Deutschlands Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel
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Merkel

Krieg „großer Fehler“ Russlands

Die frühere deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat den Ukraine-Krieg als „großen Fehler“ Russlands verurteilt. Der russische Einmarsch sei ein „objektiver Bruch aller völkerrechtlichen Regelungen“, sagte Merkel am Dienstagabend bei einer Veranstaltung in Berlin. Vorwürfe, naiv im Umgang mit Russlands Staatschef Wladimir Putin gewesen zu sein, wies sie zurück.

Nach eigenen Worten sieht Merkel in der Invasion auch „eine große Tragik“. Sie frage sich, ob das hätte verhindert werden können. Sie habe aber nie Putins Einschätzung geteilt, dass Russland durch den Westen „permanent gedemütigt wurde“, sagte Merkel. Sie habe aber natürlich gewusst, wie er dachte.

Merkel verwies darauf, dass Putin ihr schon 2007 bei ihrem Besuch in Sotschi gesagt habe, der Zerfall der Sowjetunion sei für ihn „die schlimmste Sache des 20. Jahrhunderts“. Damit sei schon damals ganz klar gewesen, „dass da ein großer Dissens ist“. Und es sei letztlich nie gelungen, „den Kalten Krieg wirklich zu beenden“.

Merkel weist Vorwürfe der Naivität zurück

Vorwürfe, naiv im Umgang mit dem russischen Staatschef gewesen zu sein, wies Merkel zurück. „Putins Hass, Putins – ja, man muss sagen – Feindschaft geht gegen das westliche demokratische Modell“, so die Ex-Kanzlerin. Sie sei „nicht blauäugig oder so“ gewesen, sondern habe gewarnt: „Ihr wisst, dass er Europa zerstören will. Er will die Europäische Union zerstören, weil er sie als Vorstufe zur NATO sieht.“

Deutschlands Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel und Alexander Osang
Reuters/Annegret Hilse
Merkel und „Spiegel“-Reporter Alexander Osang: „Diplomatie ist ja nicht, wenn sie nicht gelingt, deshalb falsch gewesen“

Sie erklärte, sich nicht entschuldigen zu wollen. „Diplomatie ist ja nicht, wenn sie nicht gelingt, deshalb falsch gewesen. Also ich sehe nicht, dass ich da jetzt sagen müsste: ‚Das war falsch‘, und werde deshalb auch mich nicht entschuldigen.“

Dass sie sich 2008 gegen eine NATO-Osterweiterung um die Ukraine und Georgien gewandt habe, verteidigte Merkel ebenfalls. Hätte die NATO den beiden Ländern damals eine Beitrittsperspektive gegeben, hätte Putin schon damals einen „Riesenschaden in der Ukraine anrichten können“.

Merkel plädiert für Abschreckung

Merkel plädierte für eine Verstärkung der militärischen Abschreckung gegenüber Russland. „Das ist die einzige Sprache, die Putin versteht“, sagte sie. Verantwortung für ausgebliebene Investitionen in die deutsche Bundeswehr wies sie zurück und indirekt dem früheren Koalitionspartner SPD zu.

Merkel äußert sich zu Russland-Politik

Erstmals seit ihrem Abgang als deutsche Bundeskanzlerin hat sich Angela Merkel in einem vollbesetzten Berliner Theater von einem Journalisten ausführlich befragen lassen. Dabei musste Merkel auch ihre zuletzt extrem umstrittene Russland-Politik erklären.

„Ich bin jetzt heilfroh, dass wir nun uns endlich auch entscheiden, nachdem die ganze Welt bewaffnete Drohnen hat, dass wir auch welche kaufen. Und es ist auch nicht an mir gescheitert, dass bestimmte andere Dinge nicht stattfinden konnten“, sagte Merkel. Und weiter: „Es war ein sehr zähes Ringen, überhaupt in die militärische Abschreckung zu investieren.“

„Vollstes Vertrauen“ in Regierung von Scholz

In die Regierung ihres Amtsnachfolgers Olaf Scholz (SPD) hat sie nach eigenen Worten dennoch „vollstes Vertrauen“. Der Regierungsübergang sei sehr gut gelaufen, sagte Merkel – ein halbes Jahr nach der Amtsübergabe an Scholz. Es seien Menschen am Werk, die keine „Newcomer“ seien und die Gegebenheiten kennen würden. Merkel war 16 Jahre lang Kanzlerin. Es sei für sie ganz klar, dass es der richtige Zeitpunkt gewesen sei aufzuhören.

Auf die Frage, wie es ihr gehe, sagte Merkel, ihr persönlich gehe es sehr gut. Die „Zäsur“ des russischen Krieges gegen die Ukraine beschäftige aber auch sie sehr. Sie sei manchmal bedrückt. Merkel erzählte von langen Wanderungen im Winter an der Ostsee, sie habe viele Podcasts gehört. Ihr sei nicht langweilig geworden, sie habe die Tage richtig gut rumbekommen. Früher habe sie nur „Termine, Termine, Termine“ gehabt. Sie komme mit ihrem neuen Lebensabschnitt sehr gut zurecht.

Keine Vermittlungsrolle angestrebt

Merkel sieht sich derzeit nicht als Vermittlerin im Ukraine-Krieg. Auf die Frage, ob sie mit Putin telefonieren würde, sagte sie: „Ich habe nicht den Eindruck, dass das im Augenblick etwas nützt.“ Es gebe „aus meiner Sicht wenig zu besprechen“.

Merkel verwies außerdem darauf, dass sie sich nur auf Bitten der Bundesregierung einschalten würde. „Mein Amtsverständnis ist so, dass ich nichts tun werde, um das mich nicht die deutsche Regierung bitten würde.“ Merkels Vorgänger Gerhard Schröder (SPD) war nach Kriegsbeginn nach Moskau gereist, um mit Putin zu sprechen – ohne die Regierung zu informieren.

Angesprochen auf die US-Sanktionen gegen das Pipeline-Projekt „Nord Stream 2“ sagte Merkel, sie habe sich sehr darüber geärgert, dass die USA unter Präsident Joe Biden Sanktionen gegen Unternehmen verhängt hätten, die im Projekt aktiv waren. Das mache man mit dem Iran, aber nicht mit einem Verbündeten, machte sie deutlich. Eine im vergangenen Sommer erzielte Vereinbarung mit den USA sei dann ein „Quantensprung“ gewesen.

Erste ausführliche öffentliche Äußerung

Merkel äußerte sich zum ersten Mal ausführlich in der Öffentlichkeit seit dem Ende ihrer 16-jährigen Amtszeit im Dezember. Bei der Veranstaltung „Was also ist mein Land?“ befragte sie der „Spiegel“-Autor und Schriftsteller Alexander Osang.

Zum Ukraine-Krieg hat sich Merkel bisher zweimal geäußert. Am Tag nach dem russischen Einmarsch verurteilte sie diesen „auf das Schärfste“ und sprach von einer „tiefgreifenden Zäsur“. Vergangene Woche nannte sie den russischen Angriffskrieg bei einer Veranstaltung der Gewerkschaft „barbarisch“.

Kritik von ukrainischem Botschafter

Kritik an Merkels Aussagen kam vom ukrainischen Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk. Im Interview sei leider „kein Hauch Selbstkritik“ zu spüren gewesen, sagte Melnyk. „Die Äußerungen der Ex-Kanzlerin über die Unfehlbarkeit ihres Russland-Kurses und ihres viel zu nachsichtigen Umgangs mit Diktator Putin sind befremdlich.“