Flaggen der EU und Polens vor dem Parlament in Warschau
Reuters/Kacper Pempel
Blockade aufgehoben

Grünes Licht für EU-Milliardenhilfe an Polen

Nach monatelangem Streit mit der polnischen Regierung hat die EU-Kommision am Mittwoch grünes Licht für die Auszahlung von Hilfsgeldern in Milliardenhöhe gegeben. Hintergrund für den Streit waren die scharf kritisierten Justizreformen in Polen. Bis tatsächlich Geld fließt, wird es aber noch dauern – denn zuerst muss Warschau gewisse Meilensteine erreichen.

23,9 Milliarden Euro an Zuschüssen und 11,5 Milliarden Euro in Form von Krediten könnten nun an Warschau gehen. „Die Europäische Kommission hat heute Polens 35,4-Milliarden-Euro-Plan für den Wiederaufbau und die Widerstandsfähigkeit des Landes gebilligt“, wird Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in einer Aussendung zitiert. Details sollen am Donnerstag von der Kommissionspräsidentin in Warschau vorgestellt werden, sagte Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni in einer Pressekonferenz.

Polen hatte seinen CoV–Aufbauplan bereits im Mai 2021 eingereicht. Um Geld aus der Aufbau- und Resilienzfazilität (RRF) der EU zu erhalten, müssen Mitgliedsstaaten einen Plan mit Investitions- und Reformvorhaben vorlegen, der eigentlich innerhalb von zwei Monaten von der Kommission beurteilt werden sollte. Die Genehmigung des polnischen Plans wurde allerdings verschoben.

Polens Premierminister Mateusz Morawiecki  und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
Reuters/Virginia Mayo
Polens Ministerpräsident Morawiecki und Kommissionspräsidentin von der Leyen stritten in der Vergangenheit mitunter heftig

Erbitterter Streit über Justizreformen

Dem voraus ging ein erbitterter Streit über die polnischen Justizreformen, die nach Ansicht von Kritikern die Unabhängigkeit polnischer Richter beschneidet. Noch im Oktober kam es im Straßburger Europaparlament zur persönlichen Konfrontation zwischen von der Leyen und dem polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki.

Die Kommission hatte die Disziplinarkammer als Gefahr für die Unabhängigkeit der Richter gewertet. Der Europäische Gerichtshof verurteilte Polen im Oktober zur Zahlung eines Zwangsgeldes von einer Million Euro pro Tag, weil die Regierung in Warschau die Auflösung der Kammer zunächst verweigerte. Von der Leyen hatte stets gefordert, dass entscheidende Reformen zurückgenommen werden.

Meilensteine als Bedingung für Auszahlung

Dazu wird es jetzt wohl auch kommen: Denn bis Polen tatsächlich Geld aus dem 800-Milliarden-Fonds der EU erhält, müssen erst gewisse vereinbarte Meilensteine erreicht werden. Konkret heißt es vonseiten der Kommission, dass Polen erst eine Disziplinarreform der Justiz verabschieden muss.

EU-Kommissar Paolo Gentiloni
APA/AFP/Kenzo Tribouillard
Wirtschaftskommissar Gentiloni kündigte das grüne Licht der EU-Kommission bei einer Pressekonferenz an

Die Einigung sieht nach Angaben der EU-Kommission unter anderem vor, dass Disziplinarverfahren gegen Richter von einem unabhängigen Gericht und nicht von der umstrittenen Disziplinarkammer entschieden werden. Zudem dürfen Richter nicht disziplinarisch belangt werden, wenn sie den Europäischen Gerichtshof um Auslegung von EU-Recht bitten.

Richter, die bereits von Entscheidungen der Disziplinarkammer betroffen sind, müssen diese Entscheidungen von einem unabhängigen Gericht überprüfen lassen dürfen. Weiters muss sich Polen verpflichten, eine Software zur Betrugsbekämpfung einzuführen, heißt es auf einer Informationsseite der Kommission.

Ukraine-Krieg änderte Situation für Warschau

Nach jahrelanger Konfrontation hatte Warschau zuletzt ein Gesetz zu Änderungen des Justizsystems ins Parlament eingebracht. Ende Mai beschloss die erste Kammer des polnischen Parlaments, der Sejm, die Disziplinarkammer, die jeden Richter oder Staatsanwalt bestrafen und entlassen kann, abzuschaffen. Sie soll nun durch ein neues Gremium ersetzt werden. Am Mittwoch befasste sich auch noch die zweite Kammer des Parlaments, der Senat, mit dem von Präsident Andrzej Duda eingebrachten Gesetzesentwurf. Stimmt der Senat zu, könnte Duda das Gesetz unterschreiben.

Polen war durch den russischen Krieg gegen die Ukraine in eine bessere Verhandlungssituation gekommen. Seit Kriegsbeginn sind bereits mehr als 3,5 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine in Polen angekommen. Die polnische Hilfsbereitschaft wurde immer durch von der Leyen positiv hervorgehoben.

Vorstoß unter Kommissaren offenbar nicht unumstritten

Unter Insidern hieß es, dass sich die Kommissarinnen und Kommissare uneinig waren. Dem Vernehmen nach sollen die Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager und der Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans gegen den polnischen Plan gestimmt haben. Auch Vizepräsidentin Vera Jourova und Innenkommissarin Ylva Johansson sollen laut der Nachrichtenagentur AFP Vorbehalte geäußert haben. Offiziell bestätigt das die Kommission – wie üblich – nicht.

Mitgliedsstaaten müssen noch zustimmen

Vonseiten der EU-Kommission heißt es, dass die Meilensteine notwendig sind, um den „Schutz der finanziellen Interessen“ der Union zu gewährleisten. Diese müssen „erfüllt sein, bevor Polen seinen ersten Zahlungsantrag stellt“. Als Nächstes müssen nun die Mitgliedsländer dem Vorschlag der Kommission zustimmen. Diese haben vier Wochen Zeit dafür.