am späten Nachmittag sprach der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj per Videokonferenz zu den EU-Staats- und -Regierungschefs. Ratspräsident Michel dankte dem ukrainischen Präsidenten für die „aufrichtige Ansprache“, wie er in einem Tweet schrieb. Man werde die Liquidität der Ukraine stärken und beim Wiederaufbau helfen, so Michel.

Die französische Nachrichtenagentur AFP schreibt, dass Selenskyj dazu aufgerufen haben soll, „die internen Streitigkeiten“ zu beenden. Er fordere die Länder zu „größter Einheit“ auf, um das neue Sanktionspaket anzunehmen. „Europa muss seine Stärke zeigen. Denn Russland nimmt nur Stärke als Argument wahr. (…) Es ist an der Zeit, dass ihr nicht geteilt seid, keine Fragmente, sondern ein vereintes Ganzes“, zitiert AFP aus der Videobotschaft.

Zahlreiche weitere Sanktionen Teil von Paket

Das sechste Sanktionspaket der EU sieht neben dem Ölembargo Maßnahmen gegen weitere kremlnahe Persönlichkeiten, darunter auch Patriarch Kyrill, vor. Auch der Ausschluss von drei russischen Banken aus dem internationalen Finanzsystem SWIFT, darunter mit der Sberbank das größte Kreditinstitut des Landes, liegt auf dem Tisch. Ein Verschieben des Sanktionspakets wäre ein Rückschlag für die EU. Ohne Einigung auf ein Ölembargo gäbe es auch Schwierigkeiten mit den anderen Elementen dieses Pakets, warnt ein EU-Kommissionsbeamter.