EU-Sondergipfel in Brüssel
Reuters
Sondergipfel

EU-Staaten bei Ölembargo einig

Weißer Rauch in Brüssel: Der Sondergipfel der EU-Staats- und -Regierungschefs hat am späten Montagabend eine Lösung gefunden, um das Sanktionspaket mit einem Embargo für russisches Erdöl auf den Weg zu bringen. Ungarn wurde ein Kompromiss angeboten – Pipelineöl Richtung Budapest soll auch künftig fließen dürfen. 75 Prozent aller Ölimporte seien vom neuen Paket abgedeckt, so EU-Ratspräsident Charles Michel.

Zuerst sprach Michel von „zwei Drittel“ der Ölimporte. Damit verliere das Land eine „riesige Finanzquelle für seine Kriegsmaschinerie“, so der Ratspräsident. Man übe „maximalen Druck“ auf das Land aus, „den Krieg zu beenden“. Weiters werde die staatliche Sberbank aus dem Bankenkommunikationssystem SWIFT ausgeschlossen, und die EU verbiete auch drei russische Staatssender.

In einer Pressekonferenz im Anschluss an den Sondergipfel sagten Ratspräsident Michel und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, dass künftig russische Öllieferungen über den Seeweg unterbunden werden sollen. Transporte per Pipeline sollen weiter möglich sein – damit ist Budapests Anbindung auf dem Landweg über die riesige „Druschba“-Leitung mit russischem Öl gesichert.

Neun Milliarden Euro für Ukraine

Darüber hinaus will die Europäische Union der Ukraine weitere Finanzhilfen von bis zu neun Milliarden Euro zur Verfügung stellen, so Michel. Mit dem Geld soll die Ukraine laufende Kosten etwa für Pensionszahlungen und den Betrieb von Krankenhäusern decken können. Unklar ist, wie viel Geld als Zuschuss und wie viel als Kredit ausgezahlt werden soll. Auch der Wiederaufbau der Ukraine wurde besprochen. Es sei wichtig, dass man auf diesen Moment vorbereitet sei, so von der Leyen.

EU-Sondergipfel in Brüssel
AP/Olivier Matthys
Die EU-Spitzenpolitiker suchten nach einem Weg, Orban (l.) zu überzeugen

Michel begrüßte die Einigung der Mitgliedsstaaten und sagte, dass man damit zeige, dass die EU stark sei und „unsere Werte verteidigen“ könne. „Wir haben einige Wochen gebraucht, um diese Entscheidung zu erzielen, und es gab schon Spekulationen, dass es uns an Einigkeit mangelt“, so Michel. „Wir brauchen politische Führungsstärke in diesen außerordentlichen Zeiten.“

Von der Leyen begrüßt Einigung

Von der Leyen schrieb zuvor auf Twitter, dass die Importe russischen Öls in die EU bis Jahresende „faktisch um 90 Prozent“ reduziert werden. Bei der Pressekonferenz führte sie aus, dass Polen und Deutschland bereits erklärt hätten, kein russisches Öl mehr zu importieren, und damit diese Reduktion bis Jahresende erreicht werde. Österreich hat sich eigenen Angaben zufolge schon im März gänzlich von russischen Ölimporten verabschiedet.

Kroatien habe unterdessen angekündigt, die Kapazität seiner Pipeline für die Belieferung Ungarns auszubauen – dazu seien zwischen 45 und 60 Tage nötig, so von der Leyen, die sich auf Angaben Zagrebs bezog. Ungarn müsse unterdessen die Raffinerien umbauen, da sich das Öl aus der „Adria“-Pipeline von russischem Öl unterscheide.

Auch eine weitere Ausnahme kommt Ungarn zugute: Sollte es zu einem Lieferausfall russischen Pipelineöls kommen, dürfe Ungarn aus einer anderen Quelle russisches Öl beziehen, schreibt „Politico“ (Onlineausgabe) und beruft sich auf Diplomaten. Mehrfach wurde von der Kommissionspräsidentin betont, dass es sich bei der Pipelineregelung um eine vorübergehende Ausnahme handle.

Orban: „Familien können ruhig schlafen“

Nach den weitgehenden Zugeständnissen zeigte sich Orban sehr zufrieden. „Familien können heute Nacht ruhig schlafen“, so Orban. Ein vollständiges Importverbot für russisches Öl wäre für Ungarn „untragbar“ und „wie eine Atombombe“ gewesen, so Orban. „Aber wir haben es geschafft, das zu verhindern.“

Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) begrüßte die Einigung. „Die EU beweist einmal mehr, wir stehen geeint hinter der Ukraine. Das ist ein wahres Zeichen von europäischer Stärke“, hieß es in einer Stellungnahme gegenüber der APA. „Wir müssen aufhören, dass interne Diskussionen über noch nicht beschlossene Maßnahmen immer gleich als Spaltung und Schwäche gesehen werden.“

Selenskyj appellierte an Einigkeit

Das Treffen begann mit einer knapp zehnminütigen Botschaft des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Darin mahnte er die Union zur Einigkeit und einem raschen Beschluss des sechsten Sanktionspakets. „Es ist Zeit für Sie, nicht einzeln zu handeln, sondern gemeinsam“, so Selenskyj. „Warum sind Sie von Russland abhängig und vom russischen Druck, und warum ist das nicht umgekehrt“, so der ukrainische Präsident in Anspielung auf die Abhängigkeit der europäischen Staaten von russischen Gas- und Öllieferungen.

Späte Einigung auf Ölembargo

ORF-Korrespondent Robert Zikmund analysiert, wie beim Sondergipfel in Brüssel doch noch ein Kompromiss gefunden werden konnte.

Ungarn forderte Garantien

Damit wurde vor allem Ungarn vom ukrainischen Präsidenten angesprochen – seit Wochen wartete das EU-Paket auf die Zustimmung Budapests. Bis Montagvormittag verhandelten die Botschafterinnen und Botschafter, um einen gangbaren Kompromiss zu finden. Unmittelbar vor dem Gipfel bremste der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban noch Hoffnungen auf eine baldige Einigung.

Er forderte Garantien für eine Zustimmung zu einem Kompromiss. Zwar sei der in Aussicht gestellte Ansatz, Öllieferungen über Pipelines auszunehmen, „gut“, aber Ungarn brauche Garantien für den Fall, dass die Pipeline blockiert werde, sagte Orban beim Eintreffen im Ratsgebäude. Diese dürfte er nun erhalten haben. Der EU-Kommission warf er „unverantwortliches Verhalten“ vor: „Zuerst brauchen wir Lösungen, dann Sanktionen.“

Nehammer zeigt für Orban Verständnis

Ähnlich kritisch gegenüber der EU-Kommission äußerte sich auch Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) im Vorfeld. Er monierte, dass die Brüsseler Behörde einen Vorschlag präsentiert habe, statt zuerst zu verhandeln. Nehammer zeigte Verständnis für die „Sorgen“ Ungarns und wies darauf hin, dass Österreich stark von russischem Gas abhängig sei.

Orban will Garantien für Kompromiss zu Ölembargo

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban hat Garantien für eine Zustimmung zu einem Kompromiss über ein EU-Embargo gegen russisches Erdöl gefordert. Der EU-Kommission wirft er „unverantwortliches Verhalten“ vor. „Zuerst brauchen wir Lösungen, dann Sanktionen.“

Borrell: Russland wird Ölpreise senken müssen

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell räumte nach der Einigung ein, dass das europäische Ölembargo nicht zwingend zu einer Reduzierung der Exporte des Landes führen wird. „Wir können Russland nicht davon abhalten, sein Öl an jemanden anderen zu verkaufen“, so Borrell. „So mächtig sind wir nicht.“ Doch: „Sie werden sich nach anderen umschauen müssen, und sie werden sicherlich die Preise senken müssen.“ Damit werden aus Sicht von Borrell bereits die Ziele der EU erreicht. Es gehe darum, den Russen die finanziellen Mittel für ihre Kriegsmaschinerie zu nehmen. „Das wird ganz sicher passieren.“

Gipfel geht am Dienstag in nächste Runde

Nach der grundlegenden Einigung auf die neuen Sanktionen könne das Paket nun von den Staaten auf den Weg gebracht werden, sagte von der Leyen bei der Pressekonferenz. Michel sagte, dass die politische Einigung bereits am Donnerstag von den EU-Botschaftern in Rechtsform gegossen werden solle.

Auf der Tagesordnung standen auch Themen wie die Sicherstellung der Lebensmittelversorgung und die Energiepreise. Dabei geht es auch um die vorübergehende Einführung von Preisobergrenzen, die unter anderem von Österreich unterstützt wird. Diese Punkte werden am Dienstag von den EU-Staats- und -Regierungschefs besprochen.

Nehammer bremst bei möglichem Gasembargo

Der Bundeskanzler bremste unterdessen bereits im Hinblick auf künftige Sanktionen: Ein Einfuhrverbot für russisches Gas sei für ihn „kein Thema“, „auch bei einem nächsten Sanktionspaket“, sagte er zu Beginn des zweiten Gipfeltages. Öl könne man viel leichter kompensieren als Gas, sagte Nehammer. Das nun beschlossene Ölembargo sei dennoch mit Sicherheit für die EU-Staaten „schmerzhaft“. „Aber man muss realistisch sein. Die Schmerzen, die wir erleiden, sind nichts“, so Nehammer, im Vergleich zu jenen, die die „ukrainische Bevölkerung zu erleiden hat.“