Der britische Premierminister Boris Johnson
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„Pyrrhussieg“

Johnsons Zukunft nach Tory-Votum ungewiss

Das Misstrauensvotum seiner Konservativen Partei hat der britische Premier Boris Johnson zwar überstanden, die Luft für den Tory-Politiker ist aber dünn wie kaum zuvor. Immerhin sprachen Johnson mit 40 Prozent überraschend viele Parteikolleginnen und -kollegen das Misstrauen aus. Dabei galt schon die Tatsache, dass es zur Abstimmung kam, als schwerer Schlag. Johnson will nun wieder zur Tagesordnung übergehen.

Fest im Sattel sitzt der Parteichef der Torys nach der parteiinternen Rebellion keineswegs – darüber sind sich britische Medien einig. Das „Ausmaß der Revolte“ gegen den Premier deute darauf hin, dass sich das Votum „wahrscheinlich als Pyrrhussieg erweisen wird“, schreibt etwa die „Times“.

211 der 359 Tory-Abgeordneten sprachen ihm das Vertrauen aus – das sind 59 Prozent. Allerdings stimmten 148 dafür, dem Parteichef und Premierminister das Misstrauen auszusprechen und ihn dadurch abzusetzen. Im Unterhaus verlor er damit de facto die Mehrheit, heißt es im „Guardian“. Auslöser für die Abstimmung war die Affäre um Partys in Johnsons Amtssitz während des CoV-Lockdowns.

Demonstranten vor dem britischen Parlament fordern die Absetzung von Premierminister Boris Johnson
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Protest vor dem britischen Parlament

Anfang vom Ende?

Johnson erhielt bei dem Votum auch weniger Rückendeckung als etwa seine Vorgängerin Theresa May, die 2018 ein Misstrauensvotum überstanden hatte und sich wenige Monate später trotzdem geschlagen geben musste. May hatte damals die Unterstützung von 63 Prozent der Tory-Abgeordneten erhalten.

Auch weitere warnende Beispiele finden sich in der Geschichte der Partei: So sah sich etwa die damalige Premierministerin Margaret Thatcher 1990 trotz ihres Sieges bei einer Abstimmung über die Führung der Konservativen Partei gezwungen zurückzutreten. John Major gewann das Votum 1995, verlor aber zwei Jahre später die Wahl gegen Labour-Chef Tony Blair. „Es zeichnet sich eine miserable Zukunft ab, in der ihm Fesseln angelegt sind“, schreibt die „Guardian“-Kolumnistin Gaby Hinsliff.

Medien rechnen mit weiteren Querelen

Ähnlich die Einschätzung von „Sun“ und „Telegraph“: „Die Konservative Partei hat sich in die denkbar schlechteste Position gebracht, indem sie den Premierminister schwer verwundet hat, ohne ihn aus dem Amt zu entfernen“, schreibt der „Telegraph“.

Die „Sun“ rechnet in den kommenden Monaten fest mit weiteren parteiinternen Streitereien. Sie verweist auch auf Aussagen hochrangiger Tory-Minister, wonach mit dem Ergebnis der Abstimmung „beinahe ein Worst-Case-Szenario“ eingetreten sei. „Das ist ein katastrophales Ergebnis für Boris“, wird ein hochrangiger Tory-Politiker von der Zeitung zitiert. Die BBC und die „Daily Mail“ berichteten indes über Gerüchte, wonach aufgrund befürchteter Rücktritte in den kommenden Wochen auch eine Kabinettsumbildung im Raum stehe.

Das Amt des Premierministers ist bei den britischen Konservativen an das des Parteichefs gekoppelt, bei einem anderen Ausgang hätte Johnson zurücktreten müssen. Nach den aktuellen Regeln darf es nun für die Dauer von zwölf Monaten keine neue Misstrauensabstimmung geben.

Johnson möchte „Schlussstrich“ ziehen

Großbritanniens Premierminister Boris Johnson hat einen Tag nach dem überstandenen Misstrauensvotum seiner Partei eine Kabinettssitzung abgehalten. Die Partei sei „jetzt in der Lage, einen Schlussstrich zu ziehen unter die Fragen, mit denen sich unsere Gegner beschäftigen wollen“, so Johnson. 211 der 359 Tory-Abgeordneten sprachen ihm bei dem Votum das Vertrauen aus.

Johnson berät mit Ministern

Nach überstandenem Misstrauensvotum berät Johnson unterdessen am Dienstag mit dem Kabinett über die weitere Arbeit der kommenden Wochen. „Das ist eine Regierung, die das leistet, was den Menschen in diesem Land am meisten am Herzen liegt“, sagte Johnson in der Früh vor der Kabinettssitzung. „Wir stehen auf der Seite hart arbeitender Briten und werden mit der Arbeit fortfahren.“ Die Partei sei „jetzt in der Lage, einen Schlussstrich zu ziehen unter die Fragen, mit denen sich unsere Gegner beschäftigen wollen“, so Johnson.

Bei der Kabinettssitzung gehe es unter anderem um eine Verbesserung der Gesundheitsversorgung und der Polizeiarbeit sowie um neue Richtlinien zur Senkung der Kosten für die Kinderbetreuung. Johnson hatte unmittelbar nach der Abstimmung am Montag von einem „guten Ergebnis“ gesprochen. Damit könne die Regierung nun den Streit über seine Führungsrolle hinter sich lassen.

Außenministerin Liz Truss, Finanzminister Rishi Sunak und auch Vizepremierminister Dominic Raab hatten Johnson, der seit 2019 die Regierung führt, explizit ihre Unterstützung zugesichert. Labour-Oppositionsführer Keir Starmer bezeichnete den Premier hingegen als „völlig ungeeignet für das Amt“ und kritisierte „gespaltene Konservative, die damit beschäftigt sind, Boris Johnson an der Macht zu halten“.

Der britische Vizepremierminister Dominic Raab vor der Downing Street 10
Reuters/Hannah Mckay
Vizepremierminister Dominic Raab stellt sich hinter Johnson

Früherer Tory-Chef Hague fordert Rücktritt

Der frühere Parteichef der Konservativen, William Hague, forderte indes Johnson zum Rücktritt auf. Der Regierungschef habe nicht mehr die Autorität, um seine Partei und das Land zu führen, schrieb der ehemalige Außenminister in einem Beitrag für die „Times“ (Dienstag-Ausgabe).

Hague schrieb zum Abstimmungsergebnis mit 40 Prozent Ablehnung: „Tief im Inneren sollte er das erkennen und sich darauf einstellen, einen Ausstieg zu finden, der sowohl der Partei als auch dem Land solche Qualen und Unsicherheiten erspart.“ Hague stand glücklos an der Spitze der Torys als Oppositionsführer von 1997 bis 2001. Später war er Außenminister.

Analyse von Johnsons Misstrauensvotum

Boris Johnson hat bis kurz vor Beginn des Misstrauensvotums gegen ihn bei den Abgeordneten seiner Partei für sich geworben. ORF-Korrespondentin Eva Pöcksteiner berichtete aus London über seinen Erfolg bei der Abstimmung.

Lockdown-Partys schwächten Position

Nach Johnsons deutlichem Wahlsieg im Jahr 2019 schienen lange Zeit alle Affären und Probleme am britischen Premierminister abzuperlen. Er profitierte zunächst davon, dass den Torys ein geeigneter Nachfolger fehlte sowie später vom Ukraine-Krieg. Doch immer neue Enthüllungen zu den Partys am Regierungssitz während des Lockdowns und die hohen Lebenshaltungskosten im Land schwächten zunehmend seine Position.

Zuletzt war Johnson wegen der „Partygate“-Affäre aber auch in seiner eigenen Partei zunehmend in die Kritik geraten. Wegen seiner Teilnahme an einer der Feiern wurde Johnson mit einer Geldstrafe belegt – und ging damit als erster amtierender britischer Premierminister, der das Gesetz brach, in die Geschichte ein. Das vernichtende Fazit eines Untersuchungsberichtes der hochrangigen Beamtin Sue Gray zu den Partyexzessen in der Downing Street steigerte dann den Druck auf Johnson noch weiter: Gray machte die Regierungsspitze für die gesetzeswidrigen Feiern verantwortlich.

Umfragen sprechen gegen Johnson

In jüngsten Umfragen vertrat eine klare Mehrheit der Bürger die Ansicht, dass Johnson zu „Partygate“ gelogen habe und zurücktreten sollte. Während der Jubiläumsfeierlichkeiten für die Queen wurde er öffentlich ausgebuht.

Johnson entschuldigte sich wiederholt im Parlament, lehnte einen Rücktritt aber ab. Sein Sprecher erklärte am Montag, der Premier sehe das Misstrauensvotum als Chance, die „monatelangen Spekulationen zu beenden“. Es erlaube der Regierung, „einen Schlussstrich zu ziehen“ und sich um die wahren Anliegen der Menschen zu kümmern.