Getreide beim aufladen auf einen LKW
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Getreidelieferungen

Tauziehen um Blockade von Odessa

Der Druck auf Russland, um ukrainische Getreidelieferungen, die im von Russland blockierten ukrainischen Schwarzmeer-Hafen Odessa festhängen, freizugeben, wird immer größer. Die UNO bemüht sich angesichts steigender Lebensmittelpreise und drohender Hungersnöte um Vermittlung, auch die Türkei will sich einschalten. Die USA warnen unterdessen vor einer militärischen Operation, um die Blockade zu beenden. Und auch die Idee eines geschützten Konvois wird debattiert. Die Zeit drängt.

Die Blockade von Odessa ist nicht leicht zu lösen. Russland hat mittlerweile die Kontrolle über weite Teile der ukrainischen Schwarzmeer-Küste übernommen. Odessa ist der größte Hafen der Ukraine. In den Docks lagern Millionen Tonnen ukrainischen Getreides, das nicht exportiert werden kann und für den Weltmarkt von großer Bedeutung ist. Die Lager gehören auch wegen der kommenden neuen Ernte geleert.

Die Lebensmittelpreise steigen derweil weiter. Hauptabnehmer sind in der Regel Länder im Nahen Osten und in Nordafrika. Dort grassierende Hungersnöte werden durch die fehlenden Einfuhren aus der Ukraine derzeit noch verstärkt.

Übersicht Odessa
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Ein Blick über einen Teil Odessas Mitte April

USA: Militärischer Einsatz „hochriskant“

US-Generalstabschef Mark Milley hält eine Beendigung der Blockade des Hafens von Odessa mit militärischen Mitteln für eine „hochriskante“ Option. „Derzeit sind die Seewege durch Minen und die russische Marine blockiert“, sagte Milley am Dienstag bei einem Besuch in London. „Um diese Seewege zu öffnen, wäre eine sehr große militärische Anstrengung eines Landes oder einer Gruppe von Ländern nötig.“ Ein solcher Einsatz wäre „ein hochriskanter Militäreinsatz“, so der US-General.

Die Ukraine und Russland gehören zu den weltweit wichtigsten Getreideproduzenten. Der Export aus beiden Ländern ist wegen des Krieges in der Ukraine, der russischen Blockade von Schwarzmeer-Häfen und der Sanktionen gegen Russland eingebrochen. Der Hafen von Odessa ist für die Ukraine äußerst wichtig. Sollte das Land die Stadt verlieren, wäre es mehr oder weniger an Land „eingesperrt“.

Litauen schlägt geschützten Schiffskonvoi vor

Der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis brachte indes vorige Woche bei einem Besuch in Großbritannien bei Gesprächen mit der britischen Außenministerin Liz Truss die Idee eines geschützten Getreideschiffskonvois aus Odessa ins Spiel, wie der „Guardian“ berichtete. Russland will man damit offenbar nicht weiter reizen. Es soll nach Landsbergis’ Vorstellung kein NATO-Einsatz sein. Es wäre eine nicht militärische humane Mission und etwa mit einer Flugverbotszone nicht vergleichbar.

Der Konvoi solle geschützt durch das Schwarze Meer an den russischen Kriegsschiffen vorbei geführt werden. Es könnten auch Länder, die Nutznießer von den Getreidelieferungen seien, für den Schutz sorgen. Landsbergis brachte etwa Ägypten ins Spiel. Großbritannien sei bereit zu helfen, so Truss letzte Woche.

zwei Personen überqueren eine Straße in Odessa
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Ein Blick auf eine Straße in Odessa Mitte April

„Die Zeit drängt“, so Landsbergis. Er bezog sich dabei auf die neue kommende Ernte und dass es keinen anderen praktikablen Weg für die Ausreise des Getreides außer den Hafen in Odessa gebe, wie er dem „Guardian“ weiter sagte. Es gebe keine Möglichkeit, das Getreide zu speichern und auch keine Alternativroute, so der litauische Außenminister. Es sei zwingend erforderlich, „dass wir gefährdeten Ländern zeigen, dass wir bereit sind, die notwendigen Schritte zu unternehmen, um die Welt zu ernähren“, so Landsbergis.

Rasmussen-Thinktank für Waffenlieferungen

Harry Nedelcu von der politischen Beratungsfirma Rasmussen Global kann dem Vorschlag laut Deutscher Welle etwas abgewinnen. Das sei eine gute Idee, wie man die Blockade im Schwarzen Meer brechen könne. Rasmussen Global wurde von dem ehemaligen NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen gegründet. Russland habe im Schwarzen Meer ein paar Dutzend Kriegsschiffe, darunter auch U-Boote.

„Die andere Methode, um die Blockade zu brechen, wäre, dass man der Ukraine anspruchsvolle moderne Waffen gebe, um die russischen Schiffe zu versenken bzw. zu beschädigen“, so Nedelcu weiter. Dann wäre die Blockade beendet, und die Getreideschiffe hätten dann freie Fahrt, so der Berater.

Traktor in einem Getreidelager
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Für die Getreideexporte drängt die Zeit

UNO: Konstruktive Gespräche

Auch Papst Franziskus sorgt sich um ausbleibende Getreidelieferungen aus der Ukraine. „Bitte benutzen Sie Getreide, ein Grundnahrungsmittel, nicht als Kriegswaffe“, appellierte der Papst am Mittwoch bei seiner Generalaudienz auf dem Petersplatz – mehr dazu in religion.ORF.at.

Auch die UNO bemüht sich um die Wiederaufnahme der Getreideexporte aus Russland und der Ukraine. Die UNO-Beamtin Rebecca Grynspan habe konstruktive Gespräche mit dem russischen Vizepremier Andrej Belousow über Getreide- und Düngemittelausfuhren in Moskau geführt, teilte UNO-Sprecher Stephane Dujarric am Dienstag mit. Vergangenen Monat war UNO-Generalsekretär Antonio Guterres nach Moskau und Kiew gereist, um die Wiederaufnahme der ukrainischen Lebensmittelexporte und der russischen Lebensmittel- und Düngemittelausfuhren zu vermitteln.

UN-Generalsekretär Antonio Guterres
AP/John Minchillo
UNO-Generalsekretär Antonio Guterres

Die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Linda Thomas-Greenfield, erklärte, die Vereinigten Staaten seien bereit, mittels Patronatserklärungen die Ausfuhr von russischem Getreide und Düngemitteln zu erleichtern. Sie wies darauf hin, dass beides nicht unter die Sanktionen gegen Russland falle. Allerdings seien Unternehmen offenkundig verunsichert, mit den russischen Produkten zu handeln. Die Patronatserklärungen sollten diese Unsicherheiten beseitigen.

Türkei verweist auf Lawrow-Besuch

Auch die Türkei will vermitteln. Der russische Außenminister Sergej Lawrow werde am 8. Juni mit einer Militärdelegation Gespräche in der Türkei führen, um die Möglichkeiten eines Korridors zur See auszuloten, teilte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu am Dienstag mit. Der amtlichen Nachrichtenagentur Anadolu sagt Cavusoglu weiter, es gebe diesbezüglich Gespräche mit den Vereinten Nationen.

Die UNO habe die Einrichtung eines gemeinsamen Überwachungsmechanismus vorgeschlagen, um die Schiffsrouten zu beobachten. Die Türkei sei für einen solchen Vorschlag offen. Dennoch gebe es in der Sache weiter Streitpunkte zwischen Russland und der Ukraine, sagte Cavusoglu. So fordere Russland, dass westliche Sanktionen gegen die Versicherungsbranche aufgehoben würden, weil davon auch Schiffe betroffen seien, die für die Exporte gebraucht würden. Die Ukraine wolle indes verhindern, dass russische Kriegsschiffe im Hafen von Odessa anlandeten.

der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu
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Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu erwartet den russischen Außenminister Sergej Lawrow zu Gesprächen

Die Präsidenten der Türkei und Russlands, Recep Tayyip Erdogan und Wladimir Putin, berieten über das Thema am Montag telefonisch. Dabei sagte Putin zu, den Export des blockierten Getreides in Koordination mit der Türkei möglich zu machen.

Russland nimmt Getreide aus Cherson mit

Russland selbst importierte nun aus dem besetzten Schwarzmeer-Gebiet Cherson Getreide ins eigene Land. Kiew warf Moskau am Montag erneut vor, Getreidevorräte aus den besetzten Gebieten zu stehlen. Fast 500.000 Tonnen Getreide hätten russische Truppen illegal aus Charkiw, Cherson, Saporischschja, Luhansk und Donezk exportiert, wie der stellvertretende ukrainische Agrarminister, Taras Wysozkyi, am Montag sagte. Speziell über den von russischen Truppen eroberten Hafen Mariupol sollen größere Mengen verschifft worden sein, hatte es zuletzt geheißen.

2.500 Tonnen Walzblech nach Russland geschafft

Erstmals seit der Eroberung von Mariupol durch die russische Armee ist ein auch ein Frachter mit Stahl ausgelaufen. Das Schiff habe den Hafen von Mariupol mit 2.500 Tonnen Walzblech an Bord in Richtung Rostow am Don in Südrussland verlassen, erklärte der Anführer der prorussischen Separatisten in der selbst ernannten Volksrepublik Donezk, Denis Puschilin.

Puschilin sagte am Dienstag, der Hafen von Mariupol sei ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt für die gesamte ostukrainische Donbas-Region. „Er ist ein sehr wichtiger Hafen am Asowschen Meer und der einzige, in dem auch im Winter alle Arten von Waren umgeschlagen werden können.“ Laut russischen Nachrichtenagenturen kündigte Puschilin an, dass ein Teil der Schiffe aus Mariupol in die Handelsflotte der selbst ernannten Volksrepublik Donezk übergehen soll.

Zweitgrößter Hafen nun in russischer Hand

Der Hafen von Mariupol war vor dem Ukraine-Konflikt der zweitwichtigste Hafen der Ukraine nach Odessa. Von dort wurde auch viel Getreide exportiert, die Ausfuhr ist wegen der Kämpfe aber zum Stillstand gekommen. Nach einer wochenlangen Belagerung hatte Moskau am 21. April die Eroberung Mariupols verkündet. Hunderte ukrainische Kämpfer, die sich auf einem riesigen Stahlwerksgelände verschanzt hatten, ergaben sich aber erst vier Wochen später. In der vergangenen Woche wurde der Hafen offiziell wieder in Betrieb genommen. Das russische Verteidigungsministerium hatte zuvor den Abschluss der Minenräumung bekanntgegeben.