Brasilien-Schau im NHM

Mit vereinten Kräften Ökosysteme bewahren

Initiativen zum Schutz der gefährdeten Natur Brasiliens stehen im Mittelpunkt der neuen Sonderausstellung des Naturhistorischen Museums Wien (NHM). Der 200. Jahrestag der brasilianischen Unabhängigkeit ist Anlass, einige Forschungsprojekte, an denen das Museum beteiligt ist, vorzustellen. Gerade in den Naturwissenschaften gibt es eine lange gemeinsame Geschichte zwischen Brasilien und Österreich.

Bilder von brennenden Wäldern im Amazonas-Gebiet oder im bei Touristen beliebten Naturschutzgebiet des Pantanal in Südbrasilien gehen mittlerweile fast regelmäßig um die Welt. Schätzungen zufolge wird täglich Regenwald auf einer Fläche, die etwa 4.000 Fußballfeldern entspricht, abgeholzt. Doch nicht nur Amazonien leidet. Auch die anderen Naturlandschaften Brasiliens sind durch industrialisierte Landwirtschaft, Monokulturen und Abholzung gefährdet.

Projekte wie das „Brazil Dry Experiment“ zur Renaturierung der Caatinga, einem extrem trockenen Waldgebiet im Nordosten Brasiliens, suchen hier nach Lösungen. Sie entwickeln Modelle, wie mit den Erkenntnissen biologischer Forschungsarbeit versucht werden kann, die fortschreitende Bedrohung von Lebensräumen aufzuhalten oder schon zerstörte Landschaften wieder aufzubauen. Von zentraler Bedeutung ist dabei auch die Erhaltung der Lebensgrundlage für die lokale Bevölkerung.

„Wunderschön, spannend und divers“

Die Ausstellung im NHM präsentiert die sechs biologischen Großlebensräume (Biome) Brasiliens. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler studieren in internationalen Projekten, wie diese Ökosysteme funktionieren. Die menschengemachte Zerstörung weiter Landstriche zieht den Verlust der Artenvielfalt und der genetischen Vielfalt bei Pflanzen und Tieren nach sich und hat globalen Folgen.

Fotostrecke mit 4 Bildern

Ausstellungsansicht „BRASILIEN. 200 Jahre Beziehungsgeschichten“
NHM Wien/Christina Rittmannsperger
Gegenwärtige und historische Ökosysteme als Ansichtssache im NHM
Beide: Ausstellungsansicht „BRASILIEN. 200 Jahre Beziehungsgeschichten“
Beide: NHM Wien/Christina Rittmannsperger
200 Jahre alte Tierpräparate in leuchtenden Farben
Ausstellungsansicht „BRASILIEN. 200 Jahre Beziehungsgeschichten“
NHM Wien/Christina Rittmannsperger
Historische Herbarien: Getrocknete Pflanzen als Belege für die Artenvielfalt
Ausstellungsansicht „BRASILIEN. 200 Jahre Beziehungsgeschichten“
NHM Wien/Christina Rittmannsperger
Bedrohte Vielfalt: Gefährdet? Oder ausgestorben und nur noch im Museum zu bewundern?

Alle Maßnahmen zur Renaturierung brauchen viel Zeit, während die Zerstörung schnell voranschreitet und zum Teil unumkehrbar ist. „Es braucht 100, 200 Jahre, bis ein Wald in seiner Struktur und in seiner Biomasse wieder hergestellt ist“, so Ökologin Gislene Ganade, Professorin an der Universität von Rio Grande do Norte, gegenüber ORF.at. „Das heißt aber nicht, dass auch seine Biodiversität je wieder so sein wird wie zuvor.“

Allerdings bringen die wissenschaftlichen Initiativen neue Erkenntnisse und Verbesserungen, die der Umweltzerstörung entgegenwirken und vielleicht auch das Bewusstsein für die Verletzlichkeit von Ökosystemen stärken. Brasiliens Natur sei „wunderschön, spannend und divers“, meinte Katrin Vohland, Generaldirektorin des NHM, bei der Präsentation der Ausstellung. Dem NHM und seinen Forscherinnen und Forschern sei es ein Anliegen, „Brasilien bei seinen Bemühungen, diese Biodiversität zu erhalten, zu unterstützen“.

Ausstellungshinweis

„Brasilien – 200 Jahre Beziehungsgeschichten“ ist bis 23.4.2023 im Naturhistorischen Museum Wien zu sehen

Konsum und Ausbeutung

Die Schau will auch bewusst machen, dass es vor allem am Lebensstil in den industrialisierten Ländern liegt, dass ein Mehrfaches der Ressourcen verbraucht wird, über die unser Planet verfügt. Diese Ausbeutung hat auch historische Dimensionen: Sie begann im 16. Jahrhundert und führte über den Zucker- und Kautschukboom bis in die Gegenwart, zum Beispiel in der Viehzucht und beim industriellen Anbau von Futtermitteln wie Soja. Die Ausstellung ruft auch in Erinnerung, dass ein guter Teil des Wohlstandes in Europa jahrhundertelang auf Kolonialismus, Sklavenhandel und Sklaverei, die in Brasilien erst 1888 beendet wurde, beruhte.

Historische Beziehungen

Einen Höhepunkt in den Beziehungen zwischen Brasilien und Österreich stellte die Heirat der Habsburger-Prinzessin Leopoldine (einer Tochter von Kaiser Franz I. und ebenso wie ihre Schwester Marie-Louise aus politischen Gründen verheiratet) mit dem Kronprinzen von Portugal Dom Pedro im Jahr 1817 dar. Die portugiesische Königsfamilie war 1807 vor Napoleons Truppen nach Brasilien geflüchtet, und so reiste auch die kaiserliche Braut in die ehemalige Kolonie. Als Frau des späteren Kaisers spielte Leopoldine eine wichtige Rolle bei der Deklaration der Unabhängigkeit des Landes im September 1822.

Ausstellungsansicht „BRASILIEN. 200 Jahre Beziehungsgeschichten“
NHM Wien/Christina Rittmannsperger
Erzherzogin Leopoldine und Dom Pedro

Die österreichische Brasilien-Expedition

Der Wiener Hof nahm Leopoldines Heirat zum Anlass, eine Gruppe von Naturforschern und Malern nach Brasilien zu schicken, die das Land erkunden und das kaiserliche Naturalienkabinett, den Vorläufer des Naturhistorischen Museums, mit neuen Sammlungen an Pflanzen, Tieren und Mineralien beliefern sollten. Die meisten Mitglieder der Expedition kehrten innerhalb weniger Jahre nach Österreich zurück.

Der Zoologe Johann Natterer, der 18 Jahre lang in Brasilien blieb, und der Botaniker Johann Emmanuel Pohl zählten zu den produktivsten Naturforschern dieser Expedition. Die damals gesammelten Objekte sind auch für aktuelle wissenschaftliche Forschungen wichtige Referenzobjekte von weltweiter Bedeutung, wie Christian Bräuchler, der Leiter der Botanischen Abteilung, bei der Präsentation der Ausstellung feststellte.

Ausstellungsansicht „BRASILIEN. 200 Jahre Beziehungsgeschichten“
NHM Wien/Christina Rittmannsperger
Johann Natterer und Johann Pohl

Mehr als 150.000 Tier- und Pflanzenpräparate und Mineralien gelangten durch die Expedition nach Wien, sowie die weltweit bedeutendste Sammlung ethnographischer Gegenstände von über 70 verschiedenen indigenen Gruppen (heute im Weltmuseum Wien). Die Frage des rechtmäßigen Erwerbs von Objekten, die heute in den Sammlungen enthalten sind, beschäftigt auch das NHM. Für Kuratorin Sabine Eggers ist Provenienzforschung und das Ansprechen der Konsequenzen des Kolonialismus ein unverzichtbarer Teil der Museumsarbeit.

Ausstellung zu 200 Jahren Brasilien im NHM

1817 brach eine österreichische Expedition nach Brasilien auf, um die große Artenvielfalt des Landes zu erforschen. Zu sehen sind viele Exponate jetzt in einer Ausstellung im Naturhistorischen Museum in Wien.

Die Schattenseiten der Forschungsreisen werden hier nicht ausgespart. Zu den Aufgaben der Expeditionsteilnehmer gehörte es, Proben von wertvollen Rohstoffen zu sammeln und so den Boden für eine künftige Nutzung und Ausbeutung vorzubereiten. „Es ging auch darum, sich neue Einflusssphären zu sichern, und um die Einbindung Brasiliens in ein europäisches Kolonialsystem“, wie Martin Krenn, Leiter des Archivs für Wissenschaftsgeschichte am NHM, anmerkte. Kolonialistische Strukturen begünstigten die Unternehmungen der österreichischen Forscher, und auch die Arbeitskraft von Sklaven wurde eingesetzt, um die wertvollen Sammlungen zusammenzutragen, die jetzt in der Ausstellung zu sehen sind.

Spuren von Entdeckung und Kolonialisierung

All diese Themen verdichtet die Ausstellung klar, knapp und instruktiv in sechs Ausstellungsräumen. Die beiden Säle, die den aktuellen Forschungsprojekten gewidmet sind, setzen nicht auf Frontalunterricht. Die Wände sind von allen Ausstellungsvitrinen befreit, die Besucher und Besucherinnen können die verschiedenen Landschaften in offen gestalteten Räumen erkunden.

Beide: Ausstellungsansicht „BRASILIEN. 200 Jahre Beziehungsgeschichten“
Beide: NHM Wien/Christina Rittmannsperger
Auge in Auge mit einem Jaguar

Historische Tier- und Pflanzenpräparate aus den Sammlungen sind zum Greifen nahe, verbinden Geschichte und Gegenwart und bringen ins Bewusstsein, um wen und was es hier geht, wenn von Bewahrung oder Zerstörung der Naturräume Brasiliens die Rede ist.