Mehrparteienhaus
ORF.at/Christian Öser
Teures Wohnen

Die Lehren aus dem Leerstand

„Volkswohnwesen“ ist der antiquierte Begriff für eine Materie, die derzeit für politisches Tauziehen sorgt. Es geht dabei um das Begehr der Länder, Kompetenzen in der Wohnungspolitik mittels Verfassungsänderung dem Bund zu entziehen und so mehr Handhabe zur Entlastung des Immobilienmarkts zu erhalten. Im Vordergrund steht eine Abgabe auf Leerstand: In mehreren Bundesländern ist sie bereits beschlossen oder geplant, der Lenkungseffekt wird ob der rechtlichen Vorgaben als eher bescheiden betrachtet.

Die Immobilienpreise legen seit Jahren überproportional zu, doch 2021 kletterten sie in lange nicht gekannte Höhen: Der Kauf von Häusern und Wohnungen verteuerte sich laut Statistik Austria im Jahresschnitt um 12,3 Prozent – mehr dazu in oesterreich.orf.at –, bei Neuvermietungen kam es zu einer Teuerung von 2,9 Prozent. Leerstehende Wohnungen treiben die Preise weiter an. Wenig Wunder also, dass Ausschau nach einer Kostenbremse gehalten wird – mehrere Bundesländer glauben sie darin gefunden zu haben, Eigentümerinnen und Eigentümern eine Abgabe für nicht genutzten Wohnraum aufzuerlegen.

In der Steiermark wurde Ende April eine Abgabe auf Leerstand beschlossen – bis zu zehn Euro pro Quadratmeter und Jahr soll man laut der Novelle künftig für leerstehende Wohnungen oder Zweitwohnsitze zahlen müssen. Wie viel das wirklich einbringt, ist vor allem in der Landeshauptstadt Graz unklar: Im Vorjahr kursierte, dass 38.000 Objekte freistehen würden. Das ergab sich aus der Differenz zwischen registrierten und genutzten Wohnungen. Valide Zahlen gibt es aber nicht, es spießt sich schon allein an der Frage, wie ungenutzt definiert wird – mehr dazu in steiermark.ORF.at.

Tirol legt bei Höhe vor

Die Tiroler Landesregierung brachte Ende Mai den Gesetzesentwurf für eine Leerstandsabgabe auf den Weg. Dieser sieht Abgaben je nach Wohnungsgröße in Höhe von mindestens zehn bis maximal 215 Euro pro Monat vor, wobei einige Ausnahmen definiert wurden. In 148 von insgesamt 277 Tiroler „Vorbehaltsgemeinden“, in denen der Wohnungsdruck nachweislich besonders hoch ist, kann der doppelte Satz verlangt werden. Wenn eine Wohnung sechs Monate lang als nicht genutzt definiert wird, fordert die Gemeinde eine Zahlung ein – mehr dazu in tirol.ORF.at. Ferienwohnungen werden gesondert behandelt, für diese fällt eine Abgabe von jährlich mindestens 115 bis maximal 2.530 Euro an.

Leere Wohnung
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Eine Grundsatzfrage bei der Debatte: Wie ist Leerstand zu definieren?

In der Stadt Salzburg soll laut Schätzungen derzeit etwa jede siebente bis achte Wohnung leer stehen, über 10.000 Wohnungen sind kein Hauptwohnsitz – mehr dazu in salzburg.ORF.at. Und auch hier soll es eine Leerstandsabgabe richten. In Salzburg wird eine solche allerdings aus rechtlichen Gründen mit maximal 1.000 Euro pro Jahr gedeckelt. Der Vollzug der Abgabe ist in allen drei Bundesländern den Gemeinden übertragen.

Höchstgericht drehte Abgabe ab

Der Versuch, Gebühren auf Leerstand einzuheben, ist nicht neu, bisher taten sich aber zu viele Hürden auf. Die größte dabei: Die Lenkung des Wohnungsmarkts via Abgabe ist Bundessache und eben im „Volkswohnwesen“ verankert. Die Bundesländer wollen das dringend geändert wissen. Die Stadt Wien richtete im November des vergangenen Jahres einen dahingehenden Brief an das zuständige Finanzministerium – eine Leerstandsabgabe sei überfällig, der Bund solle tätig werden oder die Kompetenz gleich an die Länder übertragen.

Die Stadt sprach aus Erfahrung: Wien hatte schon vor Jahrzehnten eine entsprechende Abgabe, diese wurde aber im März 1985 vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben. Es handle sich hier um eine Bundesmaterie, hieß es, ein Alleingang sei rechtlich nicht möglich. Und daran dürfte sich so bald nichts ändern, wie die im Frühjahr eingegangene Antwort des Finanzministeriums auf das Wiener Anliegen zeigte.

Finanzministerium sieht keinen Handlungsbedarf

Eine Leerstandsabgabe stehe derzeit nicht auf der Agenda des Ministeriums: Einerseits sei ein Leerstand oft schwer nachzuweisen, andererseits könne eine derartige Abgabe dazu führen, „dass vermehrt kurzfristige Mietverträge, die in der Regel für den Mieter nachteilig sind“, abgeschlossen werden. Darüber hinaus müssten das Grundrecht auf Unverletzlichkeit des Eigentums und das darin enthaltene Verhältnismäßigkeitsprinzip beachtet sowie der Gleichheitssatz berücksichtigt werden – mehr dazu in wien.ORF.at.

Die Debatte ist damit aber eher eröffnet denn beendet, wie die Beschlüsse in Salzburg, Tirol und der Steiermark zeigen. Im Mai richtete die Landeshauptleutekonferenz an den Bund eine einstimmige Forderung nach einer Kompetenzverschiebung.

altes Familienhaus
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Manch leerstehende Immobilie ist für eine Vermietung schlicht zu desolat

Fachleuten zufolge ist eine Abgabe auf Länder- oder Gemeindeebene zwar jederzeit möglich, doch dürfte diese nicht eine „Intensität entwickeln, dass sie den Abgabepflichtigen wirtschaftlich zu einem bestimmten Verhalten geradezu zwingt“, hieß es etwa in einem Gutachten, das der Universitätsdozent und Rechtsanwalt Thomas Walzel von Wiesentreu im Auftrag des Landes Tirol erstellt hat. Auch dem Wiener Verfassungsrechtler Heinz Mayr zufolge würde es in die Bundeskompetenz eingreifen, fiele die Abgabe so hoch aus, dass sie den Eigentümer zum Vermieten zwingt.

Frage der Definition

Diffizil ist das Thema in vielerlei Hinsicht, begonnen damit, dass Leerstand nur schwer zu definieren ist. Wohnbauforscher Wolfgang Amann, geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Immobilien, Bauen und Wohnen (IIBW), ordnete es im Gespräch mit ORF.at so ein: Etwa 18 Prozent der Wohnungen in Österreich hätten keinen Hauptwohnsitz, dazu kämen nicht deklarierte Ferien- oder Zweitwohnsitze. Viele nicht genutzte Wohnungen befänden sich in strukturschwachen Regionen, seien also schlicht am falschen Platz, andere seien so desolat, dass sie nicht vermietbar wären. Von den 18 Prozent ohne Hauptwohnsitz bliebe damit damit „wenig über“, was tatsächlich dem Wohnungsmarkt zuführbar sei.

Wohnbauforscher Wolfgang Amann
IIBW
Wolfgang Amann vom Institut für Immobilien, Bauen und Wohnen

Hinzu kommt die Frage, wie Leerstand überprüft werden kann. Das gängigste Mittel ist die stichprobenartige Kontrolle des Stromverbrauchs. Doch auch da hinkt es: Ein geringer Verbrauch mag zwar darauf hindeuten, dass eine Wohnung nicht oft benutzt wird, nicht aber darauf, dass sie auch leer steht. Durch Zeitschaltuhren, so Amann, könnten die Erhebungen zudem leicht verfälscht werden.

Amann teilt grundsätzlich die Anfang Mai im Ö1-Morgenjournal geäußerte Meinung des Ökonomen Michael Klien vom Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) – mehr dazu in ORF.at –, dass man durch eine Leerstandsabgabe „den Wohnungsmangel in Österreich nicht in den Griff bekommen“ werde. Allerdings gibt Amann zu bedenken, dass mit Verwaltungs-, Energiekosten und Rücklagen bereits jetzt rund drei Euro pro Quadratmeter für eine leerstehende Wohnung anfielen. Käme dann noch die Leerstandsabgabe dazu, wären für eine 100-Quadratmeter-Wohnung monatliche Kosten von 400 Euro zu bestreiten – bei null Einnahmen.

Abschreckung und Anreiz

Um dem Leerstand entgegenzuwirken, hält Amann eine „Zuckerbrot und Peitsche“-Strategie für zielführend. Einerseits solle es also sehr wohl „Disincentives“ geben, anderseits müssten die Rahmenbedingungen beim Vermieten verbessert werden. Viele Wohnungen und Häuser stünden leer, weil sie jüngst vererbt worden sind – eine Entwicklung, die sich in den kommenden Jahren noch verstärken dürfte. Die Erben und Erbinnen seien teils weggezogen, teils auch finanziell so gut abgesichert, dass sie keinen Handlungsdruck verspüren würden.

Grafik zur Nichtvermietung von Wohnungen
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: IIBW

Dazu käme, so Amann, dass Vermieten für Privatpersonen durchaus tückisch sein könne. In einer Studie für das Land Vorarlberg erhob das IIBW vor vier Jahren die Gründe für Nichtvermietungen und kam zu dem Schluss, dass 85 Prozent der Besitzer oder Besitzerinnen leerstehender Wohnungen unter geänderten Bedingungen vermieten würden. Die Komplexität des Mietrechts und die für den Aufwand oft bescheidenen Ertragsmöglichkeiten spielten eine gewichtige Rolle. Groß war aber vor allem der Wunsch nach Möglichkeit einer zeitnahen Eigenbedarfskündigung, salopp formuliert also, die Mieter auch wieder loswerden zu können.

Befristungen nur mehr bei Privaten?

Punkto Befristungen verweist Amann auf einen Vorschlag von Arbeiterkammer (AK) und Mietervereinigung: Immobilienkonzerne, Versicherungen und andere Unternehmen sollten künftig nur mehr unbefristet vermieten dürfen, Privatpersonen dagegen auch befristet. Auf Nachfrage hieß es von der AK, dass ein Verbot von Befristungen ab der dritten im Eigentum befindlichen Wohnung schlagend werden sollte. Amann kann dem einiges abgewinnen: Seien beide Vertragspartner Privatpersonen, wäre es nur logisch, dass andere Regeln gelten als bei Geschäften mit Unternehmen, die über Marktmacht und Insiderwissen verfügten.

Im „Volkswohnwesen“ ist derzeit also einiges in Bewegung, die enorme Inflation und die sich abzeichnende Verteuerung von Immobilienkrediten nach Jahren der billigen Schulden tragen ihr Übriges dazu bei. Es gilt nun, die Meinungen im politischen Spektrum und die Interessen von Bund und Ländern zusammenzuführen – das könnte sich ziehen.